Von Dr. Regula Stämpfli - Es gibt neue Sachbücher zum Thema Feminismus, die tragen so schöne Titel wie «Das Patriarchat der Dinge» oder auch «Der verkaufte Feminismus». Aber darüber will ich nicht schreiben. Nicht nur, weil ich u. a. mit «Die Vermessung der Frau» ein Standardwerk produziert habe, das in jede Bibliografie neuer deutschsprachiger Feminismus-Traktate gehört und nicht zitiert ist, sondern weil diese und andere frauenbewegte Autorinnen so tun, als gäbe es vor ihrer Empörung über das Patriarchat: nichts. Zudem übertragen sie ohne wirkliche Eigenleistung amerikanische Diversity-Warenliteratur quasi ins Deutsche. So als ob wir nicht nur die angloamerikanischen, sondern auch die französischen, italienischen, schwedischen, nigerianischen (u. a. Chimamanda Ngozi Adichie) und südafrikanischen Debatten nicht kennen würden.
Das. Ist. Patriarchat. Pur. Ich nenne dies «Feminismus ohne Eigenschaften». Kein Soziologe und kein Verlag käme jemals auf die idiotische Idee, Soziologie neu zu erfinden und dabei Niklas Luhmann, Max Weber, Karl Marx, Jutta Allmendinger, Regina Becker-Schmidt, Norbert Elias, Paula Irene Villa etc. auf den deutschsprachigen Markt zu werfen. Doch da es ja nur um die wichtigste aller politischen Bewegungen, nämlich den Feminismus geht, meinen vor allem jüngere Journalistinnen, es gehe alles ohne Geschichte, Theorie, Vorgängerinnen. Deshalb gibt es kein Neugedachtes mehr, keinen Fortschritt, sondern nur noch ein verdammtes Treten auf der Stelle und feministische Backlashs. Für den deutschsprachigen Raum gilt: Die ewig gleiche Leier, etwas denglisch aufpoliert, wird feministisch wiedergekäut.
So geht es nicht nur feministischen Bewegungen, sondern auch Künstlerinnen. Die patriarchalen Machtstrukturen verdrängen alle Frauen: Aus der Geschichte, aus der Gegenwart und somit auch aus der Zukunft. Glücklicherweise gibt es Ausnahmen und siehe da: in der Schweiz.
Hulda Zwingli bspw. ist auf Instagram einer der wichtigsten Kunst-Accounts in der Schweiz. Sie ist das Gegenprogramm zu den erwähnten Antifeminismen. Sie ist kritische feministische Beobachterin der sexistischen Kunstszene in Zürich. Am 11. April 2021 zitiert sie das Zürcher Hochbaudepartement: «Gleichzeitig hat der Stadtrat günstige Gelegenheiten wahrgenommen, Werke von wichtigen zeitgenössischen Schweizer Kunstschaffenden anzukaufen oder die Sammlung mit bedeutender historischer Kunst zu erweitern (…): Ferdinand Hodler, Cuno Amiet, Johann Heinrich Füssli, Samuel Hofmann und Le Corbusier.» Dies soll «wichtige zeitgenössische Schweizer Kunst» sein? Uff.
Es ist alles zum Schreien: Je mehr über Gender gelabert wird, umso misogyner die Wirklichkeit. Glücklicherweise gibt es entscheidende Ausnahmen. So durfte ich mich in Wien neu schockverlieben. Und zwar fast jeden Tag. Im März gab es von ARTCARE die fabelhafteste Auktion zeitgenössischer Künstlerinnen, im April die umwerfende Sheila Hicks im Museum für Angewandte Kunst und im Mai das Jahrhundertgenie Xenia Hausner in der Albertina.
