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Editorial Nr. 113: Who cares?

Von Lukas Vogel­sang – Wir kaufen heute Pro­duk­te, weil deren Aktienkurse hoch ste­hen, und wir wiegen uns im Glauben, dass dadurch die Sicher­heit in der Wahl gestützt ist. Es ist selt­sam, dass wir den so arg kri­tisierten und unsozialen Banken und Speku­lanten immer noch mehr Glauben schenken als dem ein­fachen und ver­ständlichen men­schlichen Denken. Geld regiert alles – Geld regiert auch das Kul­turschaf­fen – so gerne wir etwas anderes glauben möcht­en. Viel mehr als Geld bewe­gen wir in der Kul­tur­wirtschaft kaum noch. Die kün­st­lerische Qual­ität messen wir am Preis, an Ein­tritt­stick­ets, am Massenkon­sum, am Pro­fil­ierungs­grad oder ein­fach am Unter­hal­tungswert.

Kul­tur, als Dialog­plat­tform ein­er Gesellschaft definiert, wird nicht ver­mit­telt. Gefördert wird das Indi­vidu­um, nicht das gesellschaftliche, men­tale Wach­s­tum ein­er sich mit dem Leben und Lebens­for­men auseinan­der­set­zen­den Gesellschaft. Gefördert wer­den auch die «Leucht­türme», die lebende Denkmäler, oder aber poli­tis­che Sin­nverkör­pe­run­gen darstellen sollen. Und wenn Pius Knüsel von der Pro­Helev­tia jet­zt meint, mit weniger wür­den wir mehr erre­ichen, dann liegt er eben­so daneben, wie wenn wir das Gefühl haben, dass alle alles machen sollen. Quan­tität ist im kul­turellen Schaf­fen kein Qual­itäts­fak­tor, anständi­ge kul­turelle und kün­st­lerische Konzepte braucht dieses Land.

Frap­pant ist dieser Fakt im Hin­blick auf die Umge­bung Zürich, welche sich sehr stark im Denken vom und um den Franken leit­en lässt. So sitzen alle mächti­gen Kul­tur­förderin­sti­tu­tio­nen und Stiftun­gen der Schweiz in Zürich – dirigieren aber nicht das ideelle kün­st­lerische Schaf­fen, son­dern nur dessen Finanzierung. Das führt unweiger­lich zu ein­er ern­stzunehmend falschen Kul­tur­förderdiskus­sion, die dum­mer­weise schweizweit wirkt. Als Beispiel sei hier der Kul­tur­preis von Zürich ange­sprochen, mit 40’000 Franken dotiert, der an die bere­its mehrmals geförderte und erfol­gre­iche Musik­erin Sophie Hunger geht, mit der Begrün­dung, dass sie damit inter­na­tion­al noch mehr erre­ichen könne. Sophie Hunger wird auf Radio DRS3 zur Zeit pro Monat unge­fähr zwei Mal gespielt (Ver­gle­ich Züri West an einem Tag, 18.4.2012: 52 Mal) – hat sie mit dem Geld wirk­lich grössere Chan­cen im Aus­land? (Quelle: www.airplay.ch)

Kul­turver­mit­tlung (der Begriff ist bis heute nicht definiert) hätte eigentlich den Auf­trag, solche Ver­ständ­nis­lück­en aufzuar­beit­en, doch die meis­ten Ver­mit­tlungs-Pro­jek­te dienen der Über­leben­shil­fe einzel­ner Kün­st­lerIn­nen oder Kul­turschaf­fend­en, welche Men­schen zu ani­mieren ver­suchen, sel­ber einen Pin­sel in die Hand zu nehmen oder The­ater zu spie­len. Schön, wenn alle pin­seln kön­nen – das hat als ther­a­peutis­che sich­er eine grosse und wichtige Wirkung. Lei­der hat das mit Kun­st rel­a­tiv wenig zu tun, und für das Kul­turgut müssten wir sicher­lich mehr Wertschätzung an den Tag leg­en. Im Gegen­teil: der Qual­itäts­be­griff wird durch dieses «Jeka­mi» schwammig. Deswe­gen ist es auch ver­ständlich, wenn sich bürg­er­liche Parteien jew­eils gegen Kul­turgelder aussprechen. Bei diesem «Chrüsimüsi» in der Kul­tur­förderung, in der Kun­st­de­f­i­n­i­tion, und über­haupt in den Begrif­f­en rund um Kul­turelles ver­ste­ht man nur noch «Bahn­hof». Das ermüdet die Men­schen und es ist logisch, dass sie sich unter diesen Umstän­den der Kul­tur­diskus­sion entziehen. Kul­tur und Kun­st ist anstren­gend. «Das» ist der wahre Feind der schwinden­den Besuch­er­ströme unser­er Kul­turin­sti­tu­tio­nen: Kul­tur find­et nur noch aufge­set­zt und ohne Gesellschaft statt. Oder etwa nicht?

