Von Christoph Hoigné — Ein Garderobengespräch mit dem Theaterzauberer und Comedian Michel Gammenthaler, der soeben mit dem «Salzburger Stier» geehrt wurde, der höchsten Auszeichnung für Kabarettisten im deutschen Sprachraum. Der 38-jährige Aargauer spielt Mitte Mai im Berner Kleintheater La Cappella.
Sie haben kürzlich den Salzburger Stier erhalten. Was haben Sie als Erstes sagt, als sie es erfahren haben?
Nichts. Ich habe den Überbringer der Nachricht umarmt.
Wer war das?
Alexander Götz, ein Redaktor von Radio DRS 1, der für «Ohrfeigen» und «Spasspartout» arbeitet.
Und der kam persönlich bei Ihnen vorbei?
Ja. Er hat mich zuerst noch auf den Arm genommen und mir erzählt, sie wollten mich bitten, die Moderation der Preisverleihung zu übernehmen. Dann fuhr er fort, sie hätten es sich dann doch anders überlegt, weil es doch doof wäre, wenn der, der den Preis kriegt, auch moderiere. Da war ich echt geplättet.
Wie wichtig sind Preise in der Kleinkunst?
In diesem speziellen Fall ist er für mich sehr wichtig. Nicht nur, weil er sehr wahrscheinlich ein paar Türen öffnet. Als Kleinkünstler «wurstelt» man oft jahrelang vor sich hin und macht ein Programm nach dem anderen. Wenn man dann einen Preis bekommt, merkt man, dass man wahrgenommen wird. Speziell auf diesen Preis bin ich stolz, weil er auf einer langfristigen Beobachtung meiner Arbeit beruht. Ich hatte grad eine ziemliche Krise, habe gehadert und war nahe dran, aufzuhören. Aber als der Preis kam, war für mich sofort wieder klar: Weitermachen!
Sie sind Zauberer, Moderator, Comedian, Kabarettist – also ein sehr vielseitiger Künstler. Im aktuellen Programm sind Sie mit fünf verschiedenen Figuren auf der Bühne. Wie viel haben diese Figuren mit Ihnen zu tun?
Jede hat auf eine Weise mit mir zu tun. Manchmal ist es vielleicht nur die Art zu reden. Volker zum Beispiel, der esoterisch verklärte Wahlschweizer aus Deutschland, ist inspiriert von der Mutter eines ehemaligen Schulkameraden. Ich wusste lange nicht, was ich mit dieser Sprache machen soll, aber sie hat mir schon immer sehr gelegen. Hedy, meine alte Dame, ist entstanden, als ich mit dem Zivilschutz ein paar Nachmittage in einem Altersheim verbracht hatte. Ich war ziemlich schockiert und alarmiert. Mit dieser Figur hab ich das verarbeitet. Für Hedy bekomme ich sehr viele Reaktionen wie «Exakt wie mein Grosi» oder «Ich arbeite in einem Heim, und es ist genau so, wie es Hedy erzählt.» Das finde ich schön. Und ich mag eben Musik, Beats und Rhythmen. Deshalb lagen für mich auch das Rappen und der Tschisi sehr nahe. Diese Figur erhält momentan am meisten Resonanz, vor allem von Leuten, die sich für Sprache interessieren, weil viele Junge wirklich so reden. So löst jede Figur etwas aus.
Ihre Figuren kommen an, weil sie aus dem Leben gegriffen sind. Das heisst ja, die Menschen kommen gerne ins Theater, um etwas zu sehen, was sie kennen oder wiedererkennen.
Wenn ich neue Figuren schaffe, bin ich sehr darauf bedacht, nicht allzu irre oder abgedrehte Personnagen zu erfinden. Sie brauchen einen Bezug, eine Brücke zum Zuschauer. Eine Figur ist lustig, wenn sie eine eigene Weltsicht hat. Aber sie braucht auch eine Verbindung zum Zuschauer. Wenn eine Figur gar nichts mit der Lebenswelt des Zuschauers zu tun hat, dann berührt und packt sie ihn nicht. Mir ist auch aufgefallen, dass Leute an Stellen lachen, die gar nicht als Gag gemeint waren. Ich hab’ dann gemerkt, dass sie lachen, weil diese Stellen wahr sind und sie ein bisschen weh tun. Wenn Dinge wahr sind und weh tun, lachen die Leute. Das ist faszinierend.
