Von Alexandra Portmann — «Die Kunst des zivilisierten Umgangs» ist das brüchige Schlagwort in Yasmina Rezas «Der Gott des Gemetzels». Seit dem 6. November ist das Erfolgsstück in der Inszenierung von Gabriel Diaz in den Vidmarhallen des Berner Stadttheaters zu sehen.
Das Publikum trifft auf eine in ein Terrarium versetzte Designerwohnlandschaft, in der verschiedene Repräsentationsgüter der modernen Wohlstandsgesellschaft angeführt sind. Die weisse, zum Sofa passende Nespressomaschine steht auf einem separaten Tisch mit weissem Service, bereit, die Gäste reichlich mit Kaffee zu versorgen. Kunstbücher und frisch aus Holland importierte Tulpen unterstreichen die zivilisierte Idylle, die von Paolo Contes «Via con me» begleitet wird. Der sterile Glasboden unterstreicht die tadellose Ordnung eines Mittelklassenhaushaltes. Die angestrengt wirkende Gemütlichkeit wird von Bühnenbildner Beni Küng offensichtlich durchbrochen. Unter dem Glasboden befindet sich ein wild mit Pflanzen überwucherter Erdboden, der mit einzelnen Versatzstücken der westlichen Zivilisation, beispielsweise einer Coladose, versehen ist. Die grüne Pflanzenwand im Hintergrund der Bühne entpuppt sich während der Vorstellung als multifunktionale Küche und die Toilette ist mit Schilf überwachsen. Das Wilde scheint in Diaz’ Inszenierung in die geometrische Ordnung des Menschen einzubrechen. Das Thema des Stückes ist expliziert und ein Theaterabend voller Gegensätze kann beginnen. Mensch gegen Natur, Nespresso gegen Rum, Weltbürger gegen Neandertaler.
Ausgangspunkt des Stücks ist das Treffen zweier Elternpaare, dessen Anlass ein Streit zwischen ihren Söhnen ist. Der elfjährige Ferdinand hat seinem Klassenkameraden Bruno während eines Streits mit einem Bambusstock einen Schneidezahn ausgeschlagen. Diese scheinbar absichtliche Aggressivität seitens Ferdinands wird von Brunos Eltern nicht einfach hingenommen. Deshalb laden sie Ferdinands Eltern zum gemeinsamen Erfassen des Tatprotokolls ein. Es soll ein vernünftiges, fast freundschaftliches Gespräch über die pädagogischen Konsequenzen des Vorfalls werden, doch das Treffen läuft anders als geplant. Mit den zwei Elternpaaren treffen zwei Lebenskonzepte aufeinander. Auf der einen Seite stehen die Eltern des Opfers, Véronique und Michel, gespielt von Sabine Martin und Ernst C. Sigrist. Sie sind die Repräsentanten der integren Kunstliebhaber, versucht, ihren Kindern all das beizubringen, was die Schule versäumt. Auf der anderen Seite sind Alain und Annette, die Eltern des Täters. Heiner Take und Marianne Hamre zeigen, gestylt und gestresst, die Stereotypen der erfolgreichen Upperclassgesellschaft. Alain, Anwalt eines Pharmakonzerns, stört den Verlauf des Gesprächs durch ständige Handytelefonate. Sein offensichtlicher Wunsch, die erzwungene Zusammenkunft so schnell wie möglich zu beenden, provoziert Michel und Véronique umso mehr, die Dringlichkeit des Gesprächs immer wieder aufs Neue zu betonen. In einer zivilisierten Welt ist das Gespräch der einzige Weg zur Konfliktlösung. Ausfallendes Verhalten ist unerwünscht, wird aber gerade dadurch herbeigerufen. Je länger sich die vier Personen gemeinsam im Terrarium aufhalten, desto häufiger werden Verhaltensregeln gebrochen. Das Gespräch entwickelt sich von der geschickten Argumentation über die plakative Schuldzuweisung bis hin zur offenen Beleidigung. Der Kaffee wird durch Rum aus Guadeloupe ersetzt und das nervige Handy landet in der Tulpenvase. Die Paargemeinschaften werden aufgebrochen, deren Zugehörigkeit hinterfragt und die Wohnlandschaft verwüstet. Dabei wird nichts ausgelassen. Der Kreativität der Zerstörung sind keine Grenzen gesetzt. Das Chaos bricht in die Ordnung ein.
Rezas Stück parodiert den Kosmos der modernen, zivilisierten, bürgerlichen Gesellschaft und untersucht so deren Konfliktpotential. Das Stück läuft, vom Motor des Textes angetrieben, wie «geschmiert». Die treffsicheren Pointen sind platziert und ansprechend. Rhythmus und Ruhe, Nähe und Distanz sind die Pulsadern des Stücks. Gabriel Diaz und sein Ensemble zeigen die Gegensätze und Widersprüche, die bereits durch das originelle Bühnenbild eingeführt wurden. Die Situationskomik wird durch Rezas bissige Dialoge garantiert und in Rekurs auf unser aller Alltagserfahrung sowie auf die kleinen Nachbarschaftskämpfe verspricht die Berner Inszenierung von «Der Gott des Gemetzels» einen unterhaltsamen Theaterabend.
Infos: www.stadttheaterbern.ch
Foto: Philipp Zinniker
ensuite, Dezember 2009