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Wo Frau steht, steckt Frau drin

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli - Sam­me­lausstel­lun­gen sind für Frauen ein zweis­chnei­di­ges Schw­ert – ins­beson­dere, wenn es eine «Fraue­nausstel­lung» ist. Die Kün­st­lerin­nen sind darauf angewiesen, sicht­bar zu wer­den, doch in Sam­mel­surien gehen sie unter in ein­er Kat­e­gorie, der sie nicht ange­hören. «Kun­st ist Kun­st ist Kun­st … – Eine Geschichte der Kün­st­lerin­nen», das wäre deshalb der Ausstel­lung im Aar­gauer Kun­sthaus Aarau gut ange­s­tanden. Der Titel: «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» wieder­holt lei­der die ewige Diskri­m­inierungssto­ry. Wom­it wir beim Grund­sät­zlichen wären: Eine grandiose, fabel­hafte, inspiri­erende Ausstel­lung mit umw­er­fend­en Werken gross­er Kün­st­lerin­nen wird durch Titel, Schrift, Broschüre und Inter­views von der Kura­torin banal, mit­telmäs­sig und geschwächt.

Elis­a­beth Bron­fen meint: «Mein Gott, da gibt es so viele, die wed­er ich noch meine Bekan­nten aus dem Kun­st­be­trieb kan­nten. Ich hoffe, dass diese Ausstel­lung etwas aus­löst. Dass andere Museen sich über­legen, welche Kün­st­lerin­nen man aus dem Depot holen und wie man sie grup­pieren kön­nte.» Ja, klar, möchte frau rufen, recht hat die Anglis­tikpro­fes­sorin! Aber sie geht nicht weit genug: Kün­st­lerin­nen gehören nicht nur aus dem Depot raus, son­dern in eine ganz andere Kun­st- und Kul­turgeschichte, die längst umgeschrieben gehört.

Denn Rev­o­lu­tio­nen, Kun­st und Inno­va­tion gehören zu Frauen wie der Uterus zum Kind: Doch wird Kun­st zum Kanon, machen Män­ner nicht nur das Ren­nen, son­dern sie entschei­den auch über die Kün­st­lerin­nen.

Dieser «ele­phant in the room» wird wed­er von Elis­a­beth Bron­fen noch von der Broschüre zur Ausstel­lung noch in den dürfti­gen Werk­tex­ten genan­nt. Dabei ist es so offen­sichtlich. Dass Elis­a­beth Bron­fen im Jahr 2022 behauptet: «Ich will diese Kün­st­lerin­nen wieder sicht­bar machen», ist ver­di­enenswert. Dass Bron­fen sich jedoch nicht für die Kün­st­lerin­nen und deren beschnit­tene Frei­heit­en wehrt, jet­zt, wo sie es doch so ein­fach kön­nte, anders als die Frauen vor ihr, ist bedauer­lich bis entset­zlich. Die sicht­bar gewor­de­nen Frauen, deren Werke und deren «andere Kun­st­geschichte» flack­ern in Aarau kurz auf, doch an der bis heute vorherrschen­den pater­nal­is­tis­chen Men­tal­ität in Kun­st und Kul­tur ändert sich nichts. Jung wer­den Kün­st­lerin­nen frenetisch begrüsst, gefördert, aus­gestellt, oft aus­genutzt, um dann bei wach­sender Eigen­ständigkeit, poli­tis­ch­er Nonkon­for­mität und kün­st­lerisch­er Vielfalt und mit wach­senden Jahrgangsrin­gen sofort wieder fall­en gelassen zu wer­den. Es gibt ein ganz spezielles Depot für all die jun­gen gefeierten Kün­st­lerin­nen, die jun­gen gefeierten Wis­senschaft­lerin­nen, die jun­gen gefeierten Schrift­stel­lerin­nen, die zehn Jahre später niedergemacht, vergessen wer­den oder in psy­chi­a­trischen Anstal­ten verküm­mern. Beschriftet ist das Depot mit «Misog­y­nie» und es wird grad aktuell von hip­pen Diskursen – ich sage nur «TERFS» (Syn­onym für Hexe, alte Schlampe, vertrock­nete Kuh, alte Schachtel etc.) – aufge­füllt.