Nächstes Jahr kommt Ihr neues Programm raus. Können Sie uns etwas darüber verraten?
Mich interessiert der normale Wahnsinn. Zum Beispiel in dem Dorf, in dem ich wohne. Auf den ersten Blick ist das ein ganz normales Dorf mit ganz normalen Leuten. Richtet man aber die Lupe auf die einzelnen Menschen, ihren Alltag, ihre Interessen, Meinungen oder ihren Umgang mit anderen Menschen, dann merkt man, wieviel Wahnsinn da herrscht. Ich meine das nicht negativ. Beispiel Vereinsmeierei. Da springen sich die Leute manchmal schon fast an die Gurgel, wenn es um die Reihenfolge der Traktanden geht. Oder selbsternannte Quar-tierüberwacher oder Vogelspinnenzüchter … das ist manchmal so irr! Man muss gar nicht weit suchen. Und all das interessiert mich. Das Exotische in unserem Alltag.
Wie setzen Sie das um? Gibt es wieder ein Programm mit Figuren?
Ja, ich werde bestimmt wieder einige Figuren spielen. Ich habe auch vor, viele jetzige Figuren loszulassen. Das ist für mich wie das Verlassen der Komfortzone, denn bei diesen Figuren bin ich momentan noch sehr zu Hause. Die eine oder andere wird es wohl auch ins neue Programm schaffen. Ich bin mir fast sicher, dass Hedy alle überleben wird, denn die ist mir schon sehr ans Herz gewachsen. Ansonsten habe ich wirklich Lust, neue Figuren zu erfinden. Eine Schwierigkeit ist, die Zauberei intelligent einzubauen. Sie muss im Programm auf irgendeine Weise gerechtfertigt sein. Man kann nicht einfach zaubern. Es muss einen Grund geben, warum eine Figur einen Zaubertrick vorführt. Aber schliesslich macht das ja auch viel Spass.
Zauberei ist eine sehr traditionelle Kleinkunstform und hat zurzeit einen eher schweren Stand. Es gibt schon TV-Shows, die Zaubertricks erklären und die ganze Magie zerstören. Können Sie sich erklären, warum das so ist?
Die Zauberszene ist wie ein Bergdorf: Man pflanzt sich nur innerhalb der Gemeindegrenzen fort, und der Nachwuchs wird immer dümmer. Das ist eine sehr bösartige Aussage, aber ich war vor ein paar Jahren am Weltkongress der Zauberer und habe gesehen, welche Nummern es in die Endrunde geschafft haben. Das war wirklich peinlich. Ich sehe aber auch andere Ansätze und Zauberer, die anfangen, die Zauberei mit anderen Kunstformen zu verbinden. Die funktionieren super. Von einem guten, innovativen Zauberer sind die meisten Leute nach wie vor sehr angetan. Ich glaube, eine verbreitete Motivation, Zauberer zu werden ist das Streben nach so etwas wie Allmachtsgefühl. Helge von Thun war früher auch mal Zauberer und der hat zu mir gesagt: «Zwischen einem Stand-Up-Comedian und einem Zauberer gibt es einen grossen Unterschied. Der Zauberer will eine schöne, wundervolle Welt schaffen, in der alle Zuschauer ihre Alltagssorgen vergessen und man selbst Übermenschliches vollbringt. Und der Comedian will genau das Gegenteil. Er spielt den Schwachen oder den Genervten und er bringt jenen Alltag auf die Bühne, den man vielleicht vergessen will. Das macht ihn viel menschlicher.
Mich nerven momentan weniger die Trick-Erklärer, die gibt es schon lange, sondern jene TV-Magier, die behaupten, sie seien echt, sie könnten wirklich Gedanken lesen oder übertragen oder was weiss ich. Das ist peinlich. Reins-te Volksverdummung.
