Von Martin Sigrist — Der 30-jährige Yoann Lemoine wurde als Illustrator und für seine Musikvideos etwa für Katy Perry und Lana del Rey bekannt. Unter dem Namen Woodkid hat er kürzlich sein erstes Album «The Golden Age» veröffentlicht. Sein dramatisches Werk präsentiert der Wahl-New Yorker momentan auf Tour. Mit dabei sind sein Orchester, Visuals und selbstverständlich seine Musik. Ensuite traf Yoann in Zürich.
Soll ich Dich Yoann oder Woodkid nennen?
Yoann, denn Woodkid ist das Projekt, nicht ich. Ich stelle mich nicht als Woodkid vor.
Wie sehr es ist Projekt oder ein Alter Ego?
Das weiss ich selber nicht, es ist eher ein Code für mein Projekt und wie mich Leute als Musiker nennen. Selbst nenne ich mich nicht so, ich bin immer die gleiche Person.
Wie geht es Dir denn?
Mir geht es gut, aber ich bin müde, denn ich habe gerade ein Album veröffentlicht. Ich wusste vorher nicht, dass das so anstrengend ist. Um ehrlich zu sein wäre ich lieber in den Ferien. Ich möchte weit weg sein, aber ich honoriere die Arbeit, die ich ins Album gesteckt habe und die es nun mit sich bringt. Ich mag die Arbeit, auch die Promoarbeit, denn es tut gut, über das Projekt zu sprechen. So verstehe ich Dinge oftmals besser. Obwohl, ich weiss nicht, ob es Arbeit ist. Ich weiss überhaupt nicht was es ist. Ich mache Musik.
Siehst Du Dich als Künstler?
Eher als Unterhalter. Ich mag das Wort, denn ich unterhalte die Leute. Wir brauchen Unterhaltung um glücklich zu sein. Ich möchte, dass die Leute offener werden. Aber ich möchte die Welt und die Leute nicht verändern, ich mache keine Politik. Ich verändere die Leute vielleicht für ein paar Minuten, wenn die Leute meine Musik anhören. Darum mache ich das alles.
Was erwartest Du von deinem Publikum?
Das weiss ich nicht so genau. Es soll durch meine Musik bewegt werden. Sei es durch Trauer oder Wut, Nostalgie, Empathie oder Gewalt. Ich möchte, dass die Leute nach dem Konzert über die Musik nachdenken. Das funktioniert schon ein bisschen, ich bin also ein wenig zufrieden. Unterhaltung soll eine Reaktion des Publikums provozieren, es sozusagen aus der Komfortzone locken. Es geht darum, die Leute abzulenken und sie damit aus der Monotonie des Alltages zu holen.
Dein Album ist eine Art Geschichte. Das Publikum könnte sich zurück lehnen und das Produkt live konsumieren.
Meine Musik hat verschiedene Schichten. Man kann sie ohne Texte als ein Orchesterstück hören und sich durch die Harmonien bewegen lassen. Oder man schaut das Buch dazu an, die Visuals im Konzert, oder die Texte der Songs um den Inhalt zu verstehen. Diesen langsamen Prozess der Transformation vom Holz im Kindesalter zu dieser harten Marmorstadt der Erwachsenenwelt. Es geht um diese Metapher, wie der Körper und die Zellen sich als Reaktion auf die Umwelt verändern und dabei immer härter werden. Es geht darum, sozial erwachsen zu werden und wie man sich dabei schützt.
Verlangen damit Deine Konzerte nicht Vorwissen?
Die Leute sehen wohl nicht genau das, wenn sie sich das Album anhören. All das ist symbolisch genug, es gibt viele fehlende Teile, Löcher und unbekannte Zonen. Vielleicht sehen sie eine Liebesgeschichte, eine Heldengeschichte, oder einfach einen interessanten Produktionsprozess. Sie sehen, was sie sehen möchten, das ist mir recht. Die Leute brauchen also kein Vorwissen, müssen nichts darüber lesen und die Texte nicht kennen. Es ist unscharf genug, und weder Egotrip und noch meine Biographie. Was auf der Bühne passiert, kreiert Gefühle.
Es scheint Dir Spass zu machen, die Leute im Ungewissen zu lassen.
Ich spiele damit, denn ich mag diese Schatzsuche mit den Symbolen. Ich starte gerne Geschichten mit Symbolen, ohne klassisches Drehbuch, Dialoge oder Abfolgen. So denken Leute darüber nach, was sie sehen, und stellen es in Frage. Zeit und Raum werden verwischt und unscharf. Es bleiben Fragen und Antworten, und wenn du aus dem Konzert gehst bist du vielleicht zufrieden oder wütend. Auf jeden Fall sprichst du darüber. Ich versuche mit meiner Musik diese Spannung zu erzeugen.
