Von Luca D’Alessandro — Der Produzent und Musiker Paolo D’Errico und die Sängerin Alessandra Ferrari haben vor fünf Jahren mit dem Projekt «Zero Sospiro» frischen Wind in die italienische Musikszene gebracht. Letzten Herbst haben sie den ersten grösseren Schritt gewagt und ihr Erstlingswerk «Mentre Il Sole Splende» veröffentlicht. Für Italien etwas Neues, vereint das Album Filmmusik der 1960er- und 1970er-Jahre aus der römischen Filmküche Cinecittà mit modernen elektronischen Klängen aus der heutigen Loungeszene.
Im Interview mit ensuite — kulturmagazin spricht Paolo D’Errico über das alljährliche San-Remo-Musikfestival, über seine ersten Gastauftritte im Ausland und über Klubs, die über neue Strömungen die Nase rümpfen und lieber auf altbewährte Longseller setzen.
ensuite — kulturmagazin: Paolo – du und Alessandra seid das Aushängeschild der Loungemusik in Italien.
Paolo D’Errico: Das ist ein wenig übertrieben. Es gibt viele Musiker, DJs und Produzenten in Italien, die sich schon seit längerem erfolgreich mit Loungemusik befassen: Pochill oder Mystic Diversions, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wir sind also keineswegs die Einzigen, vielmehr Teil einer neuen Welle. Unser erstes Lied, eine Überarbeitung des Songs «Conversazione» aus dem Jahre 1967 der italienischen Schlagersängerin Mina Anna Mazzini hat unseren Stil vorgegeben. Per Definition lässt sich dieser der Kategorie «Lounge» zuordnen.
Was sagt Mina zu eurer Variante von «Conversazione»?
Ihre Meinung würde uns sehr interessieren. Ich habe verschiedentlich versucht, Mina zu kontaktieren, ich habe ihr sogar unsere CD geschickt – keine Reaktion. Naja, zumindest haben wir ein positives Feedback eines in Italien sehr bekannten Radio-DJs erhalten. Er ist mit Mina befreundet, das lassen wir gelten.
Nicht alle Stücke auf eurer CD vermitteln eine Loungeatmosphäre.
Das ist korrekt. Zu unserem Repertoire zählen auch Stücke, die mit Lounge nicht viel zu tun haben – wohl eher mit Pop. Lieder, die – wie soll ich sagen – einen Hauch «Internationalität» versprühen sollen. Die meisten Musiker in Italien sind wegen ihres einförmigen, unverkennbaren Stils bekannt. Eros Ramazzotti oder Laura Pausini zum Beispiel sind ganz leicht zu identifizieren. Wer ihre aktuellsten CDs nicht kennt, weiss dennoch über ihre Musik Bescheid. Alessandra und ich wollen gegen diese festgefahrenen Schemen antreten und die Grenzen der italienischen Musik verschieben. Unsere Texte sind fast immer in unserer Muttersprache, die Musik und die Rhythmen setzen wir neuen Strömungen aus. Wir inspirieren uns an Vorbildern aus der europäischen und transatlantischen Szene, wie Goldfrapp oder Gotan Project.
Ihr wollt die italienische Musik internationalisieren?
Genau das. Die Grenzen der italienischen Musik ausdehnen. Ich denke, das ist bitter nötig. In Italien findet alle Jahre wieder im Februar das San-Remo-Musikfestival statt. Die meisten Musiker, die daran teilnehmen, denken, sie müssten zwingend ein Lied für das Publikum von San Remo schreiben. Sie geben sich gar nicht die Mühe, etwas Neues zu erfinden, sie unterwerfen sich viel lieber den stillen Vorgaben des Festivals. Das darf nicht sein. Als Musiker will ich wegen meiner Individualität wahrgenommen werden. Ich will etwas schaffen, das mich vom italienischen Einheitsbrei abhebt.
Ein Musiker, der sich auf San Remo vorbereitet, tut dies im Gedanken, eine Chance auf den Gewinn zu haben. Deshalb fügt er sich den Normen. Ihr macht das nicht. Denkst du, dass ihr in Italien mit eurem Konzept überhaupt eine Chance habt, das Publikum für euch zu gewinnen?
Vermutlich werden wir gerade deshalb nicht zum Festival eingeladen. Wir entsprechen nicht dem Ideal der Organisatoren. Wir wollen das Publikum mit unserer Arbeit überzeugen, ihm unsere Emotionen und Werte als Musiker zugänglich machen, und das ist nur möglich, wenn wir uns vorgegebenen Schemen und Klischees nicht unterwerfen. Ich bin sicher, dass wir mit unserem Konzept gut ankommen, auch ohne San Remo.
