Von Barbara Roelli — Wir schreiben den 20. Dezember 2012, einen Tag vor dem Weltuntergang, vier Tage vor Heilig Abend. Wobei gerade Heilig Abend keine Rolle mehr spielt, denn die Welt gibt es dann ja nicht mehr. Und somit ist auch dieser Artikel überflüssig, denn es wird ihn keiner mehr lesen, wenn wir uns alle schon Wochen zuvor, in einem lauten Knall, in Schutt und Asche aufgelöst haben. Oder wir sind in eine andere Galaxie katapultiert worden und unser Hirn kann dort die Fähigkeiten nicht mehr abrufen, die wir uns einst mit Mühe angeeignet haben, wie eben das Lesen dieses Artikels.
Auffallend ist trotzdem, mit welcher Sorgfalt doch die bevorstehenden Festtage vorbereitet werden; insbesondere das Essen. Das Essen, das gerade kurz vor dem Untergang eine neue Bedeutung bekommt – quasi das Gegenteil vom Untergang ist. Ich stelle mir vor, beim Untergang zerlegt sich alles in seine Einzelteile; in Glieder, Fasern, Zellen. Die Einheit bricht auseinander, als ob man den Urknall zurückspulen würde. Beim Essen aber nehmen wir Materie auf, verleiben sie uns ein, damit wir eins werden mit ihr, sie uns zusammenhält. Und das gemeinsame Essen an Weihnachten und Silvester hält uns als Gemeinschaft zusammen. All diese Familienzusammenkünfte und Firmenanlässe, Jahresabschlüsse von Clubs und Vereinen – sie alle zielen darauf ab, die Einheit zu stärken, die vielen Individuen zusammenzukitten. Trinken und Essen hilft dabei. Lasst uns anstossen auf ein neues Jahr! Und der Champagner perlt die Kehlen hinunter. Frohe Weihnachten! Und jeder steckt seine fleischbestückte Gabel in den dampfenden Fondue Chinoise-Topf. Es werden Pläne geschmiedet zum Festtagsschmaus, Metzger geben Instruktionen, wie die Kunden ihre Rollbraten füllen sollen, und bei welcher Temperatur der Truthahn im Ofen gebraten wird, damit er nicht austrocknet. Lasst uns geniessen und gesellig sein! Nach diesem unausgesprochenen Glaubensbekenntnis handeln wir dieser Tage und verdrängen konsequent den bevorstehenden Untergang. Zwei Frauen im Zug: Die eine hat für den Jahresabschluss des Vereins eine Platte mit drei Kilo Raclettekäse bestellt. Bei der besten Käserei von Olten, wie sie sagt. Und dann gebe es noch eine Fleischplatte, dekoriert mit Cornichons und Silberzwiebelchen. Und den Wein lasse sie aus dem Wallis liefern. Von Visperterminen, das sei der höchstgelegene Rebberg der Welt. «Comme il faut», so die Frau.
Und wie es sich gehört, oder wie wir es ritualisiert haben, werden auch dieses Jahr kiloweise Weihnachtsguetzli gebacken, verziert, in Säckli abgefüllt und verschenkt. Und diese gebackenen Teigstücke verbinden uns untereinander und miteinander, und schliesslich sind wir ja aus ein und demselben Teig. Eine Urmasse aus Fleisch und Blut, die viel Raum einnimmt und in einer Zeit lebt, die in ein paar wenigen Stunden ablaufen wird. Aber bis zum Weltuntergang stehen wir draussen im Schnee dicht beieinander, mit roten Wangen vom Glühwein, und prosten uns zu.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2013