- ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst - https://www.ensuite.ch -

Where the Condors Fly

Von Son­ja Wenger — Der chilenisch-deutsche Filmemach­er und Musik­er Car­los Klein war ein junger Mann, als er Anfang der neun­ziger Jahre mit einem Fre­und und sein­er Filmkam­era nach Patag­o­nien reiste, wo sich gewaltige Urland­schaften erheben und wo Kon­dore durch die Lüfte gleit­en. Es war dieselbe Zeit, in der eine gewaltige Bilder­flut in Form aus­ländis­ch­er Filme nach Chile schwappte, das sich nach Jahrzehn­ten der Pinochet-Dik­tatur ger­ade im Prozess ein­er Redemokratisierung befand. Klein kon­sum­ierte damals so viele Filme, dass ihm, wie er zu Beginn von «Where the Con­dors Fly» sagt, dabei irgend­wann der Glaube an die Kraft der Bilder abhan­den kam – was ihn jedoch nicht daran hin­derte, weit­er Film zu studieren und Doku­men­tarfilme zu drehen.

Als der rus­sis­che Doku­men­tarfilmer Vik­tor Kos­sakowsky, der seinen neuen Film «¡Vivan las Antipo­das!» vor­bere­it­ete, Klein um Hil­fe bei der Suche nach Drehort­en in Patag­o­nien anfragte, nutzte dieser die Gele­gen­heit, seinen Glauben wiederzufind­en, indem er einem kom­pro­miss­losen Kün­stler über die Schul­ter schaute und dabei dessen eigen­willig kreativ­en Schaf­fen­sprozess begleit­ete. Her­aus­gekom­men ist dabei «Where the Con­dors Fly», ein liebevolles Kün­stler­porträt von Kos­sakowsky, der sich mit Leib und sein­er ganzen rus­sis­chen Seele dem Filmemachen ver­schrieben hat, sowie ein kurzweiliger, infor­ma­tiv­er und humor­voller Blick hin­ter die Kulis­sen der Kine­matografie.

Die Reise führte Klein dabei mehrfach um die halbe Welt, denn Kos­sakowsky wollte mit seinem Film Orte und Men­schen, die auf der einen Seite der Erde leben, mit Orten und Men­schen von der genau gegenüber­liegen­den Seite verbinden – Antipo­den eben: der Baikalsee in Sibirien und Patag­o­nien, Vil­laguay in Argen­tinien und Shang­hai in Chi­na. Der Russe wollte her­aus­find­en, was diese Men­schen verbindet und tren­nt, beschäftigt oder bewegt, und dies alles in per­fek­ten Bildern, die weit über das hin­aus­ge­hen soll­ten, was das Kinop­ub­likum son­st zu sehen bekommt. Per­fekt mussten die Bilder und Ein­stel­lun­gen sein, nicht nur ein­fach gut, das reiche nicht, sagt der hochemo­tionale und stre­itlustige Kos­sakowsky mehrfach in unter­halt­samen Inter­views, die er eigentlich gar nicht geben will, und die doch so vieles preis­geben.

Ohne viele Worte zeigt Klein, wie dieser Berserk­er für das beste Bild Gruben aushebt, ein Flus­sufer umbaut, Heiss­luft­bal­lone loss­chickt oder Autos aufs Dach dreht, wie er aus­rastet, wenn er nicht die richtige Kam­er­alinse zur Ver­fü­gung hat, oder sein Team auf­scheucht, weil er eine Spinne am Fen­ster fil­men will. Egal wer was tut, es muss ein­fach schön sein und berühren ist seine Devise, und er lebt sie in sein­er Arbeit zur Vol­len­dung. Exzen­trik ist das falsche Wort, einen Men­schen wie Kos­sakowsky zu beschreiben, ein wahrer Kün­stler dürfte dem schon näher kom­men. Dass Klein dabei von seinem Pro­tag­o­nis­ten viel Kri­tik zu seinem eige­nen Konzept ein­steck­en muss macht den Film nur umso span­nen­der und men­schlich­er. Beson­ders, als Klein am Ende Kos­sakowskys vier Regeln des Filmemachens aufzählt, die darauf abzie­len, so ehrlich, über-raschend und eigen­ständig wie nur möglich zu sein, die jedoch damit schliessen, diese Regeln auf keinen Fall zu befol­gen, son­dern seine eige­nen aufzustellen.

Insofern hat sich Klein bestens geschla­gen. Er schliesst sein Porträt mit einem Augen-zwinkern, das Kos­sakowsky in dieser Gelassen­heit wohl kaum gelun­gen wäre. Und genau diese Eigen­ständigkeit macht «Where the Con­dors Fly» zu ein­er Gold­grube für alle jene, die unter Ästhetik mehr ver­ste­hen, als rein äussere Schön­heit, die sich Fra­gen stellen über die Rolle des Kinos, und die es auch aushal­ten, wenn Kos­sakowsky bei einem Lied oder ein­er gelun­genen Kam­er­ae­in­stel­lung schon mal die Trä­nen über die Wan­gen laufen.

«Where the Con­dors Fly», Deutschland/Schweiz 2012. Regie: Car­los Klein. Länge: 90 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2013