Von Luca D’Alessandro — Fünf Berner Studentinnen und Studenten der Berner Jazzschule haben zusammengefunden und Daliah gegründet. Daliah? «Der Name hat nichts mit Blumen zu tun», sagt Gründungsmitglied und Bassist Fabian Leanza im Interview mit ensuite — kulturmagazin. «Er geht gut von der Zunge, deshalb haben wir uns für Daliah entschieden. Eine tiefere Bedeutung sehen wir darin nicht», ergänzt Renee Leanza-Strasser, die Frontsängerin der Band.
Bedeutung legen die beiden hingegen dem bevorstehenden Auftritt am diesjährigen Gurtenfestival bei, wo sie ihr kürzlich erschienenes Album «1.0» präsentieren wollen. Eine CD, die von Rock, Pop, Reggae bis hin zum Chanson alles bietet.
Eigentlich ganz anders, als man es von einer Band mit Jazzhintergrund erwarten würde.
Fabian: Als Jazzmusiker müssen wir nicht zwingend Jazz spielen. Abgesehen davon bedienen wir uns im aktuellen Album der Methode des Jazz: Die klassische Form A‑B-A zieht sich durch fast jedes Lied hindurch.
Renee: Unser Background ist im Jazz. Der Kern der Band, also Fabian, Tobi der Bassist und ich, wir haben uns an der Jazzschule Bern kennengelernt. Eine Kleinformation, wenn wir so wollen. Allerdings sieht unser Konzept nebst Bass, Piano, Drums und Gesang auch weitere Instrumente vor, wie Bläser und Backgroundsängerinnen. Diese Positionen werden von Leuten besetzt, die wie wir an der Jazzschule studieren.
Wann spielt ihr im Grossformat, wann eher klein?
Fabian: Es kommt auf den Platz auf der Bühne an.
Im Juli steht ihr auf dem Gurten auf der Waldbühne – da werdet ihr viel Platz haben.
Renee: Für den Gurten werden wir selbstverständlich alle unsere Musikerinnen und Musiker aufbieten.
Fühlen sich die Backgroundsängerinnen und die Blasinstrumentalisten, also die Musiker
ausserhalb des Kerns, überhaupt als Teil von Daliah?
Renee: Auf jeden Fall sind sie ein Teil von uns. Sie üben mit uns auf die Auftritte hin und spielen auch eine wichtige Rolle bei der Einspielung eines Albums. Diese Art der Zusammenarbeit ist aber nur möglich, wenn die Arrangements im Voraus festgelegt sind. Wir haben kein Leadsheet, das uns frei-interpretierbare Vorgaben für Improvisationen gibt. Unsere Arrangements sind ziemlich starr. Klar, auch wir haben Soloparts, diese sind in der Regel improvisiert.
Fabian: Diese spielen wir dann, wenn uns die Leute nicht mehr zuhören wollen (lacht). Seien wir ehrlich, wer interessiert sich schon für ein Solo?
Wieso nicht?
Fabian: Soli sind für Leute interessant wie du und ich; also Leute, die sich tagtäglich mit Musik befassen und sie gerne im Ohr zergehen lassen. Ein Musikliebhaber hört aus einem Solo heraus, wie es aufgebaut ist, welche Tonleitern oder Stilfiguren zum Einsatz kommen. Aber in der Welt der Popmusik wollen die Hörerinnen und Hörer einen Song als Ganzes erfahren. Deshalb sind wir eher im Pop anzusiedeln als im Jazz.
Ihr macht Popmusik, weil die Leute es so wollen?
Fabian: Nein, ganz und gar nicht. Auch mir gefällt Pop, schliesslich bin ich mit den Beatles, Eric Clapton und den Rolling Stones aufgewachsen. Unser Herz schlägt dafür!
Schön gerettet.
Renee: Ich wusste es! Ich hätte das Interview alleine geben sollen (lacht).
Fabian: Nein, wirklich, unser Herz schlägt sowohl für den Jazz als auch für die Popmusik. Na gut, Renee macht nebenbei so abgefahrenes Zeug…
Was denn?
Fabian: So Minges-Zeugs, also Musik von einem Komponisten, zu dem ich persönlich keinen Bezug habe. Ich finde es aber gut, dass sie das macht.
Du musst machen, was dir dein Herz befielt.
Fabian: Herz ist wichtig, es bedeutet Ausdruck, Stürmereien, all das, was das Leben in einer Familie schön macht. Jeder Mensch braucht hin und wieder Streit. Nur so kann er seine Gefühle zum Ausdruck bringen, sich mit einem Thema auseinandersetzen, um dann am Ende wieder Frieden zu schliessen. Das merkst du auch auf der Bühne: Die gemeinsame Arbeit hat mehr als nur mit Erfolg haben zu tun. Sie ist etwas, das verbindet. Und das Beste, was passieren kann, ist, wenn das Publikum spürt, was du machst und wer du bist.
In welcher Rolle seht ihr euch an den Konzerten?
Fabian: Wir möchten keine Dienerrolle spielen, im Sinne von: «Wir sind Musiker und spielen etwas für euch». Das Publikum soll auch etwas mit uns machen. Denn nur gemeinsam können wir eine Show auf die Beine stellen. Wenn das Publikum auf uns reagiert, wissen wir auch, welches Stück zu welchem Zeitpunkt angebracht ist. Bei grösster Partylaune zum Beispiel ist die Ballade «Alfonsina», nicht das richtige. Dagegen: Sind die Menschen am Schwelgen und Träumen, passt dieses Lied wiederum sehr gut. Wie gesagt, als Darsteller auf der Bühne musst du mit deinem Publikum an einem gemeinsamen Erlebnis arbeiten.