Mit «True Lies» zeigt die Albertina das Werk der wichtigsten österreichischen Malerinnen unserer Zeit. Frauen, Inszenierung und Komposition der grossformatigen Bilder, aus denen die Frauen einen richtiggehend anspringen, gehören wie die fabelhaftesten Farbkombinationen zu Hausners Werk. Die sichtbar gemachte Fiktion ist Leitthema der Ausstellung der 1951 geborenen Künstlerin. Xenia Hausner gibt Einblick in ihr Schaffen: Zunächst werden die Bilder im Proberaum mit Schauspielenden inszeniert und fotografiert. Erst dann gibt es die umwerfenden Gemälde dazu.
Xenia Hausner bedient sich selbstbewusst weiblicher und männlicher Techniken, eine wahrhafte Genia eben. Fotografie galt lange als Antithese zur männlichen Kreativität, da diese sich in Skulpturen und der Malerei austobte: Xenia Hausner nimmt einfach beides. Die farbstarke und flächige Malerei tritt dabei in einen Dialog mit dem zuvor entstandenen Foto. Ausschnitte, das Fragmentarische, die Montage ergeben eindrückliche Szenarien, die frau immer mit sich nimmt.
Wie keine andere vermag die Künstlerin den weiblichen Blick zu verwirklichen: Frauen sind bei Hausner eben alle Geschlechter, alle Menschen. Der «Standard» rezensiert Hausner mit «Orange, blau, grün, geil» – an Banalität nicht zu übertreffen, Katharina Rustler hat diesen Text geschrieben, eine Frau, die die Eingangszeilen mehr als bestätigt. Hausner sei eine «spät berufene Künstlerin», schreibt sie, ohne darüber zu reflektieren, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts NIE früh berufene Philosophinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen sein dürfen. Der dumme Text kulminiert in: «Zentral in ihren Bildern sind vor allem weibliche Figuren. Zwar treten darin auch Männer auf, allerdings sind diese in der Unterzahl. Lieb sei sie trotzdem zu ihnen.» Als ob ausgerechnet dies beim Werk Hausners ausschlaggebend wäre! Offensichtlich empfindet auch die Journalistin jede Menschwerdung der Frau als Angriff auf die armen Männer, die ihrerseits in Österreich im Jahr 2021 massenweise Frauen ermorden.
Doch sei es drum: Die Texte im Katalog sind glücklicherweise besser, wenn auch nicht alle. Denn allzu oft versteifen sich die Autoren darauf, Männervergleiche anzustellen, um die Kunstfertigkeit Hausners «plausibler» zu machen, tssss.
Die zeitgenössische Prominenz im Katalog schreibt indessen gut. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, der fabelhafte Historiker Philip Bloom, der Schriftsteller Daniel Kehlmann, die Autorin und scharfe Literaturkritikerin Eva Menasse versammeln sich in «True Lies». Die Ausstellung entspricht dem, was ich mit Hannah Arendt in meinem Werk mit Weltbeziehung kennzeichne: Menschen sind im Kontext ebenso erkennbar wie Wirklichkeit.
Hausners Vergangenheit wirkt in ihrem Werk ebenso nach wie ihre Herkunft: Es sind Spuren eines klugen Frauenlebens. Sie stammt aus einer begüterten Wiener Familie: Ihr Vater war ein bedeutender Vertreter des Fantastischen Realismus. Das Xenia-Kind dieses schillernden Vaters, der in den 1950er-Jahren noch zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, trägt viel von ihm in sich: Musik des Penguin-Jazz-Quartetts, Auszeichnungen, Reisen und Ehrungen, die die Tochter um Vielfaches übertrumpfen kann. Sie ist das geborene Vaterkind – von der Mutter vernimmt frau nichts, nada, niente, das sich den weiblichen Kosmos erobert hat.
Einmal im Untergeschoss der Albertina in Wien, grad nach der Rolltreppe, fällt frau in die Trauerszenen der Künstlerin. Der sterbende Vater, die sterbenskranke Nachbarin umfassen einen mit einer Wucht, die Tränen in die Augen treibt. Weiter geht es mit Trauer: Nach diesen intimen Momenten steigen wir in die Flüchtlingsbilder, die, zwar sehr weisshäutig, dennoch vielschichtig, da mehrere historische Ebenen verbindend, erschüttern. Das altmodische Zugabteil ist eine Reminiszenz der Vertreibung im 20. Jahrhundert, die Jugendlichen darin verkörpern die Schicksal- und Heimatlosen. Ein Wasserspiegel zieht sich quer durchs Bild: das Massensterben im Mittelmeer.