Offen­sichtlich herrscht das Desin­ter­esse –eben auch in der Poli­tik. Gutes Beispiel ist in der Stadt Bern die Unter­suchung, welche seit let­ztem August 2011 um die Abteilung Kul­turelles läuft. Auf­grund von meinem Artikel über eige­nar­tige Kul­tur­förderzustände, welche ich öffentlich und mit klaren Argu­menten dar­legte, wurde nach ¾ Jahren endlich ein erstes Ergeb­nis veröf­fentlicht: «Alles in bester Ord­nung.» Wers glaubt wird selig. Selb­stver­ständlich wurde nicht ein einziger Vor­wurf wider­legt. Wieso auch? – Nie­mand aus der Poli­tik oder aus der Bevölkerung würde auf­grund ein­er solchen kleinen «Medi­en­no­tiz» ins Grü­beln kom­men. Oder bess­er: Es ist Wahl­jahr, wer möchte frei­willig die oder der böse Kul­tur­mies­mach­er-Poli­tik­erIn sein? Wer sollte sich wehren? Die Kün­st­lerIn­nen, welche von den Sub­ven­tio­nen leben? Die Kul­turin­sti­tu­tio­nen, welche von den Sub­ven­tio­nen leben? Das Pub­likum, welch­es sich schon lange hoff­nungs­los aus den öffentlichen Konzepten der Kul­tur ver­ab­schiedet hat und seine eige­nen Wege sucht?

Es ist wohl nicht falsch, hier zu erwäh­nen, dass die Medi­en­mit­teilung dazu, vom Bern­er Gemein­der­at ver­fasst (dieser ist nicht verpflichtet alles zu veröf­fentlichen, oder über alles Rechen­schaft abzule­gen), am Don­ner­stag, 5. April, 12.01 Uhr, vor Ostern, kurz nach Mit­tag über die Press­es­telle veröf­fentlicht wurde, zu welchem Zeit­punkt der zur Auskun­ft beorderte Beamte, der Finanzin­spek­tor per­sön­lich, zufäl­liger­weise bere­its für zwei Wochen in die Ferien gefahren war. Gras wächst bekan­ntlich schnell. Der Bericht wird wohl nie öffentlich, eine weit­ere offizielle und kor­rek­te Unter­suchung wird es wohl nie geben – noch wird jemand, auss­er mir, das The­ma weit­er ver­fol­gen. Allerd­ings wurde mir in der ganzen Zeit von allen Seit­en bestätigt, dass nie­mand wirk­lich weiss, wie die Kul­tur­förderung der Stadt wirk­lich funk­tion­iert. Nie­mand in der Poli­tik ken­nt die Regle­mente.

Doch damit sind wir in Bern nicht allein: Ein eben­so illus­tres Beispiel hat die Stadt Zürich mit der, zum Glück, abge­sagten Online-Kul­tur­plat­tform für 975’000 Franken (Bud­get für den Test­be­trieb von zwei Jahren) vom let­zten Novem­ber. Da wurde von der Stadt­präsi­dentin Corine Mauch im Gemein­der­at verkün­det, dass die Stadt Zürich mit diesem Beitrag eine Event-Daten­bank einkaufen würde, eine ein­ma­lige Chance. Nur: Im Kleinge­druck­ten der Vere­insstatuten zwis­chen der Migros (Mitini­tiantin) und der Stadt Zürich stand deut­lich, dass die Migros die Daten­bank nur lei­h­weise zur Ver­fü­gung stelle. Eingekauft hätte man also nichts – im Gegen­teil, die wirk­lichen Kosten wür­den erst nach zwei Jahren anfall­en – bei einem Miet­preis ein­er Daten­bank von geschätzten 100’000 — 200’000 Franken pro Jahr kann man den Kauf­preis erah­nen.

Doch, wen inter­essiert das? Wür­den solche Zustände mit kleineren Beträ­gen im Baugewerbe, bei den Sozialver­sicherun­gen oder bei der Nation­al­bank herrschen, wären die Zeitun­gen wochen­lang vollgeschrieben, und Köpfe wür­den rollen. Ich habe mit meinen kleinen Fra­gen und Aufze­ich­nun­gen ins­ge­samt nur lausige 1.5 Mil­lio­nen Steuer­franken ange­sprochen, die, aus öffentlichen Käs­seli, von irgendwem bezahlt wer­den, der sich dies als Leis­tung zugute hal­ten kann. Kul­tur als Sta­tussym­bol ist wohl immer noch sehr hoch im Kurs, da ver­mag der Markt ein paar Stim­mungss­chwankun­gen ver­tra­gen.

Who cares?


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 113, Mai 2012