Von Sabine Gysi - Die Rebellenstreitmacht trete gegen das Imperium an, verkünden Etrit Hasler und Patrick Armbruster am 12. Dezember 2008 in der Roten Fabrik. Man müsse etwas unternehmen gegen die Professionalität, welche die Slam-Bühnen regiere. Man wolle zurückkehren zur Demokratie der Ungeschliffenheit! Und wenn eine Prise Selbstironie darin mitschwingt, dann bezieht sich diese auf das Pathos des Gesagten, nicht aber auf den Inhalt. Das Publikum, überwiegend sehr jung, vollzieht die Rückblende auf die Geschichte des Poetry Slam nicht ganz mit, quittiert aber den kämpferischen Auftakt mit wohlwollendem Applaus.
Mit dem Imperium sind offensichtlich die Zürcher Slams von Martin Otzenbergers Spoken-Word-Label «rubikon» gemeint. Sie haben in den letzten Jahren ein immer breiteres und zahlreicheres Publikum angezogen und neulich in den deutschsprachigen Meisterschaften, dem Slam2008 im Schiffbau, gegipfelt. Dieser Grossanlass zog um die 11’000 Zuschauer an, wurde vom Schweizer Fernsehen übertragen und von den Lesern des Tages-Anzeigers zum Literaturereignis des Jahres gewählt.
Im kommenden Frühsommer wird die Slam Poetry in Zürich zehn Jahre alt. Ein günstiger Zeitpunkt für eine Erneuerungsbewegung. Und tatsächlich: «Back to the Rote Fabrik», die Forderung von Etrit Hasler und Patrick Armbruster vom «Dichtungsring», ist ein Ruf nach den subkulturellen Wurzeln. Zurück zu den Slampoeten direkt aus der Gosse, oder, Schweizer Verhältnissen angepasster, direkt vom Gymi-Pausenplatz.
Der Schweizer Slam hat seine Stars hervorgebracht – darunter auch die beiden Exponenten vom «Dichtungsring» – und Stars wirken nicht nur anziehend aufs Publikum, sondern auch abschreckend auf Neulinge. Immerhin zwei kaum bekannte Namen haben sich für «Back to the Rote Fabrik» am 12. Dezember auf die Liste eingetragen, und die beiden schlagen sich tapfer. Ziel der Organisatoren ist, dass sich bei den nächsten Slams die geladenen und die selbst angemeldeten Slampoeten die Waage halten. «Back to the Rote Fabrik» soll alternierend mit anderen Slams – wie den bewährten Veranstaltungen im x‑tra – ungefähr alle zwei Monate stattfinden.
«Die Poetry Slammer haben sich in letzter Zeit zuwenig weiterentwickelt. Die Slamszene ist träge geworden», sagt Etrit Hasler. Wer die Szene seit einigen Jahren beobachtet, stimmt ihm zu. Doch ist daran tatsächlich die Massentauglichkeit schuld? Und liegen die Wurzeln des Zürcher Poetry Slam wirklich in der Roten Fabrik, wo 1999 die erste Schweizer Slam-Tour haltmachte? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Matthias Burki vom Verlag «Der gesunde Menschenversand», der die Tour 1999 mit organisierte, weist darauf hin, dass Slam Poetry durch Elemente wie den Wettbewerbscharakter und die Beteiligung des Publikums als Jury schon immer populärkulturelle Bezüge in sich trug. «Die Behauptung, der Slam sei seiner ursprünglichen Idee untreu geworden, würde ich daher nicht so schnell unterschreiben», sagt Burki. Schon damals hatte die Tour ihre Zugpferde, Slampoeten aus Deutschland, wo es bereits seit einiger Zeit Slams gab. Für die Deutschen – Bas Böttcher und zwei weitere – war die Tour durch die Schweiz ein Abenteuer in unerschlossenen Gebieten. Die teilnehmenden Schweizer, darunter Raphael Urweider, hatten noch keine Slam-Erfahrung.
Die Wurzeln des Zürcher Poetry Slam in der Roten Fabrik? Damit ist Martin Otzenberger nicht einverstanden. Denn bis heute haben nur drei Poetry Slams in der Roten Fabrik stattgefunden. Bereits der zweiten Schweizer Slam-Tour verweigerte der Veranstaltungsort im Jahr 2000 das Gastrecht – «vermutlich war ihnen die Veranstaltung bereits zu populär», mutmasst Matthias Burki –, worauf der Zürcher Slam im Keller62 stattfand. Dass die Rote Fabrik die Poetry-Slam-Veranstaltungen später gern zurückgehabt hätte, ist ein offenes Geheimnis. Nebst anderen Locations beherbergte der Keller62 daraufhin mehrere von «rubikon» organisierte Slams. «Wenn schon ist der Keller62 die Wiege des Slam in Zürich», sagt Martin Otzenberger. «Aber auch an diversen anderen Orten, darunter im Schiffbau, im Maiers oder im x‑tra, haben mehr Slams stattgefunden als in der Roten Fabrik». Die Bezeichnung «Back to the Rote Fabrik» versteht er als Marketing-Gag.
Slam Poetry – seit Beginn eine Gratwanderung zwischen Subkultur und Masse. Immer wieder haben Veranstalter erkannt, dass diese Mischung aus breiterer Bekanntheit und «Street Credibility» gut ankommt. Gleichzeitig liegt hier die Chance, dass sich die Slam Poetry aus sich selbst heraus erneuert. Alles, was es braucht, ist eine neue Bühne und eine offene Liste. Und vielleicht sogar neue Veranstalter ohne Vorbelastung?
Ein solcher ist Matthias Eppler. Zusammen mit zwei Kollegen gestaltet er seit kurzem das Programm «Out of Monday» in der Bombay Bar an der Langstrasse. Alternierend mit anderen kulturellen Veranstaltungen gehört die Bühne an einem Abend im Monat dem gesprochenen Wort. Zum ersten Slam am kommenden 12. Januar werden noch bekannte Namen eingeladen, doch bereits gibt es eine offene Liste, die später immer zentraler sein wird. In der Startphase steht Martin Otzenberger den Veranstaltern mit Rat zur Seite.
Vermehrt wird in Zürich auch der Ruf nach Spoken Word ohne Wettbewerb laut. Der Wettbewerb bewirkt, dass das Angebot immer schmäler wird, immer stärker auf bühnentaugliche 6‑Minuten-Texte ausgerichtet. Besinnlicheres oder Sperrigeres findet weniger Platz.
Richi Küttel, Initiant der U20 Slams und vieler anderer Slams in der Ostschweiz, plädiert ebenfalls für eine Rückkehr zu den Wurzeln: Man müsse das Einfache, Chaotische an den Slams wiederentdecken; auch den «Freaks» ihren Auftritt ermöglichen. Inzwischen wollen nämlich alle Slambühnen der Schweiz dieselben bekannten Namen buchen. Das führt zu einem Nachfrageüberschuss: Slampoeten sind oft über Monate hinweg ausgebucht. Und das Publikum sieht immer wieder die gleichen Gesichter, hört die gleichen Texte.
Um die «Stars» aus der Szene zu präsentieren und ein breiteres Publikum für Slam Poetry zu begeistern, sind grosse Veranstaltungen wie die Slams im Schiffbau am besten geeignet. Für den Nachschub an unverbrauchten Querköpfen und frischen Ideen braucht es gleichzeitig kleine Slambühnen mit offenen Listen. