Von Roja Nikzad — »[…] Women have always been poor, not for two hundred years merely, but from the beginning of time. Women have had less intellectual freedom than the sons of Athenian slaves. Women, then, have not had a dog’s chance […]. That is why I have laid so much stress on money and a room of one’s own.” (Virginia Woolf, A Room of One’s Own)
Frauen haben heute Chancen und Möglichkeiten alles zu wagen, was ihnen beliebt: Hochschulausbildungen, Karriere, eigener Besitz, Bungee-Jumping, Reisen, Abenteuer, sexuelle Befreiung – die Liste ist endlos und lässt sich täglich erweitern. Ist das Leben schwierig? Natürlich ist es das, da die individualistisch geformte Kapitalistenwelt ein herzloses Terrain ist, auf dem sich jeder – weiblich oder männlich – wenn sie/er etwas erreichen will, warm anziehen muss. Haben Frauen schlechtere Karten als Männer? Es scheint so; gesprochen wird von gläsernen Decken, familienunfreundlichen Arbeitsplätzen und Gesellschaftsstrukturen, mangelnden Betreuungsangeboten. (Beiläufig: warum sind diese Themen immer noch auf Frauen beschränkt?). Klar ist auch, dass es Frauen noch lange schwerer haben werden, da sie rein historisch bedingt hinterherhinken und noch zu wenig Zeit verstrichen ist, als dass man behaupten könnte, Frauen hätten ihre Identität gefunden und gelernt mit gutem Gewissen ein selbstbestimmtes, unanhängiges Leben zu führen. Noch immer – bald 100 Jahre nach Woolf – hat nicht jede Frau ihr Geld und ein eigenes Zimmer, auch in der westlichen Welt nicht.
Doch hier erwächst die erste Frage: Sind die oben genannten Gründe eine hinreichende Erklärung dafür, warum Frauen häufig nicht gewillt sind den Kampf aufzunehmen? Die Notwendigkeit für die ewige Suche im Sinne unserer weiblichen Vorreiterinnen nicht mehr erkennen, den Zweck einfach vergessen haben? Was ist bloss aus den kraftvollen feministischen Strömungen geworden, die in den 70ern vielleicht manchmal etwas zu extrem, dennoch für die Rechte und Weiterentwicklung der Hälfte der Bevölkerung eingestanden sind und damit nicht wenig erreicht haben?
Emazipatorische Fragen zu stellen, scheint 2011 nicht mehr en vogue. In Gesprächen, versuchen Frauen sich nur noch ihre «rückschrittlichen» Entscheidungen zu suggerieren und sich einzureden, dass so das Leben viel erstrebenswerter – in anderen Worten einfacher – ist. Die einst gehegten Träume und Pläne werden, sobald die biologische Uhr einsetzt, so tief vergraben, dass sie nicht mehr an die Oberfläche dringen. Hauptsache man schafft es, wenn auch um den Preis der Selbstaufgabe, die gesellschaftskonforme sichere Mittelmässigkeit, mit Mann, zwei Kindern und vielleicht noch einem Halbtagsjob zu leben. Niemand fragt danach, ob es eigentlich vertretbar ist, dass eine Unsumme an Steuergeldern in die Ausbildung von Frauen investiert wird, die danach weder ihr Wissen noch ihre Möglichkeiten in der Berufswelt ausschöpfen, sondern tratschend um den Sandkasten sitzen.
Wie hat es unsere Gesellschaftsform nur geschafft eine Generation von Frauen zu züchten, die von Angst so kompromittiert ist, dass sie nicht mehr in der Lage ist für sich selber einzustehen, sondern sich ohne Scham in Rollenmuster ergibt, die die 68er Bewegung mit solch grosser Leidenschaft auszuhebeln versucht hat. Warum treten wir mit Füssen, was andere für uns erreicht haben? Es wird einem Angst und Bange bei dem Gedanken, dass die vielen unglaublich starken Frauen – von Wollstonecraft über de Beauvoir und Woolf – seit dem 18. Jahrhundert umsonst für eine egalitäre Welt kämpften, weil heute die Frauen nicht mehr kämpfen können (oder wollen?). Bereits 1929 äusserte Virginia Woolf Folgendes: «[…] you will agree that the excuse of lack of opportunity, training, encouragement, leisure and money no longer holds good.» Heute muss man sich fragen, ob sich die moderne Frau überhaupt bewusst ist, wie sie zur modernen Frau wurde und was es bedeutet die Chancen zu haben, die sie hat. Wieviel unbeugbare Kraft dahinter steht, dass wir heute die Möglichkeit haben uns zu erfinden und vielleicht unbeschrittene Wege zu gehen, könnten wir nur etwas Mut aufbringen.
