Von Lukas Vogelsang – Wir kaufen heute Produkte, weil deren Aktienkurse hoch stehen, und wir wiegen uns im Glauben, dass dadurch die Sicherheit in der Wahl gestützt ist. Es ist seltsam, dass wir den so arg kritisierten und unsozialen Banken und Spekulanten immer noch mehr Glauben schenken als dem einfachen und verständlichen menschlichen Denken. Geld regiert alles – Geld regiert auch das Kulturschaffen – so gerne wir etwas anderes glauben möchten. Viel mehr als Geld bewegen wir in der Kulturwirtschaft kaum noch. Die künstlerische Qualität messen wir am Preis, an Eintrittstickets, am Massenkonsum, am Profilierungsgrad oder einfach am Unterhaltungswert.
Kultur, als Dialogplattform einer Gesellschaft definiert, wird nicht vermittelt. Gefördert wird das Individuum, nicht das gesellschaftliche, mentale Wachstum einer sich mit dem Leben und Lebensformen auseinandersetzenden Gesellschaft. Gefördert werden auch die «Leuchttürme», die lebende Denkmäler, oder aber politische Sinnverkörperungen darstellen sollen. Und wenn Pius Knüsel von der ProHelevtia jetzt meint, mit weniger würden wir mehr erreichen, dann liegt er ebenso daneben, wie wenn wir das Gefühl haben, dass alle alles machen sollen. Quantität ist im kulturellen Schaffen kein Qualitätsfaktor, anständige kulturelle und künstlerische Konzepte braucht dieses Land.
Frappant ist dieser Fakt im Hinblick auf die Umgebung Zürich, welche sich sehr stark im Denken vom und um den Franken leiten lässt. So sitzen alle mächtigen Kulturförderinstitutionen und Stiftungen der Schweiz in Zürich – dirigieren aber nicht das ideelle künstlerische Schaffen, sondern nur dessen Finanzierung. Das führt unweigerlich zu einer ernstzunehmend falschen Kulturförderdiskussion, die dummerweise schweizweit wirkt. Als Beispiel sei hier der Kulturpreis von Zürich angesprochen, mit 40’000 Franken dotiert, der an die bereits mehrmals geförderte und erfolgreiche Musikerin Sophie Hunger geht, mit der Begründung, dass sie damit international noch mehr erreichen könne. Sophie Hunger wird auf Radio DRS3 zur Zeit pro Monat ungefähr zwei Mal gespielt (Vergleich Züri West an einem Tag, 18.4.2012: 52 Mal) – hat sie mit dem Geld wirklich grössere Chancen im Ausland? (Quelle: www.airplay.ch)
Kulturvermittlung (der Begriff ist bis heute nicht definiert) hätte eigentlich den Auftrag, solche Verständnislücken aufzuarbeiten, doch die meisten Vermittlungs-Projekte dienen der Überlebenshilfe einzelner KünstlerInnen oder Kulturschaffenden, welche Menschen zu animieren versuchen, selber einen Pinsel in die Hand zu nehmen oder Theater zu spielen. Schön, wenn alle pinseln können – das hat als therapeutische sicher eine grosse und wichtige Wirkung. Leider hat das mit Kunst relativ wenig zu tun, und für das Kulturgut müssten wir sicherlich mehr Wertschätzung an den Tag legen. Im Gegenteil: der Qualitätsbegriff wird durch dieses «Jekami» schwammig. Deswegen ist es auch verständlich, wenn sich bürgerliche Parteien jeweils gegen Kulturgelder aussprechen. Bei diesem «Chrüsimüsi» in der Kulturförderung, in der Kunstdefinition, und überhaupt in den Begriffen rund um Kulturelles versteht man nur noch «Bahnhof». Das ermüdet die Menschen und es ist logisch, dass sie sich unter diesen Umständen der Kulturdiskussion entziehen. Kultur und Kunst ist anstrengend. «Das» ist der wahre Feind der schwindenden Besucherströme unserer Kulturinstitutionen: Kultur findet nur noch aufgesetzt und ohne Gesellschaft statt. Oder etwa nicht?