Renee: Und diese Zusammenarbeit gelingt am besten, wenn wir authentisch und ehrlich zu uns selbst sind. Wir müssen die Bedürfnisse des Publikums deuten können. Klar: Vor jedem Konzert erstellen wir einen ungefähren Fahrplan, doch während des Konzerts müssen wir uns an der Stimmung der Menschen orientieren.
Je nach Stimmung spielt ihr Pop, dann Rock….
Renee: Ich finde es schwierig, wenn man uns in Genres aufteilt. Oft wird behauptet, wir seinen Jazzer, die Pop machen. Das ist es nicht! Wir von Daliah machen, was wir wollen. Wir setzen uns keine Grenzen. An der Jazzschule erlebe ich Grenzen genug. Wenn ich da mit einem einfachen Popstück aufkreuzen würde, würde ich belächelt. Bei Daliah kann ich mit einem beliebigen Stück kommen, sei es schwierig oder nicht, Fabian würde es für mich spielen. Leider würde ein solches Stück nie auf eine CD kommen…
Fabian: …sag niemals nie. Erst kürzlich hat Renee ein Stück gebracht, das war wunderbar zu hören. Anfänglich hatte ich meine Bedenken, das Arrangement enthielt haufenweise Modulationen innerhalb eines Taktes. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mir daran die Zähne ausgebissen habe. Am Ende musste ich zugeben: Der Aufwand hat sich gelohnt. An solchen Dingen merkt man, dass Renee und ich den selben Mood haben.
Renee: Nicht unbedingt.
Fabian: Ja gut, wenn du Minges spielst nicht…
Renee: Ich denke, wir haben da unterschiedliche Schwerpunkte und Interessen. Auch ich singe manchmal für Fabian Dinge, die ich selber niemals erfinden würde. Grundsätzlich müssen wir uns akzeptieren und respektieren, für die Ideen, die wir haben.
Fabian: Du solltest uns einmal im Studio erleben…
Wieso meinst du?
Fabian: Die Mischer sind arme Kerle (lacht).
Renee: Ja, im Studio diskutieren wir oft hin und her, Fabian mag einmal die Backings nicht, dann nörgle ich an einer seiner Sequenzen herum.
Fabian: Als Beobachter amüsierst du dich gewaltig. Du siehst, wie sich die Leute um uns herum ausklinken, bis jemand endlich ein Machtwort spricht und zeigt, wo es lang geht.
Die Rollen scheinen nicht klar definiert zu sein.
Fabian: Doch, doch. Ich mache die Basics, die Bassläufe, Renee ist für die Gesangspassagen zuständig…
Renee: …und trotzdem redest du mir immer drein.
Fabian: Ja, Renee, ich sage dir nur meine Meinung. Es sind Tipps. Am Ende entscheidest aber immer noch du, wie du eine bestimmte Passage singen willst. Das kannst ja nur du entscheiden, ich bin kein Sänger.
Am Ende muss das Flickwerk zusammenpassen.
Fabian: Bis heute hat es immer ganz gut funktioniert.
Renee: Wir schreiben gewisse Dinge auch gemeinsam, am Ende erreichen wir fast immer einen Konsens. Fabian und ich, wir kennen uns seit Jahren und daher sehr gut. Wenn Fabian etwas schreibt, spüre ich automatisch, was er tun will und was ihm gefällt. Auch wenn er meint, er habe sich eine bestimmte Passage anders vorgestellt, am Ende gefällt sie ihm doch.
Fabian: Ja, es gibt zwei Stücke, wenn ich die höre, sterbe ich fast, so schön sind sie. Renee hat es angedeutet, wir ergänzen uns optimal.
Die ganze Beziehung basiert auf Intuition.
Fabian: Wenn du ein Bauchmusiker bist, lebst du nach deiner Intuition. Das coole an diesem Projekt ist… na ja, Projekt, wir sind schon fast eine Familie…
Renee: …das tönt sehr kommunenhaft…
Fabian: …ah, nein, doch, schliesslich wohnen wir zusammen, wir haben oft Besuch. Wir sind mehr als nur eine Band.
Eine Band bestehend aus Musikern unterschiedlicher Herkunft.
Fabian: Was meinst du damit?
In eurer Pressemitteilung steht: «Verschiedene Nationalitäten fest verwurzelt in Bern, verschiedene Temperamente, die aufeinanderprallen, verschiedene Charaktere, die der Musik ihren ganz eigenen Charme geben.»
Fabian: Ja, das steht so im Promo-Text, doch daran arbeiten wir noch.
Woran wollt ihr arbeiten?
Fabian: Am Inhalt des Promotextes. Die Geschichte mit der Herkunft ist ein bisschen «blabla». Wir sind nicht Multikulti, wir sind Berner.
Renee: Fabian, die Geschichte mit der Herkunft stimmt aber schon… irgendwie. Ich bin ursprünglich aus Südamerika, dein Vater ist Italiener…
Fabian: …in erster Linie sind wir aber Berner. Wir sind ein Spiegelbild dieser Gesellschaft. Das Urschweizerische, wie es oft von bestimmten Politikern propagiert wird, gibt es nicht.
Aber die Texte sind mehrsprachig.
Renee: Ja, denn es gibt Sprachen, die von der Klangfarbe her besser zu einem Thema passen als andere. Ich mag es, damit zu experimentieren.
Und diese Klangfarben exportiert ihr schon bald ins Ausland. Nach dem Auftritt auf dem Gurten ist eine längere Tournee durch Frankreich geplant. Ein bisschen wie Ferien?
Renee: Durchaus. Wir leben für unser Ding. Musik ist nicht Arbeit, sondern Vergnügen.
Info: www.daliah.ch
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010