In der Aarauer Ausstel­lung fehlen solche zeit­genös­sis­chen Zusam­men­hänge schmer­zlich. Es fehlen entschei­dende Posi­tio­nen wie die von «Hul­da Zwingli», geboren 2019 anlässlich des Frauen­streiks. «Hul­da Zwingli» ist Dig­italkün­st­lerin, Fem­i­nistin, Net­zw­erke kreierend und gehört zu den genausten Kun­sthis­torik­erin­nen, Kri­tik­erin­nen, Frauen- und Gen­der­artis­ten unser­er Zeit, nation­al und inter­na­tion­al mit wach­sen­dem Ein­fluss. Sie hätte der Ausstel­lung gut­ge­tan – in jed­er Hin­sicht. Elis­a­beth Bron­fen hat zwar die Kün­st­lerin­nen geschickt grup­piert, doch mit ihren Inter­views und dem Ausstel­lungskat­a­log deren Werke banal­isiert. Bron­fen erzählt zudem viel Falsches zu «Frauen und Kun­st». Auf die Frage, weshalb sich die Ausstel­lung auf Kun­st zwis­chen 1970 und 1990 beschränke, meint sie: «Damals trat­en die ersten Kün­st­lerin­nen in Erschei­n­ung, die von den Schweiz­er Gewerbeschulen und Kun­stakademien kamen.» (Kul­tur-Tipp, 18.8.2022) Wie bitte? Nein. Falsch. Schweiz­er Kün­st­lerin­nen treten seit Jahrhun­derten in Erschei­n­ung, an der SAFFA (Schweiz­erische Ausstel­lung für Fraue­nar­beit) 1928 auch solche, die Gewerbeschulen und Kun­stakademien entwed­er sel­ber gegrün­det oder abgeschlossen hat­ten. Solche Sätze zeu­gen von der Unsitte, bei Frauen immer «die Ersten» fest­machen zu wollen wie kür­zlich auf Twit­ter, wo eine Userin und Exper­tin für den Deutsch­land­funk meinte: «Die iranis­che Rev­o­lu­tion ist die erste fem­i­nis­tis­che Rev­o­lu­tion» – wenn fem­i­nis­tis­che Rev­o­lu­tio­nen mit Blut und Trä­nen für das weib­liche Wahl- und Stimm­recht sowie für die Aufhe­bung der Sklaverei weltweit gefocht­en wur­den! Warum nur meinen Frauen – und Män­ner – immer wieder, sie müssten Frauen der Ver­gan­gen­heit lächer­lich machen, sie als Masse ent­per­son­al­isieren und deren poli­tis­chen Kampf aus der Posi­tion der Abhängigkeit her­aus abw­erten?