Denken ist bei Deinen Konzerten nicht so einfach, es droht auf eine sehr spartanische Art eine Reizüberflutung.
Dahinter verstecke ich mich gerne. Ich bin zwar egozentrisch und prunkvoll was meine Arbeit angeht. Aber als Person verstecke ich mich gerne. Ich mag es nicht, im Fernsehen zu sein und auf der Strasse erkannt zu werden. Ich finde es unangenehm, wenn mich nach den Konzerten jemand um ein Autogramm bittet. Ich verstecke mich gerne hinter meiner Musik. Die grosse Leinwand und das Licht lenken von mir ab. Vielleicht habe ich nicht genug Vertrauen in mich, aber ich lerne, meinem Körper und meiner Stimme mehr zu vertrauen. Momentan finde ich meine Musik spannender als meine Person. Es geht nicht um mich, es geht darum, was ich mache.
Dennoch bist Du als Person umworben, alle wollen mit Dir arbeiten.
Ich arbeite gerne mit anderen Leuten zusammen. Ich bin ein Künstler, obwohl ich diesen Ausdruck nicht mag. Aber ich mag es, Dinge zu erschaffen, und ich liebe Leute, die das gut können. Mit denen möchte ich arbeiten, denn so lerne ich. Ich möchte weiterhin Videos für andere Künstler machen. Als Regisseur geht es nicht um mich, sondern um die Künstler in den Videos.
Und doch bist Du bekannt, gerade für Deine Videos.
Die wenigsten wissen wie ich heisse, wer ich bin und wie ich aussehe, obwohl sie meine Videos kennen. Das interessiert die nicht und das ist gut so, denn es geht nicht um mich. Bei den Videos habe ich gelernt, im Schatten zu sein, das ist wichtig als Regisseur. Wenn ich Spielfilme machen möchte, dann muss ich unbekannt sein. Ich muss unsichtbar sein, so dass sich die Leute durch meine Anwesenheit nicht verändern. Das war mir wichtig, als ich Woodkid angefangen habe. Ich wollte nicht, dass sich die Leute anders verhalten, wenn ich da bin.
Dann kommt der Hype, und Du bist auch einer.
Das ist in Ordnung, ich beschwere mich nicht. Aber ich möchte Regisseur sein und diese Möglichkeit nicht für Woodkid gefährden. Wenn ich sehe, dass es zu weit geht, dann höre ich mit Woodkid auf. Gerade jetzt verstecke ich mich mehr, denn ich möchte kein Gesicht sein, sondern Künstler. Es gibt so viele Leute, die bekannt dafür sind, für nichts bekannt zu sein.
Und viele Künstler machen gerade das: Sie verstecken sich.
Darum geht es mir nicht. Ich habe keinen Komplex, wer ich bin. Für mich ist das kein Spiel oder Konzept. Ich möchte einfach diskret sein. Ich habe Kritiker, und das verlangt nach einer Reaktion. Man darf meine Musik attackieren, aber man soll Leute nicht dafür attackieren, wer sie sind. Meine Musik wird angefeindet, das kommt als Teil des Erfolges. Ich bin selbst sehr kritisch, und darüber kann ich sprechen.
Kann da Woodkid nach diesem Album weiter bestehen, oder ist die Geschichte zu Ende erzählt?
Ich fürchte, dafür gibt es keinen Platz mehr. Zum einen bin ich künstlerisch jetzt woanders. Und zum anderen müsste es kohärent sein ohne sich zu wiederholen. Ich gebe mein Orchester wohl nicht auf, denn vielleicht mache ich ein zweites Album, vielleicht einen Soundtrack für meinen nächsten Film, oder als Nebenprojekt unter anderem Namen. Ich weiss es noch nicht. Ich möchte einfach momentan keine Musik machen. Was jetzt passiert, ist sehr heftig für mich. Ich brauche jetzt eine Pause.
Was ist der heftige Teil?
Die Pflicht nach der Veröffentlichung, verteidigen zu müssen was ich gemacht habe. Mich rechtfertigen zu müssen ist furchtbar. Ich sollte mich nicht schuldig fühlen für was ich mache.
Du klingst nicht sehr glücklich.
Das heisst nicht, dass ich künstlerisch nicht glücklich bin. Ich möchte einfach Musik machen, ohne sie zu veröffentlichen. Ich möchte weiterhin Dinge erschaffen. Ich werde sicher Regie führen, musikalisch aber eher Filmmusik machen oder als Hip Hop-Produzent arbeiten. Mein Album hat für die Produktion fünf Jahre gebraucht. Ich sehe nicht ein, warum ich das nächste in sechs Monaten machen sollte. Wie gesagt möchte ich Woodkid nicht wiederholen.
Bild: Ismael Moumin
ensuite, Mai 2013