Offensichtlich herrscht das Desinteresse –eben auch in der Politik. Gutes Beispiel ist in der Stadt Bern die Untersuchung, welche seit letztem August 2011 um die Abteilung Kulturelles läuft. Aufgrund von meinem Artikel über eigenartige Kulturförderzustände, welche ich öffentlich und mit klaren Argumenten darlegte, wurde nach ¾ Jahren endlich ein erstes Ergebnis veröffentlicht: «Alles in bester Ordnung.» Wers glaubt wird selig. Selbstverständlich wurde nicht ein einziger Vorwurf widerlegt. Wieso auch? – Niemand aus der Politik oder aus der Bevölkerung würde aufgrund einer solchen kleinen «Mediennotiz» ins Grübeln kommen. Oder besser: Es ist Wahljahr, wer möchte freiwillig die oder der böse Kulturmiesmacher-PolitikerIn sein? Wer sollte sich wehren? Die KünstlerInnen, welche von den Subventionen leben? Die Kulturinstitutionen, welche von den Subventionen leben? Das Publikum, welches sich schon lange hoffnungslos aus den öffentlichen Konzepten der Kultur verabschiedet hat und seine eigenen Wege sucht?
Es ist wohl nicht falsch, hier zu erwähnen, dass die Medienmitteilung dazu, vom Berner Gemeinderat verfasst (dieser ist nicht verpflichtet alles zu veröffentlichen, oder über alles Rechenschaft abzulegen), am Donnerstag, 5. April, 12.01 Uhr, vor Ostern, kurz nach Mittag über die Pressestelle veröffentlicht wurde, zu welchem Zeitpunkt der zur Auskunft beorderte Beamte, der Finanzinspektor persönlich, zufälligerweise bereits für zwei Wochen in die Ferien gefahren war. Gras wächst bekanntlich schnell. Der Bericht wird wohl nie öffentlich, eine weitere offizielle und korrekte Untersuchung wird es wohl nie geben – noch wird jemand, ausser mir, das Thema weiter verfolgen. Allerdings wurde mir in der ganzen Zeit von allen Seiten bestätigt, dass niemand wirklich weiss, wie die Kulturförderung der Stadt wirklich funktioniert. Niemand in der Politik kennt die Reglemente.
Doch damit sind wir in Bern nicht allein: Ein ebenso illustres Beispiel hat die Stadt Zürich mit der, zum Glück, abgesagten Online-Kulturplattform für 975’000 Franken (Budget für den Testbetrieb von zwei Jahren) vom letzten November. Da wurde von der Stadtpräsidentin Corine Mauch im Gemeinderat verkündet, dass die Stadt Zürich mit diesem Beitrag eine Event-Datenbank einkaufen würde, eine einmalige Chance. Nur: Im Kleingedruckten der Vereinsstatuten zwischen der Migros (Mitinitiantin) und der Stadt Zürich stand deutlich, dass die Migros die Datenbank nur leihweise zur Verfügung stelle. Eingekauft hätte man also nichts – im Gegenteil, die wirklichen Kosten würden erst nach zwei Jahren anfallen – bei einem Mietpreis einer Datenbank von geschätzten 100’000 — 200’000 Franken pro Jahr kann man den Kaufpreis erahnen.
Doch, wen interessiert das? Würden solche Zustände mit kleineren Beträgen im Baugewerbe, bei den Sozialversicherungen oder bei der Nationalbank herrschen, wären die Zeitungen wochenlang vollgeschrieben, und Köpfe würden rollen. Ich habe mit meinen kleinen Fragen und Aufzeichnungen insgesamt nur lausige 1.5 Millionen Steuerfranken angesprochen, die, aus öffentlichen Kässeli, von irgendwem bezahlt werden, der sich dies als Leistung zugute halten kann. Kultur als Statussymbol ist wohl immer noch sehr hoch im Kurs, da vermag der Markt ein paar Stimmungsschwankungen vertragen.
Who cares?
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 113, Mai 2012