Von Sonja Wenger - Bedrückend, packend, eindrücklich, tief bewegend: Dies sind nur einige Worte, mit denen die Emotionen beschrieben werden können, die der animierten Dokumentarfilm «Waltz with Bashir» auslöst. Mit genauso verstörenden wie poetischen Bildern hat der israelische Drehbuchautor und Regisseur Ari Folman dabei die Suche nach seinen verschollenen Erinnerungen dokumentiert: Erinnerungen an seinen Einsatz im ersten Libanonkrieg von 1982; Erinnerungen an die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, bei denen Tausende getötet wurden; Erinnerungen, die der damals neunzehnjährige Soldat Folman vollständig unterdrückt hatte.
Folman realisierte diese Gedächtnislücken erst im im Alter von vierzig Jahren und suchte in der Folge Kollegen aus seiner Zeit als Soldat auf. Auch deren Erinnerungen waren teils verschwommen oder von surrealen Bildern überlagert — so bei seinem Freund Boaz, der in einem seit Jahren wiederkehrenden Albtraum von einem Rudel mörderischer Hunde verfolgt wird, welches auch die Eröffnungssequenz von «Waltz with Bashir» darstellt. Wie ein Puzzle setzte Folman die erzählten Ereignisse, verzerrten Erinnerungen und wiedergefundenen Gefühle neu zusammen. Herausgekommen ist dabei ein Film über den Krieg, ein Aufschrei gegen den Krieg und ein Mahnmal wider das Vergessen von Krieg.
Ari Folman, wie viel im Film ist tatsächlich autobiografisch?
Alles. «Waltz with Bashir» ist meine ganz persönliche Geschichte. Natürlich habe ich einige Sachen überhöht oder bei den Traumsequenzen etwas übertrieben. Aber die Grundgeschichte ist wahr.
Wie geht ein Mensch damit um, aus nächster Nähe ein Massaker mit angesehen zu haben?
Das ist wohl bei allen ähnlich. Ich habe vieles verdrängt. Man will lieber vergessen, als sich mit dem Gesehenen auseinander zu setzen. Die Reaktionen zu hause war damals auch, dass man ja nicht der Einzige sei, der im Krieg war.
Hatten Sie nach Abschluss des Films das Gefühl, sich nun wieder an alles zu erinnern, oder gibt es immer noch Lücken?
Der Film ist vermutlich nicht die genaue Wahrheit, aber nach so vielen Jahren kann man das auch nicht erwarten. Bei allen für den Film interviewten Personen haben sich die Erinnerungen verändert. Denn das Wesen der Erinnerung ist es ja auch, dass man die eigenen Lücken mit Details füllt, die man woanders sieht oder hört.
Beinahe fünf Jahre hat Folman an dieser Therapie in Filmform gearbeitet. Dass es so lange gedauert hat, ist aber weniger auf das Recherchieren, als mehr auf das aufwändige Herstellungsverfahren zurückzuführen. Der Realismus der Bilder ist dann auch ein wichtiger Aspekt, der die Faszination von «Waltz with Bashir» erklärt. Es ist beinahe unmöglich, sich der visuellen Ästhetik des Films zu entziehen. In teilweise hypnotisierenden Sequenzen verwischt sich die Wahrnehmung zwischen Kunst, Fantasie und echtem Filmmaterial — nur um am Schluss mit einem Schockeffekt aufgelöst zu werden.
Haben Sie für Ihre Animationstechnik echte Filmbilder verwendet und sie quasi in Zeichnungen umgesetzt?
Nein. Wir haben zwar die Landschaften und die Interviews erst normal aufgenommen. Dann aber alles neu dramatisiert und zeichnerisch eigenständig umgesetzt. Die realen Bilder dienten dabei nur als Referenz.
Gegen Schluss des Films befindet man sich als Zuschauer beinahe in einem Trancezustand. Weshalb durchbrechen Sie dies so brutal mit echten Filmaufnahmen, die nach dem Massaker in Sabra und Schatila entstanden?
Ich wollte bewusst verhindern, dass jemand den Film sieht und sagt: «Wow, das war ein gut gemachter Trickfilm — aber nicht mehr.» Ich wollte unmissverständlich klarstellen, dass dieses Ereignis, bei dem Tausende abgeschlachtet worden sind, tatsächlich passiert ist. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, bin ich aufs Neue froh, so entschieden zu haben. Es sind nur fünfzig Sekunden, aber diese Aufnahmen rücken den Film in die richtige Perspektive.
Denken Sie, das ihr Film etwas bewirken wird?
Für mich ist wichtig, dass meine drei Kinder später einmal verstehen können, was ich durchgemacht habe. Und ich denke, es wird ihnen helfen, selber die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie können auch etwas für ihr Land tun ohne dafür in den Krieg zu ziehen — denn dabei befriedigen sie schlussendlich nur das Ego von irgendeinem politischen Führer.
«Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen», sagte der griechische Philosoph Platon. An dieser Wahrheit hat sich bis heute nichts geändert. Die Lebenden, egal ob sie Täter oder Opfer waren, tragen die seelischen Wunden und die Erinnerungen an Tod, Zerstörung und Grausamkeit für den Rest ihres Lebens mit sich — und werden damit meist alleine gelassen. Insofern ist «Waltz with Bashir» etwas vom Besten, was in den vergangenen Jahren gegen diese Dreieinigkeit des Horrors ins Kino gekommen ist.
Bild: zVg.
ensuite, Dezember 2008