Die italienische Musik ist stark von der Liebe geprägt. Auch eure Musik kommt sehr leidenschaftlich daher.
Vielen Dank für das nette Kompliment. Ich bin froh, wenn unsere Werke so wahrgenommen werden. Musik soll die Sinne reizen und beim Hörer jene Gefühle auslösen, die wir während des Komponierens selber verspüren. Wie sich vermutlich aus einzelnen Liedern aus unserem Album heraushören lässt, schlägt unser Herz für die Filmmusik der 1960er- und 1970er-Jahre: John Berry, Piero
Umiliani oder Ennio Morricone. Die Jungs hatten es drauf. Ihre Musik ist kräftig und leidenschaftlich. Eine Leidenschaft, die in unseren Werken auch zum Ausdruck kommt: Nicht in unseren Texten, sondern in der Musik selbst. Wer italienische Musik hört, wartet gewissermassen auf die Passagen mit den Worten «Amore» und «Cuore». Die wahre Kunst besteht jedoch darin, beides auszudrücken, ohne dass darüber ein Wort verschwendet werden muss. Kurzum: Unsere Musik handelt meist von Liebe und Leidenschaft, sie wirkt nie plump oder kitschig. Sie ist auch nicht berechenbar.
Ist Ennio Morricone euer Wegbereiter?
Naja, gewissermassen. Sagen wir es so: Unsere Musik steht mit Morricone in Bezug, weil sie von der Struktur her mit einem Film vergleichbar ist. Wenn Alessandra und ich komponieren, führen wir Regie. Wir haben keinen Regisseur, der uns die Bilder vorgibt, zu denen wir dann die Musik komponieren. Musik und Bilder entstehen parallel in unserer Phantasie. Wir hoffen, dass dies von den Hörerinnen und Hörern auch so wahrgenommen wird.
Was hat es mit dem Namen «Zero Sospiro» auf sich?
Kurz vor der Lancierung des Projekts haben Alessandra und ich ein Blatt Papier genommen und alle möglichen Bandnamen aufgelistet. Am Ende überzeugte uns «Zero Sospiro», wegen der Worte «Zero» (Null) und «Sospiro» (Seufzer). Null ist ein sehr kaltes Wort. Wasser zum Beispiel gefriert bei null Grad. Da mein Instrumentarium vorwiegend aus Elektronik besteht, passt diese Analogie sehr gut. Eine Maschine kann nicht so warm sein, wie die menschliche Stimme. Im Vergleich dazu ist ein Seufzer etwas Warmes; etwas, das von einem Menschen kommt. Mit «Zero Sospiro» stellen wir zwei unterschiedliche Elemente gegenüber: Die kühle Elektronik, die mit der warmen Stimme im Kon-trast steht.
Setzt sich euer Instrumentarium tatsächlich nur aus Elektronik zusammen?
Nicht ganz. «Zero Sospiro» gibt es in zwei Ausführungen: In kleinen Klubs und Bars treten wir jeweils zu zweit auf. Ich bediene die Computer, gelegentlich spiele ich auch auf der Bassgitarre, und Alessandra singt. Bei grösseren Auftritten werden wir von einem Pianisten unterstützt. Von uns gibt es also eine «Light Version» und eine etwas aufwendigere Zusammensetzung.
Euer Repertoire setzt sich allerdings nicht nur aus Eigenkompositionen zusammen. Viele Stücke sind Coverversionen. Warum?
In italienischen Klubs sind leider fast nur Longseller erwünscht. Damit wir überhaupt Engagements kriegen, mussten wir in den vergangenen Jahren unser Repertoire anpassen. Gerne würden wir mehr von unseren Eigenkreationen spielen, doch solange die Klubs ausschliesslich um die eigene Kasse besorgt sind, finden neue Trends kaum Anklang. Kreativität wird im Keim erstickt. In der Schweiz habe ich eine ganz andere Erfahrung gemacht: Vor ein paar Jahren hatten Alessandra und ich einen Auftritt in Zürich. Wir haben unsere eigenen Lieder vorgespielt, und das Publikum war sehr interessiert. Wir fühlten uns in unserer Arbeit bestätigt. Ein Ereignis, an das ich mich immer wieder gerne zurückerinnere.
Tatsächlich sind eure Lieder auf vielen Compilations nicht italienischer Herkunft zu finden. Zum Beispiel auf der zweiten Ausgabe der Samplerreihe «Smile Style» unter Wave Music Hamburg. Kann es sein, dass ihr ausserhalb Italiens mehr Aufmerksamkeit geniesst?