«Ich bin nicht tagesaktuell, aber seismografisch, und ich reflektiere meine Zeit. Ich hänge mich nicht an den Abendnachrichten auf, lebe aber sehr bewusst in unserer heutigen Welt.» (Xenia Hausner)
Schon leicht erschöpft ob der Farben, der Grösse der Bilder und der unnachahmlichen Malkunst Xenia Hausners kommt dann die Autorin dieser Zeilen zu ihrem Lieblingsort: Ungehorsam. «Disobedience», so der Titel, zeigt zwei Frauen mit Hammer und Meissel: Ob sie grad zuschlagen wollen? Xenia Hausner erzählt davon, wie anstrengend es für ihre und alle Models dieser Welt ist, ständig angestarrt zu werden. Ich habe die Theorie des gefrässigen Blicks von Männern gegenüber Frauen mitgeprägt, diese Objektivierung von Frauenkörpern, die nichts mehr unentdeckt lässt und jeder Frau, oft mit Gewalt, das letzte Geheimnis respektive die letzte Individualität entreissen will.
Xenia Hausners Frauen befreien sich davon: Sie sind ungehorsam. Sie brechen den Blick mit klarem Augenkontakt.
Verletzt Hausner die dargestellten Frauen dennoch, weil sie sie in Bilder und Rahmen einpasst, so wie dies einige Feministinnen meinen? Im Gegenteil. Das millionenfach reproduzierte Geschlecht IST ANDERS. Die Malerin verfügt über die eindrückliche Gabe, Frauen zu schaffen, die, wie Eva Menasse sagt, «den Betrachter anspringen». Sie durchbrechen die Zweidimensionalität, sie bevölkern die Ausstellungsräume. Es würde nicht erstaunen, wenn die Frauen, sind die Lichter im Museum ausgeknipst, miteinander Musik hören, reden, rauchen, protestieren, lieben, tanzen und essen würden. Hausners Welt ist lebend, der Lebendigkeit und Sinnlichkeit verpflichtet: Die Siegerkunst der Weltlosigkeit hat bei ihr nichts verloren.
Musik und Bilder sind die Musen, die Menschen zutiefst berühren. Lange ist es her, dass ich dies so stark mitspüren konnte. Ich besuche Xenia Hausner wieder und wieder und schreie allen zu: Ich. Habe. Wahre. Kunst. Entdeckt.
«Es gibt eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit, nach Gewissheit, an der man sich orientieren kann. Das nennt man dann Wahrheit. Wir leben alle mit unseren jeweiligen Annahmen der Wirklichkeit. ‹True Lies›, also wahre Lügen, lügen mit Bedacht. Jedes gelungene Kunstwerk lügt die Wahrheit herbei. Die gemalte, komponierte Besonderheit ist die Lüge, die die Wahrheit beschwört. Über die Fiktion der Kunst lernen wir die Welt besser zu verstehen. Darum geht es in meiner Kunst, in jeder Kunst! Ich male erfundene Geschichten, die der Betrachter mit seinem eigenen Leben zur Deckung bringen kann.» (Xenia Hausner)
Malen ist für Xenia Hausner ein Liebesakt. Dies zeigen auch ihre Selbstbildnisse: Es gibt in der Ausstellung ein Vorher und ein Nachher: Xenia Hausner mit Malpinsel einmal angezogen, vorher, dann ausgezogen, nachher. Grossartig: Die Künstlerin hat gemalt und es war gut so.
Xenia Hausner. True Lies. Herausgegeben von Elsy Lahner und Klaus Albrecht Schröder. Albertina 2021. Ausstellung noch bis 8. August.