Ich finde es spannend, wenn ein Zuschauer weiss, dass er jetzt getäuscht wird, dass ihm ein Trick vorgeführt wird. Das ist so eine Übereinkunft zwischen Zauberer und Zuschauer. Beide geben sich dem Spiel hin.
Sie äussern sich sehr kritisch über den Zauberer-Nachwuchs. Welchen Kolleginnen oder Kollegen würden Sie den Salzburger Stier verleihen?
Wer mich momentan am meisten vom Hocker haut, ist Martin O. Der hat sein ganz eigenes Ding entwickelt … das einfach a cappella zu nennen, wäre Rufmord. Was der Mann macht und wie er arbeitet, ist toll. Das begeistert mich über alle Massen. Helge und das Udo gefallen mir ausserordentlich. Die werden eindeutig zu wenig beachtet. Ulan und Bator, auch zwei Kollegen aus Deutschland, lieb’ ich sehr. Ihre Präzision und ihr Irrsinn sind einfach hinreissend.
Wie oft stehen Sie selber auf der Bühne?
Zwischen 120 und 140 Mal pro Jahr.
Also gibt es doch den einen oder anderen freien Abend. Was macht ein Bühnenkünstler an solchen Tagen?
Ich bin ein leidenschaftlicher Nichtstuer. Und ich habe eine Familie mit zwei Kindern, die sind vier und neun Jahre alt. Also ist das Nichts eh meist gefüllt. Ich schaue auch ex-trem gerne Filme. Früher ging drei- bis viermal pro Woche ins Kino. Das schaff ich heute nicht mehr. Wenn ich heute mal Zeit hab, bleibe ich gerne zuhause und gucke DVDs.
Was sagen Ihre Kinder zum Beruf ihres Vaters?
Das lässt sie ziemlich kalt. Sie kennen ja nichts anderes. Für sie ist das ganz normal. Der Papa zaubert halt und ist auf der Bühne und im Theater.
Was ist für Sie als Künstler der Unterschied, wenn Sie in einem kleinen oder einem grossen Saal spielen?
Ich spiele gerne in grossen Sälen. Der Schadau-Saal an der Thuner Künstlerbörse hat für mich zum Beispiel richtig gerockt. Das liebe ich heiss, da kommt das Adrenalin. In kleinen Theatern entsteht eben eine ganz spezielle, sehr intime und gelöste Atmosphäre, die mir auch sehr gut gefällt. In den grossen Mehrzwecksälen haben die Leute eher ein Fernseh-Verhalten. Sie schauen mir einfach zu.
Sie haben die Künstlerbörse erwähnt, die dieses Jahr vom 30. April bis 2. Mai in Thun stattfindet. Was halten Sie von dieser Veranstaltung als Mekka, Versammlungs- und Vermittlungsort der Kleinkunst?
Ich liebe die Börse heiss. Ich fühlte mich dort von Anfang an extrem willkommen, aufgehoben und geschätzt. Mittlerweile geh ich dort einfach hin, ohne einen Kurzauftritt oder einen Stand zu haben. Die vier Tage der Thuner Künstlerbörse gehören für mich zu den besten des Jahres. Meine Frau kommt auch immer mit, damit wir uns die Sachen so richtig schaufelweise reinziehen können. Für mich ist es ein Riesengeschenk, in so einer Szene beruflich tätig sein zu können. In welcher Branche gibt’s das schon, dass sich Auftraggeber und Auftragnehmer, Agenten und Journalisten beim Hallosagen umarmen, Partys feiern und sich echt freuen? Ich finde das extrem schön.
Emil Steinberger, einer der Überväter der Schweizer Komik, hat sich vor 25 Jahren von der Bühne verabschiedet. Aber er kann’s nicht so richtig lassen und macht seit Jahren wieder Lesungen und Auftritte. Macht die Bühne süchtig?
Meine Agentur fragt mich manchmal voller Sorge, ob mir die vielen Auftritte nicht zu viel werden. Darauf antworte ich immer: «Ich trete einfach schampar gerne auf!»
Foto: Christoph Hoigné
ensuite, Mai 2010