Von Karl Schüpbach — Die folgenden Ausführungen werden Reaktionen provozieren, dessen bin ich mir bewusst, die wir als Gemeinplätze bestens kennen. Ein Gemeinplatz? Mit seiner Hilfe tauchen wir ab in die Anonymität, wir exponieren uns nicht mit einer individuellen, persönlichen Meinungsäusserung. Gleichzeitig bedeutet ein Gemeinplatz, wie im Titel verwendet, eine faule Ausrede, um Gedankengänge, vielleicht unbequeme, nicht hinterfragen zu müssen. Angstmacherei? Ich höre sie, die Ausrufe: wie kann man sich, in einer Zeit, wo für die Kulturellen Institutionen der Stadt Bern politisch so wichtige Entscheide anstehen, so unbedacht und respektlos äussern? Dazu nur soviel: wenn kritische Äusserungen, in korrekter Form vorgebracht, in einer kulturpolitischen Diskussion keinen Platz mehr haben, sollten wir unsere Zukunft kampflos in die Hände der SVP legen.
Salzburg, Dezember 1960 Der Beginn meines Violin-Studiums an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg lag noch keinen Monat zurück, als mich der Zahlkellner im Cafe Bazar mit den Worten begrüsste: «Guten Tag Herr Konzertmeister, Ihre NZZ liegt am gewohnten Tisch. Ich habe den KURIER dazugelegt, Sie finden im Innern einen Vergleich der beiden an den Festspielen in derselben Rolle auftretenden Tenöre Giuseppe di Stefano und Franco Corelli. Wenn ich bitten darf, Ihre Meinung darüber würde mich sehr interessieren».
Bern, im Verlaufe des Jahres 2000, kurz vor meiner Pensionierung Diese Melodie werde ich nie vergessen: «Ich habe Sie gestern abend im Orchestergraben des Stadttheaters gesehen, anlässlich der Aufführung der Operette «Die Fledermaus». Heute nun sprechen wir miteinander nach einem Sinfoniekonzert im Casino. Kann man wirklich in beiden Orchestern mitspielen? Und wenn ich gerade am Stellen von Fragen bin: welches ist Ihr eigentlicher Beruf?»
Zwei grundverschiedene Einstellungen zu ein und demselben Berufsstand und seine Konsequenzen:
Österreich Ich habe hier den weitgeschwungenen Bogen gezogen vom Anfang meiner Studien in Österreich bis hin zum Abschluss meiner beruflichen Laufbahn in der Schweiz. Im Nachbarland der Respekt dem Musiker gegenüber, auch wenn er noch in den Lehrjahren steckt, bis hin – in der Schweiz – zur völligen Ignoranz, und das nach 37 (!) Jahren Arbeit im Berner Symphonieorchester (BSO).
Im Falle Österreich darf ich es nicht mit der so sympathischen Begegnung mit dem Zahlkellner bewenden lassen, ich würde dem Land damit keinen Dienst erweisen. Wesentlich ist, dass dem angehenden Berufsmusiker Achtung und Respekt entgegen gebracht werden, und das auf Schritt und Tritt. Unvergesslich bleiben mir die Studienangebote: Sie können bei MusikerInnen von Weltklasse Kurse belegen, ohne jegliche Formalitäten, bei einmal erfolgter Aufnahme in die Akademie. An die Höhe der Studiengebühren kann ich mich nicht mehr erinnern, wohl aber daran, dass sie, im Vergleich mit der Schweiz, äusserst bescheiden waren. Mehr noch: drei Monate nach Studienbeginn wurde mir mitgeteilt, dass ich mit sofortiger Wirkung punkto Studienkosten den Österreichern gleichgestellt würde.
Im Kapitel Schweiz wird viel die Rede sein von Strukturen, vom Zusammenarbeiten von Laien und BerufsmusikerInnen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass ich hier vom diesbezüglich Erlebten in Salzburg spreche. Gleichzeitig mit meinen Studien für Violine und Kammermusik, war ich Mitglied der damals europaweit sehr bekannten Camerata academica des Mozarteums Salzburg. Dieses Kammerorchester bestand aus ProfessorInnen der Akademie, ihren Studenten und ehemaligen Studenten, die aber ausnahmslos die Reifeprüfung absolviert haben mussten. Die Camerata war der Akademie angegliedert, der Geldgeber war somit der Staat. Ich wurde sehr bald als Studentenvertreter in den Vorstand des Orchesters gewählt. Und nun das Entscheidende: ich habe es nie erlebt, dass ein Nicht-Musiker an Sitzungen anwesend war, alle Entscheidungen wurden auf rein professioneller Ebene gefällt.
Berühmt ist die absolute Selbstverwaltung der Wiener Philharmoniker. Als Nicht-Musiker arbeiten für dieses wunderbare Orchester ein Steuerberater und ein paar Sekretärinnen. Alle anderen Chargen, inklusive die Geschäftsführung, werden von aktiven Musikern, seit einiger Zeit auch Musikerinnen, besetzt. Man hört immer wieder den Einwand, dies sei nur möglich, weil die Philharmoniker keine Staatssubventionen erhalten. Tatsächlich arbeitet das Orchester dank den Schallplatten-Verträgen selbsttragend. Die absolute Existenzsicherheit bietet den Mitgliedern aber ihre gleichzeitige Arbeit in der Staatsoper. Damit profitieren sie natürlich von den millionenschweren Subventionen des Staates an dieses wunderbare Opernhaus. Nein, es gibt in dieser Frage kein typisch schweizerisches, besser wissendes «ja, aber…» Ob man es gerne hört oder nicht: die Wiener Philharmoniker, und ihre Mitglieder geniessen in Österreich soviel Respekt und Prestige, dass sich kein Laie dafür hält, sich in ihre Belange einzumischen!
