Von Bettina Hersberger - Vorhang auf für Le la Fee und ihre fabelhaften Wesen: das kleine Monster, Familie Türkis, Karo, das gelbe Paar, der Engel mit Sonne und Mama beim Schimpfen. Sie alle sind Figuren aus Kinderzeichnungen, die die Künstlerin Letizia Lenherr zum Leben erweckt hat.
Ihr Début gaben Letizias Wesen im vergangenen Herbst in der Berner Vitrinen-Galerie «contrast» in der Kramgasse, wo sie viel Aufsehen erregten. Sie liessen Passanten nicht einfach vorbeiziehen, sie zogen sie förmlich in ihren Bann. Ein zwinkerndes Auge, ein breites, grinsendes Maul, aus dem spitze Zähnchen blitzen, eine ganze Truppe lustiger Gesellen mit langen blauen Haaren. Unmöglich, daran einfach vorbeizugehen. Wenn man ein wenig verweilte vor dem Galeriefenster, konnte man die Truppe sogar tuscheln hören. Beim genaueren Betrachten fiel der Blick auf die Zeichnungen an der Wand, deren Protagonisten den Wesen zum Verwechseln ähnlich sahen. Man erkannte rasch, dass diese Kreaturen keineswegs zufällig entstanden waren, sondern dass die Künstlerin selbst sie ursprünglich in früher Kindheit erschaffen hatte.
Es war das kleine Monster, das die Künstlerin und Kunstpädagogin dazu verführte, es in eine plastische Gestalt zu verwandeln. Die Idee, Figuren aus Kinderzeichnungen auferstehen zu lassen, spukte ihr aber lange vorher schon im Kopf herum. Zusammen mit ihrer Schwester verbrachte die heute 30-jährige Letizia Lenherr viel Zeit damit, Erlebnisse, Phantasien und Wahrnehmungen der frühen Kindheit zu zeichnen. Die Mutter schrieb alle Zeichnungen sorgfältig an mit Namen, Datum und Stichworten, die ihr die Kinder dazu gaben. Und mit der gleichen Sorgfalt sammelte und archivierte sie sämtliche frühkindlichen Werke.
Im Zusammenhang mit ihrer Diplomarbeit begann Letizia darüber nachzudenken, wie Kinderzeichnungen entstehen. Sie versuchte sich vorzustellen, was in einem Kleinkind vorgeht, wenn es zeichnet oder malt. Stellt sich das Kind die Form dreidimensional vor, bevor es den Stift oder den Pinsel ansetzt? Oder reduziert es in der Vorstellung das Objekt bereits auf zwei Dimensionen? «Diese Fragen, die wir nicht oder nur teilweise beantworten können, sind für mich das Geheimnis, das mich zur Arbeit mit den Wesen inspiriert.» Diesem Geheimnis auf der Spur, wollte Letizia der zweidimensionalen Form ihre dritte Dimension zurückgeben und damit eine plastische, greifbare Gestalt schaffen. Sie begann, die Stapel ihrer Kinderzeichnungen im Dachstock des Elternhauses zu durchstöbern, zu sortieren, zu betrachten und studieren. Sie ging der Entstehung ihrer Zeichnungen auf den Grund, liess eine Erinnerung nach der anderen Revue passieren, versuchte, den geheimnisvollen Gestalten eine Identität zurückzugeben. Die Gestalten sollten genau so aussehen, wie sie damals gezeichnet wurden von der kleinen Künstlerin.
Die ersten Wesen entstehen in einem aufwendigen Prozess. Sie sind unverkäuflich. Aber das Interesse an den Ausstellungsobjekten ist so gross, dass Letizia Lenherr beschliesst, Wesen aus Kinderzeichnungen auf Wunsch künstlerisch umzusetzen. Sie schafft damit ein Spannungsfeld zwischen Kunst- und Spielobjekt.
«Vincent und Papa und Vincent Papa sis Auto», lautet der Titel der Kinderzeichnung eines kleinen Jungen, aus der Letizia einer Figur Leben einhauchen soll. Was jetzt noch unbeweglich in Form von wenigen Linien auf Papier gebannt ist, soll bald ein greifbarer Spielgefährte sein. In liebevoller Kleinst-
arbeit entsteht ein Körper mit Armen, Beinen, einer Frisur, einem Gesicht. Für jedes Detail sucht die Künstlerin das passende Material. Die Farben will sie möglichst originalgetreu übernehmen. Manche Wesen aus Kinderzeichnungen sind bunt ausgemalt und mit vielen Details bestückt. Andere bestehen aus wenigen Linien in einer einzigen Farbe. Dann muss Letizia die Farben in ihrer eigenen Phantasie entwickeln. So kreiert sie aus einer einzig mit braunen Linien gezeichneten Figur ein entzückendes Geschöpf mit flauschigem Körper, lila Löffelohren und einem bunt-getupften Ringelschwänzchen. Aufgestickte Augen und Nase geben dem frisch geschaffenen Wesen ein Gesicht.
Eine neue Kreation ist oft gleichzeitig ein Experiment. Wie lassen sich abstehende Haare umsetzen? Oder Beine, so dünn wie ein Bleistiftstrich? Aber von Herausforderungen wie diesen lässt sich eine Fee nicht abschrecken: «Ich weiss immer genau, wie ein Wesen werden soll und betrachte es erst als vollendet, wenn es exakt so aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe.» Das Ergebnis ist weit mehr als die Summe seiner Einzelteile: Es ist ein Wesen, das lebendiger ist als eine beliebige Puppe. Es ist einzigartig, kein austauschbares Geschöpf, denn es besitzt eine Seele aus der Phantasie eines Kindes. Jedes einzelne Wesen ist eine kleine Persönlichkeit.
Ihren nächsten Auftritt haben Letizia Lenherrs Wesen in einer Gruppenausstellung im Chrämerhuus in Langenthal.
strich&faden – Vernissage: 4. April, 17:00h, Finissage: 24. April (Kulturnacht), www.chraemerhuus.ch.
Info: www.madebyLe.com
Foto: Letizia Lenherr
ensuite, März 2009