Zum Glück sprechen in Aarau die Kün­st­lerin­nen durch ihr starkes Werk tausend­mal inspiri­eren­der als im dazuge­höri­gen mageren Text. Hei­di Buch­ers Raumhäu­tung «Bor­gen» bringt jede zum Weinen. Buch­er war erst kür­zlich im Haus der Kun­st in München, die beste Ausstel­lung aus dem Jahr 2021 – ich habe davon in meinem Kun­st­jahr berichtet und war wiederum unglaublich berührt von diesen Häu­tun­gen, die so viel vom Leben der Frauen erzählen, die sich ständig neu häuten müssen, wollen sie über­leben. Weit­ere Gigan­tinnen der Kun­st­geschichte sind zu sehen: Doris Stauf­fer beispiel­sweise. Was Doris Stauf­fer mit banalen Objek­ten schafft, ist erschüt­ternd. Eine geschla­gene halbe Stunde stand ich vor ihrem Werk «Gross­mut­ter» aus dem Jahr 1961. Nadeln, Miniaturknöpfe, Fäden, Gar­nrollen, Wol­lknäuel, Strick­waren, Steck­knöpfe, Bän­der, Borten, Steck­nadeln, Gum­mibän­der, Zwirne waren minu­tiös, ja höchst math­e­ma­tisch in einem Man­dala aufgesteckt, eine Poe­sie kreierend, die in mir bis heute mitschwingt. Auch Ihr «Schnee­wittchen und die acht Geisslein», ein gross­es Kopfkissen, weiss, mit acht Topfdeck­eln bestückt, die wie Zitzen ausse­hen, wird mich als schwin­gen­des Bild nie wieder ver­lassen. In der Broschüre kommt Doris Stauf­fers Grösse – wie die aller hier vere­in­ten Kün­st­lerin­nen – viel zu kurz. Elis­a­beth Bron­fen, die diese wun­der­bare Ausstel­lung kuratierte, kas­tri­ert die Kün­st­lerin­nen durch diese Texte: nüchtern, dis­tanziert, oft abw­er­tend kollek­tiviert, hin­ter­lassen die Bemerkun­gen Fas­sungslosigkeit. Jede Kün­st­lerin kriegt ein Datum­setikett, als ob die Lebens­dat­en die Kun­st bes­tim­men wür­den, sie wer­den zivil­standsmäs­sig verortet, meist taucht irgen­dein Mann im ersten oder zweit­en Satz auf. Bei Doris Stauf­fer heisst es dann beispiel­sweise: «Nach dem Umzug in ein altes Bauern­haus mit Garten in See­bach beteiligte sie sich anfangs noch an den inten­siv­en Gesprächen, die ihr Gat­te dort mit seinen Fre­undin­nen und Fre­un­den über Kun­st, Poli­tik und das antibürg­er­liche Leben führte. Bald aber wandte sie sich ganz ihrem Haus­frauen­da­sein zu, um ihre drei Kinder grosszuziehen.» Diese Ver­hun­zung der Selb­st­po­si­tion von Doris Stauf­fer in ein­er der­ar­ti­gen Beschrei­bung ist so fürchter­lich, dass ich immer noch wütend bin. Doris Stauf­fer sel­ber erzählte vom Wan­del, mit­ten im Kun­st­geschehen zu steck­en und gle­ichzeit­ig Mut­ter zu sein, viel fem­i­nis­tis­ch­er, iro­nis­ch­er, kri­tis­ch­er: Sie war DIE Denkerin und Aktivistin von exper­i­menteller Leben­skun­st; bis 1980 führte sie Hex­enkurse exk­lu­siv für Frauen durch. Doris Stauf­fers «Patri­ar­chalis­ches Panop­tikum» kaufte 1975 die Stadt Zürich, aus­gerech­net nach der Ausstel­lung «Frauen sehen Frauen». Doris Stauf­fer lachte dazu: «Wer hätte gedacht, dass aus­gerech­net meine bös­es­te Kun­st ein­mal von der Stadt Zürich gekauft würde?» (WOZ 27.8.2015) Davon find­et sich nichts, kein Wort in der Schmal­broschüre zur tollen Ausstel­lung. Auch nicht darüber, wie poet­isch Doris Stauf­fer war, wie prag­ma­tisch, dass sie Kun­st ver­schenk­te, statt zu verkaufen. Doris Stauf­fer führte ein Schweiz­er Frauen­leben, das von Medi­en, Uni­ver­sitäten und Kun­stin­sti­tu­tio­nen immer ver­achtet wurde, näm­lich ein Leben als Mut­ter, als Sub­jekt, als Kün­st­lerin, voller Mut, Inspi­ra­tion, Liebe, Klugheit und Wider­stand. Die Broschüre ist ein Schlag für die grandiose Ausstel­lung, und ich kann mir dies nur damit erk­lären, dass der klas­sis­che Mech­a­nis­mus spielte: Ja, ja, ja, super, Frauen wer­den aus­gestellt, ein­mal, dann kön­nen sie wieder vergessen wer­den, wir sollen ja kein Brim­bo­ri­um draus machen, Frauen gehören ja nicht zum Kanon, deshalb fassen wir sie in ein­er Masse zusam­men, bedi­enen ein bis­serl Zeit­geist und Medi­en und gut ist es dann.

Es wurde die ein­ma­lige Chance ver­passt, die Bib­lio­theken, die es mit­tler­weile zum The­ma «Frauen, Kun­st und Her­sto­ry» gibt, wenig­stens ein biss­chen zu rezip­ieren – so wie es die Alberti­na in Wien mit Xenia Haus­ner 2021 her­vor­ra­gend vorgemacht hat. Denkanstösse, tolle Texte, Inter­pre­ta­tio­nen, die Liebe zur Kun­st gehören ins Aar­gauer Kun­sthaus und in diese Ausstel­lung. Ganze Ver­anstal­tungsrei­hen zum The­ma, endlich alle zeit­genös­sis­chen Kün­st­lerin­nen zu Podi­en, die Kri­tik­erin­nen zu klu­gen Betra­ch­tun­gen und zu poli­tis­chen Hap­pen­ings zu brin­gen, dass es in der Schweiz endlich mal wieder mit Geist und nicht mit Geld kracht, ja, das hätte funk­tion­iert, und ja, das kön­nte noch funk­tion­ieren, wenn die Ausstel­lung ver­längert und das Begleit­pro­gramm aufge­stockt würde. Denn: Diese Ausstel­lung ist der Ham­mer!

Die Werke fol­gen fünf klug aus­gewählten Titeln, die in der Broschüre lei­der kaum aus­ge­führt wer­den: «Aus­gestellt: Ver­wan­delte Kör­per­bilder», «Frauen­z­im­mer: Das Interieur als intimer Schau­platz», «Das versehrte Gesicht: Selb­st­bild­nisse ander­er Art», «Pop als Hal­tung: Eigen­willige Aneig­nun­gen der All­t­agskul­tur» und «Ver-rück­tes Sehen: Witz und visuelle Exper­i­mente».

Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …
Aar­gauer Kun­sthaus Aarau bis 15. Jan­u­ar 2023.
www.aargauerkunsthaus.ch

INFOS:
Besuchen Sie die Ausstel­lung und erfreuen Sie sich mehrere Stun­den lang an den Werken von Doris Stauf­fer, Manon, Meret Oppen­heim, der unver­gle­ich­lichen Binia Bill, der zauber­haften Fotokün­st­lerin, deren zwei Werke «Frau unter schwarz­er Spitze, Nelke auf dem Oberkör­p­er» (1934) und «Ver­e­na Loewens­berg, Vor­bere­itung zur Auf­nahme. Rück­e­nan­sicht vor Spiegel» (1934) zeit­los schön und ästhetisch prä­gend sind, und von vie­len anderen mehr. Katrin Freis­ager lehrt immer noch in Basel: Von ihr sind zwei Bilder, die in den Medi­en über­all rumgere­icht wer­den: «Pip­i­lot­ti» (1995) und «Nadia» (1995). Freis­ager ist echt cool, und es lohnt sich, die Kün­st­lerin weit­erzu­ver­fol­gen. Oder Sil­via Gertsch, die zu meinem grossen Ärg­er im ersten Satz als «Tochter von» beschrieben wird, die Innen­seit­en von Glass­cheiben mit Farbe auf der Rück­seite so kom­biniert, wie ich gute Geschichtss­chrei­bung nen­nen würde: Vorder­gründig scheint das Bild erst dann richtig, wenn es hin­ter­gründig ist. Und kaufen Sie, falls dies noch möglich ist, Donatel­la Maran­ta, die zwar Tex­til studiert, aber so plas­tisch malen kann, als wären ihre Bilder gestrickt – entzück­end.
Wollen Sie mehr über Frauen und Kun­st wis­sen, empfehle ich Ihnen als Ein­stieg «Great Women Artists – das Women durchgestrichen» (im Sep­tem­ber 2019 bei Phaidon erschienen) sowie den Blog der grossen Kun­stkri­tik­erin und Best­seller­autorin Nina Schedl­may­er. Zu Frauenkun­st gibt es wun­der­bare Twit­ter-Accounts: Kirsten loves art @KirstenOfM ist der beste, für Insta­gram der schon erwäh­nte @huldazwingli sowie der Lit­er­atur­blog bei ensuite.ch.

Artikel online veröffentlicht: 25. Dezember 2022