Schweiz Dank dem Amtsantritt von Paul Klecki, dem international hoch geachteten Dirigenten, bin ich 1964 nach Bern zurückgekehrt. Bei seinem Amtsantritt als Chefdirigent hat Klecki das Orchester vergrössert, und ich konnte eine Stelle in den ersten Violinen des Orchesters antreten. Beruflich, als Geiger, bin ich heute immer noch dankbar für diese Entwicklung, durfte ich doch teilnehmen an einer sensationellen Qualitätssteigerung des Orchesters, die nach Klecki von den Dirigenten Charles Dutoit, Dmitrij Kitajenko und Andrey Boreyko weitergeführt wurde. Alle Hoffnungen ruhen nun auf Mario Venzago, dass es ihm gelingen möge die Aufwärtsentwicklung fortzusetzen. In der Orchesterpolitik dagegen, blies mir von Anbeginn sofort ein kalter Gegenwind ins Gesicht: von ausschliesslich professioneller Entscheidungsbefugnis war und ist – wie wir gleich sehen werden – nichts mehr spürbar. Das Sagen hatten und haben Laien, die in allen möglichen Gremien auch heute noch über komfortable Mehrheiten verfügen. Dies gilt für die ganze Schweiz. Ich möchte mich hier aber auf Bern konzentrieren. Sie werden, liebe Leserinnen und Leser, momentan Zeugen eines kulturpolitischen Vorganges in Bern – der Zusammenführung des BSO und des Stadttheaters Bern in die Institution Musik-Theater-Bern – die in brutalster Art und Weise klar macht, wie es mit dem Respekt und dem Prestige von Künstlern in unserer Stadt bestellt ist. Ich vernachlässige eine Fülle vom diesbezüglich negativen Material, und beschränke mich auf den momentanen Stand der Dinge.
Der Kulturmanager Cyrill Häring, also ein Laie, wurde beauftragt, ein Modell zur Zusammenlegung der beiden Institutionen zu erarbeiten. Seine aus professioneller Sicht völlig absurde Lösung lautete: Abschaffung der Sparte Ballett – Einschränkung der Aktivitäten sowohl in der Oper als auch im Konzertbetrieb – dank der damit gewonnenen Einsparungen Erhöhung der künstlerischen Qualität. Die Abschaffung des Balletts wurde vom Kanton abgeblockt, der Bericht Häring aber dennoch als wertvolle Diskussionsgrundlage hochgejubelt. Und weiter geht es mit der selbstherrlichen politischen – laienhaften – Schicksalsbestimmung von Künstlerinnen und Künstlern, wenn Herr Tschäppät, der Stadtpräsident von Bern in der Zeitung «Der Bund» (10. Dezember 2010) aussagen darf: «Wir haben im Gemeinderat über eine mögliche Schliessung einzelner kultureller Institutionen diskutiert (…).» Allein die Erwähnung, dass eine solche Diskussion statt gefunden haben soll ist skandalös. Sie beinhaltet auch eine Fehlinterpretation der Bernischen WählerInnen: der Gemeinderat, allen voran der Stadtpräsident würden einen solchen kulturellen Kahlschlag politisch mit Sicherheit nicht überleben! Herr Tschäppät, wofür soll ich mich entscheiden? Mit dieser Diskussion nehmen Sie entweder skrupellos die Streichung von zahlreichen der Kultur angegliederten Arbeitsplätzen in Kauf, oder aber Sie signalisieren einen unwürdigen Kniefall vor der SVP, die sich ja nichts sehnlicher wünscht als Kürzungen bei der Kultur, die ihr eines Tages gefährlich werden könnte. Zu guter Letzt, immer im Zeichen der Respektlosigkeit vor KünstlerInnen, werden die beiden Herren Dr. Hans Lauri, alt Ständerat, und Dr. Marcel Brülhart beauftragt, beides Laien, die Wahlen und die endgültige Gestaltung von Musik-Theater-Bern an die Hand zu nehmen. An Stelle von langatmigen Theorien die direkte Frage an die beiden Herren: Verfügen Sie wirklich über die notwendigen beruflichen Voraussetzungen, um zwei so hochsensible, hochspezialisierte Institutionen zusammenzuführen? Ein möglicher Einwand, es handle sich nur um die Vorbereitung von Wahlen der Persönlichkeiten, denen die Ausgestaltung der definitiven Entscheidungen obliegen wird, sticht nicht. Diese Auswahl müsste durch professionelle Künstler erfolgen!
Angstmacherei Ich höre sie, die oben erhobenen Vorwürfe, wichtige Personen wie die Herren Tschäppät, Lauri und Brülhart in so entscheidenden Zeiten anzugreifen. Ich tue dies in korrekter Form, und halte aus diesem Grunde nichts von der Angst vor allfälligen Zornreaktionen der betroffenen Herren. Es gibt genügend politische Kontrollmechanismen, denen sich auch hochgestellte Persönlichkeiten unterziehen müssen.
Wir sind hier in der Schweiz und nicht in Österreich Damit komme ich zu der wichtigsten Aussage meines Artikels, ich verdanke sie einem Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker, somit, wie gesehen, einem aktiven Orchestermitglied. Als guter Kenner der Schweizer Orchester-Szene vertraute er mir den unvergesslichen Satz an: «Ihr könnt unsere Selbstverwaltung, die auf sehr langer Tradition beruht, nicht von einem Tag auf den anderen einführen. Aber Euer System mit von Laien beherrschten Kommissionen und Ausschüssen hat keinerlei Zukunft. Daher solltet Ihr mit einem Neuaufbau in unserer Richtung lieber gestern als heute beginnen».
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2011