Dieser scheint aber abhanden gekommen zu sein, glaubt man den plausiblen Veranschaulichungen in Bascha Mikas neuem Buch «Die Feigheit der Frauen»: «Bequemlichkeit, Selbstbetrug, Feigheit. Und freiwillige Unterwerfung. In diesem Milieu gedeiht das Kümmersyndrom prächtig. Es verschafft uns heimliche Macht, eine, die wir nicht erobern müssen. Die aber irgendwann unser Leben vergiften kann. Als Ausputzerin lassen wir uns die gesamte Familienarbeit aufbuckeln. Für den Moment erscheint uns das vielleicht als ein notwendiger, zeitlich begrenzter Kompromiss. Dabei stellen wir in Wahrheit die Weichen für den Rest unseres Lebens.» Viele Punkte vom Kümmersyndrom bis hin zur freiwilligen Unterwerfung, die Mika zusammenträgt, sind bestimmt fast allen Frauen bekannt. Doch obwohl sich «jedfrau» ab und an in «ungesunden» Strukturen ertappt, muss doch ein Bewusstsein vorhanden sein für Umbruch, Weiterentwicklung, Wandel. Manchmal will man solche Aussprüche lieber nicht hören, weil es so unendlich anstrengend ist, sich immer wieder aus Rollenmustern herauszuwinden, aber lohnt sich der Effort nicht? Sollten wir nicht in die Offensive gehen für eine fortschrittlichere Zukunft und sei es nur, weil wir es dem zukünftigen Leben unserer ungeborenen Töchter schulden?
«I should remind you how much depends upon you, and what an influence you can exert upon the future.» – Wie richtig Woolf doch auch heute noch liegt.
Wir müssen uns bewusst machen, dass viele Strömungen in der Gesellschaft, der Politik oder jedweder anderer «geheimer Mächte» nicht zu unseren Gunsten arbeiten – man vergegenwärtige sich nur die Machenschaften der Still-Aktivistinnen, die rund um die Welt agieren und Frauen auf besonders perfide Weise zurück zu Kind, Haus und Herd manipulieren, wie Elisabeth Badinter es in «Der Konflikt» prächtig veranschaulicht.
Und eben weil dies so ist, müssen Frauen wieder lernen zu kämpfen, um die Stärke zu entwickeln gegen Widerstand privater und öffentlicher Art anzulehnen und sich zu wehren – dies beginnt im kleinen, scheinbar unbedeutenden Leben jeder einzelnen Frau. Nur so kann langsam aber stetig Veränderung kommen und ein neues gesundes Gefühl, dass man sich als Frau verwirklichen darf, dass man sich nicht aus dem Berufsleben zurückziehen muss, weil man glaubt es gäbe keine andere Möglichkeit, dass man den Kinderwunsch hegen darf und soll, ohne das man Mutterschaft zur neuen Religion mit gravierenden Folgen überhöht (erschreckend veranschaulicht in Judith Warners Perfect Madness).
Vielleicht existieren noch keine wirklichen Lösungen, die das Frausein effektiv vereinfachen würden, ebenso wenig gibt es universale Antworten auf die zahlreichen Fragen im Leben der Frau, jedoch lege ich jeder Frau ans Herz hinzuschauen und die Angst zu besiegen ebenso wie die Suche nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in einer Art fortzuführen, die unsereren strauchelnden und hadernden Vorreiterinnen gerecht und unseren Nachfahrinnen den Weg hoffentlich erleichtern wird.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2011