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Was hat Ernst Jandl mit Media Markt zu tun?

Von Klaus Bonano­mi - Der öster­re­ichis­che Dada-Dichter und Meis­ter des höheren Blödsinns hat vor eini­gen Wochen die Tex­ter von Bund und Bern­er Zeitung zu ungewöhn­lich­er for­maler Kreativ­ität inspiri­ert:

François Hol­lande zit­tert. Ver­liert er
die interne EU-
Abstim­mung,
ist seine Au-
torität in
der Par-
tei an-
ge-

schla-
gen.

wird jedoch die Er-
wartung geäus-
sert, dass der
Iran kün­ftig
per­ma­nent
auf Uran-
anrei-
che-
rung

verzich-
tet.

Das grosse, knall­rote, dreieck­för­mige Inser­at eines genan­nt sein wol­len­den Dis­coun­thaus­es, machte sich vor eini­gen Wochen auf ein­er Dop­pel­seite im Bund und in der Bern­er Zeitung bre­it; die Folge war, dass die darum herum drapierten redak­tionellen Texte wie unfrei­willige Par­o­di­en eines Jan­dl-Poems aus­sa­hen.

«Solcher­lei ist der­art hässlich, dass es wahrschein­lich sog­ar den Inser­enten stört; jeden­falls hast Du mir sei­ther kein Pyra­mi­den-Pano mehr ins Blatt gedrückt,», sagt der Chefredak­tor zum Ver­lagsleit­er. «Hof­fentlich ver­schwindet diese unsägliche Wer­be­form so plöt­zlich wieder, wie sie aufge­taucht ist!» — «Hof­fentlich nicht», kon­tert der Ver­lagsleit­er: «42‘496 Franken kostet ein solch­es Pyra­mi­den-Pano auf ein­er Dop­pel­seite im Bund und in der BZ, zuzüglich MWST, abzüglich Men­genra­batt, das ist viel Geld! Geld, das wir drin­gend nötig haben… son­st musst Du, lieber Chefredak­tor, eine weit­ere Spar­runde auf Dein­er Redak­tion ein­läuten!» Und der Ver­lagsleit­er hält dem Chefredak­tor die neuste Inser­at­es­ta­tis­tik unter die Nase: «Da, sieh sel­ber — die Jahres­bi­lanz von Media-Focus: 1,7 % weniger Inser­ate als im Vor­jahr, welch­es auch schon ein schlecht­es war. — Immer­hin, ich kann Dich etwas beruhi­gen: Auf dem Platz Bern siehts bess­er aus; dank unser­er ver­legerischen Koop­er­a­tion von Bund und BZ kon­nten die bei­den Zeitun­gen ihre Inser­at­evol­u­men erhöhen.»

Der Dia­log ist fik­tiv, die Real­ität dahin­ter sieht tat­säch­lich so aus: Um heute auf einen grü­nen Zweig zu kom­men, muss man auch rote Pyra­mi­den-Panos im Ange­bot haben und den Wer­beauf­tragge­bern, die bei der mageren Mark­t­lage am län­geren Hebel sitzen, immer mehr ent­ge­genkom­men. Ein Blick in den aktuellen Ange­bot­skat­a­log der BZ zeigt dabei, dass der Phan­tasie der Inser­ate-Platzier­er keine Gren­zen geset­zt sind: Da gibts etwa den «Mono­lithen», ein Inser­at, das sich über eine, zwei oder drei ganze Zeitungss­pal­ten hochzieht; es gibt halb- und viertelkre­is­för­mige und sog­ar ganz kreis­runde Inser­ate; das «Quadralit-Pano», das den ganzen Rand rund um eine Dop­pel­seite herum belegt; den «Front-Kopf­streifen» auf der Titel­seite direkt unter dem grossen Schriftzug der «Bern­er Zeitung», oder das «Boge­nanzeigen-Pano», einen Kreis­bo­gen, der sich unter dem Text auf ein­er Dop­pel­seite hinzieht.

Doch solch­er Scheus­slichkeit­en nicht genug — es fall­en weit­ere Tabus; im Tessin hat eine Tageszeitung erst­mals die ganze Front­seite für ein Inser­at zur Ver­fü­gung gestellt, und die BZ hat in jüng­ster Zeit ver­schiedentlich die ganze Seite 3 für ganz­seit­ige Inser­ate freigegeben. Bish­er galt, dass die recht­sliegen­den Seit­en, die beim Blät­tern in der Zeitung zuerst ins Auge sprin­gen und die deshalb «wertvoller» sind, dem redak­tionellen Text gehören und dass die Inser­ate links zu ste­hen kom­men.

Mit vere­in­ten Kräften sägen Zeitun­gen und Wer­beauf­tragge­ber an dem Ast, auf dem sie sel­ber sitzen: Wenn die Wer­bung so offen­sichtlich wichtiger ist als der redak­tionelle Text, wenn die Kun­st des Zeitungs­machens nur noch darin beste­ht, die Leer­räume neben den Inser­at­en irgend­wie aufzufüllen, warum sollte dann jemand noch für ein BZ-Jahresabo 339 Franken bezahlen? Wir kaufen die Zeitung doch nicht wegen der Inser­ate, son­dern wegen der redak­tionellen Inhalte… Natür­lich ist es noch ein weit­er Unter­schied zu den reinen Gratis­blättchen à la «Bern­er Bär» oder «20 Minuten»; und natür­lich ist es jet­zt bere­its so, dass die Inser­enten weit mehr als die Leserin­nen und Leser an die Kosten ein­er Zeitung beitra­gen: Doch das höch­ste Gut, die Glaub­würdigkeit und Unab­hängigkeit, wird ern­stlich gefährdet, wenn die Zeitun­gen dem Druck der Wer­beauf­tragge­ber immer mehr nachgeben. Let­ztlich ist dies nicht im Inter­esse der Wer­beauf­tragge­ber, die mit ihren Inser­at­en in der unab­hängi­gen und ernst zu nehmenden «Qual­ität­s­presse» doch ger­ade ein Umfeld suchen, das sich vom Bil­lig-Image des Gratis­blättchens unter­schei­det. Doch diese Botschaft ist bei den Inser­enten noch nicht angekom­men: Eine Umfrage des Westschweiz­er Ver­legerver­ban­des ergab Mitte Jan­u­ar, dass die Wer­beauf­tragge­ber von den Zeitungsver­legern «mehr Flex­i­bil­ität» und fordern und «die Bere­itschaft, über Preise zu ver­han­deln.»

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Feb­ru­ar 2004