Im Ausland wird unsere Arbeit sehr geschätzt. Vermutlich deshalb, weil wir nicht innerhalb der italienischen Musikgrenzen verharren. Wir sind jederzeit offen für neue Projekte und nie abgeneigt, etwas Neues auszuprobieren. In den letzten Jahren hatten wir diverse Anfragen aus Ost- und Nordeuropa, ebenso aus Fernost und Australien. Mein persönliches Highlight war die Zusammenarbeit mit Chris Murphy, dem Manager von INXS. Er hat uns angefragt, ob wir für die von ihm geplante Compilation «Milan – The Sex, The City, The Music» das Lied «Automaticamente» zur Verfügung stellen würden. Wer das Lied schon einmal gehört hat, weiss, dass es sich um ein sehr sinnliches Lied handelt; es passt also hervorragend zum Titel der Compilation. Wir waren mächtig stolz, von einer solchen Koryphäe wie Chris entdeckt worden zu sein.
Gegenwärtig steht ihr bei Irma Records unter Vertrag. Die Marketingabteilung des Labels vergleicht euch offiziell mit dem amerikanischen Elektro-Duo Thievery Corporation. Was hältst du davon?
Ich weiss nicht, wie dieser Vergleich zustande gekommen ist. Die Marketingverantwortlichen von Irma verfügen über ein fachkundiges Musikverständnis und können uns vermutlich objektiver beurteilen, als wir es können. Ich kann mit diesem Vergleich gut leben, obwohl er unsere Arbeit nicht vollständig widerspiegelt. Genauso wie zu Thievery Corporation könnten wir auch zu Goldfrapp passen. Unser Genre lässt sich mit vielen namhaften Gruppen aus der Elektro- und Jazzbranche in Verbindung bringen. Ich schätze die Arbeit von Thievery Corporation sehr, gerne würde ich die Jungs mal treffen, um Erfahrungen auszutauschen.
Vielleicht ergibt sich das schon bald?
Wer weiss, zum Beispiel im Rahmen eines gemeinsamen Showcase in der Schweiz? (lacht)
Wann wird das sein?
Im Moment gibt es diesbezüglich keine Pläne. Wir müssten einen Dinner Klub finden, der uns als Warm-up-Act engagieren würde – oder eine Bar.
Wieso eine Bar?
Eine Bar wäre hervorragend geeignet, da unsere Musik den Charme, der von diesem Ambiente ausgeht, verstärkt. Unsere Musik kann aber auch problemlos in einem grösseren Kontext zur Geltung kommen. Frank Sinatra zum Beispiel gab Konzerte auf grossen Showbühnen, spielte aber auch in Bars und Klubs. Unser Konzept verhält sich ähnlich, da es über das einfache Lounge-Genre hinausgeht. Natürlich passen wir in keine Rockbar, wir würden riskieren, eine Bierflasche abzukriegen.
Eine Bierflasche wäre keinesfalls wünschenswert. Ihr habt eine vielversprechende Zukunft vor euch. Was sind die nächsten Pläne?
Wir haben diverse Songs im Köcher, die bis jetzt weder auf dem Album noch auf einer Compilation erschienen sind. Diese wollen wir als Nächstes an die Öffentlichkeit tragen. Zudem haben wir einige Songs aus unserem Repertoire auf Englisch und Portugiesisch übersetzt, zum Beispiel «L’Amore Che Verrà». Mit dieser sprachlichen Öffnung wollen wir den englisch-amerikanischen und den brasilianischen Markt erschliessen. «L’Amore Che Verrà» ist stark vom Bossa nova geprägt, angelehnt an Sergio Mendes – nicht dem aktuellen Sergio Mendes, sondern dem aus der Zeit von Brasil 66. Des weiteren arbeiten wir an neuen Stücken, mehrheitlich auf Italienisch, trotzdem überlegen wir uns jedes Mal, ob wir auch eine englische Version lancieren wollen, oder gar eine Mischform: Halb Italienisch, halb Englisch. Wir versuchen weiterhin, den Musikmarkt in Italien auf Trab zu halten und hoffen natürlich, dass uns nie die Luft ausgeht.
Zero Sospiro ist ein Projekt, lanciert vom Produzenten und Musiker Paolo D’Errico und der Sängerin Alessandra Ferrari aus Mailand. Ihre Leidenschaft gilt der italienischen Filmmusik aus den 1960er- und 1970er-Jahren und der elektronischen Musik von heute. Ihr Début-Album «Mentre Il Sole Splende» ist im Herbst 2008 unter IRMA Records erschienen.
Info: www.zerosospiro.com
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2009