Von Guy Huracek — Im Gespräch mit Viktor Giaccobo und Mike Müller:
Herr Giacobbo, Sie arbeiten als Komiker, Drehbuchautor und leiten auch das Casinotheater in Winterthur. Was ist eigentlich Ihre Berufsbezeichnung?
Ich überlasse die Bezeichnungen meistens den anderen. In der Steuererklärung steht Kabarettist und Autor. Das ist die stiere Berufsbezeichnung, manchmal bin ich halt Schreiber, manchmal Schauspieler, Produzent, Moderator oder Verwaltungsratpräsident. (schaut ernst, beugt sich nach vorne und sagt leise) Ich bin ein bisschen überfordert mit dieser Frage.
Haben Sie einen Lieblingswitz, Herr Giacobbo?
(Antwortet wie aus der Pistole geschossen): Nein. Ich habe keinen einzelnen Witz, und ich erzähle auch keine Witze. Ich habe es gern, wenn der Witz spontan aus dem Gespräch entsteht. Geschriebene, beziehungsweise auswendig gelernte Witze sind für die Bühne oder das Fernsehen. Konfektionswitze habe ich nicht, und ich kann mir auch keinen merken.
Sie mögen also Situationskomik?
Ja. Ich meide Witze-Erzähler. Wenn jemand anfängt Witze zu erzählen, weiss man, wenn man ihn nicht stoppt, ist er in einer Stunde immer noch dran.
Bei Spontaneität besteht die Gefahr, Grenzen zu überschreiten: Was ist für Sie im Humor ein Tabu?
Ich habe grundsätzlich keine Tabus. Der Begriff Tabu ist mir eh zu pompös, und ich beurteile Themen auch nicht nach Tabu und Nicht-Tabu. Es gibt Jokes, die ich nicht machen will, weil ich sie nicht lustig finde. Man kann also sagen, Tabu ist ein Joke, der nicht funktioniert.
Ich spreche Sie vor allem auf gesellschaftliche Tabus an.
Hier kommt es drauf an, was der Satiriker sagen will und wen er treffen will. Es hängt von seiner Zielscheibe ab. Wenn er Leute treffen will, die sowieso immer an die Kasse kommen, dann kann er das machen, aber es fällt auf ihn zurück. Ich meine hier jetzt gesellschaftliche Gruppen und nicht einzelne Politiker. (überlegt, schmunzelt) Die müssen damit leben.
Können Sie dies konkretisieren?
Sagen wir mal, es macht jemand einen antisemitischen Witz, dann fällt das auf ihn zurück. Dann gibt es auch die Witze, die beispielsweise eine antisemitische Haltung thematisieren, das könnte man dann als Metahumor bezeichnen. Das heisst: Die Leute müssen um zwei Ecken herumdenken können und das Subjekt nicht mit dem Objekt verwechseln. Tabu oder nicht Tabu, damit kann ich eigentlich nicht viel anfangen.
Aber Euer Humor provoziert auch. wie weit dürfen Sie da gehen?
Provozieren soll es gelegentlich auch. Das hat mit Tabus nicht viel zu tun. Natürlich, jeder Joke über den Papst ist ein Tabu für einen fundamentalistischen Katholiken. Aber das ist nicht mein Tabu. Mein Tabu wäre … (überlegt) … mich missverständlich auszudrücken und jemanden aus Versehen zum Ziel zu nehmen. Oder mich über anonyme Opfer lustig zu machen. Aber das würde ich nicht mit dem Wort Tabu belegen, sondern ich würde sagen, dass ich darüber einfach keinen Joke machen will. Das Wort Tabu löst bei einigen Leuten ein spontanes Denkverbot aus und gleichzeitig fallen sie in einen Empörungsmodus.
Worüber möchten Sie denn keinen Joke machen?
Beim Fernsehen zum Beispiel möchte ich nicht irgend einen Unbekannten vor die Kamera zerren und lächerlich machen. Bei Strassenumfragen wird dieser Vorsatz zwar etwas geritzt, doch die Leute treten freiwillig vor die Kamera. Für mich sind das Grenzen, wo man entscheiden muss, will man das senden und sich die Leute selber lächerlich machen lassen oder nicht?
Die Sendung Giacobbo/ Müller zielt auf viele aktuelle Themen. Verbirgt sich in Ihrem Humor eine Kritik an der Gesellschaft?
Verbirgt? Ich kenne kaum einen guten Komiker, der morgens aufsteht und sagt, heute bin ich wieder mal streng gesellschaftskritisch. So entsteht garantiert keine lustige Pointe. Komiker gehen vom Witz aus. Sie wollen die Leute unterhalten – mit Humor und Witz und nicht mit Gesellschaftskritik. Die Satiriker allerdings unterhalten die Leute mit Witzen, die sie aus der Realität schöpfen. Dabei brauchen sie eine Ingredienz, die unverzichtbar ist, einen eigenen Standpunkt. Wenn jemand eine Haltung hat, dann muss er sich nicht überlegen wie gesellschaftskritisch er ist. Jeder gute Satiriker macht zwischendurch eine Pointe, die er einfach lustig findet, Gesellschaft hin oder her. Und so funktioniere ich auch. Die Satire ist in erster Linie eine Form der intelligenten Unterhaltung und nicht der didaktisch-moralischen Erbauung.
Wie sehen Sie die Zukunft von der Sendung Giacobbo/ Müller?
Ouu, da sehe ich immer nur die nächste Sendung. Solange wir Lust haben, die nächste Sendung zu machen, sehe ich die Zukunft relativ gut. Ich habe schon früher immer nur so lange etwas getan, wie es mir Spass machte. Für mich ist das Fernsehen nicht das Ein und Alles.
Was ist dann das Ein und Alles für Sie?
Es gibt das Ein und Alles nicht. Es gibt einfach viele verschiedene Möglichkeiten, kreativ zu arbeiten. Das Schöne an meiner Tätigkeit ist, dass ich wechseln kann. Ich kann nicht sagen wo Giacobbo/ Müller in einem Jahr steht. Ich mache prinzipiell nur Jahresverträge, damit ich dann aufhören kann, wenn es mir keinen Spass mehr macht.
Herr Müller, wie weit darf man im Humor gehen?
Es ist eine reine Geschmacksfrage. Wir gehen nur so weit, wie es unser Geschmack zulässt. Solange wir es lustig finden, machen wir es. Es gibt eine juristische Seite. Wir haben in der Schweiz, wie auch in vielen europäischen Ländern, das Prinzip der Konzession. In der ist ziemlich klar festgelegt, was man darf und was man nicht darf.
Was darf man beispielsweise nicht?
Man darf beispielsweise keine religiösen Symbole in den Dreck ziehen. In der Satire ist dies kein Problem. Ein religiöses Symbol hat in der Regel nichts mit einer politischen Aktualität zu tun.
Aber in der Sendung Giacobbo/ Müller haben Sie auch die Minarette thematisiert.
Ja. Aber bei den Minaretten ist das etwas Anderes. Wir haben nicht irgendwelche Witze über die Minarette gemacht, sondern über die Minarett-Initiative. Ich finde nicht, dass die Satire alles darf. Die Grenze liegt zwischen dem, was man lustig findet und was nicht. Machen wir ein Beispiel. Verschüttete Kinder in Haiti. (schaut ernst) Es ist einfach eine tragische Geschichte. Ein anderes Beispiel: Ein Jugendlicher wurde in Aarau niedergeschlagen. Kommt jemandem etwas Lustiges in den Sinn? Mir nicht.
Sind Witze über tragische Geschichten für Sie generell geschmacklos?
Was heisst schon geschmacklos, das ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Ich finde es einfach nicht lustig. Harte Witze finde ich dann nicht lustig, wenn es nur darum geht, zu beweisen, dass man hart ist. Provokation um der Provokation willen, das interessiert mich nicht. Das gibt es zwar in der Komik. Aber jeder soll selber entscheiden können, ob er das machen will oder nicht.
Welche Themen interessieren Sie?
Mich interessiert ein politischer oder aktueller Witz. Das kann auch nur eine Bemerkung sein. Wir machen ja auch nicht nur Witze, sondern auch viele Bemerkungen, spotten, reden über ein Thema. Es gibt verschiedene Ebenen von Witz, Humor oder Komik. Es ist manchmal lustig, wenn sich eine Figur in einer falschen Situation falsch verhält. Das ist dann Situationskomik.
Ihre Sendung vertritt Ihre Meinung. Haben Sie auch eine Message?
Nein wir haben keine Message. Das wäre fatal. Wir haben eine Haltung zu den politischen Ereignissen. Das braucht es auch. Es ist aber sehr subjektiv. Ich verstehe daher auch, wenn Leute anderer Meinung sind und es nicht lustig finden. Wenn wir eine Message hätten, würde das bedeuten, dass wir in Anspruch nehmen, gewisse Sachen besser zu wissen als andere. Wir gehen davon aus, dass unser Publikum politisch interessiert ist. Aber wir machen dies nicht, weil wir für politisch Interessierte etwas machen wollen. Wir machen es, weil es uns interessiert. Das könnte man zwar als Egoismus auslegen, aber ich glaube, dass das in der Komik gar nicht anders möglich ist. In der Satire kann man nur das machen, was einen selber interessiert, sonst ist man nicht lustig.
Wie unterscheidet sich Giacobbo/ Müller hinsichtlich der politischen Satire im Vergleich zu einer deutschen Late-Night-Show?
Unsere Sendung bildet eine andere politische Wirklichkeit ab als in Deutschland. In Deutschland gehen Politiker selten in eine Late-Night-Show. Bei uns geht das, weil die Politik breiter verhandelt wird. Sie ist näher an den Leuten, das Land ist kleiner, man hat mehr Auseinandersetzungen. Durch das Referendum haben wir eine viel stärkere Durchmischung mit der Gesellschaft – ich erachte das als einen riesigen Vorteil. Auf jeden Fall haben wir die «Classe-politique» nicht, wie die SVP es ständig behauptet. Das trifft eigentlich nur auf sie selber zu, weil sie permanent Wahlkampf führen (läuft rot an). Die SVP ist eine »Classe-politique», eine neue. Aber sonst sind die Parlamentarier näher an den Leuten. Das heisst aber nicht, dass sie die richtigen Lösungen finden, wie beispielsweise bei den Krankenkassen.
Von welchen Gruppen erhalten sie am meisten negatives Feedback?
Die bösesten Briefe bekommen wir von religiös-fundamentalistischen Gruppen. Die fühlen sich ständig angesprochen. Sie sind erstens Humorfrei – egal welche Religion – und zweitens sprechen sie immer von Diffamierung, obwohl sie in ihrem Weltbild selber diffamieren. Zum Beispiel Schwule, Unverheiratete, die Sex haben, Verheiratete, die ausserehelichen Sex haben und einfach Leute, die nicht in ihr Weltbild passen. Ein Beispiel ist die katholische Kirche, die hat fundamentalistisches Gedankengut. Zumindest der Papst. So wie der über andere Randgruppen spricht, haben wir noch jahrelang das Recht, über die katholische Kirche herzuziehen.
Fotos: Christian Harker
ensuite, Februar 2010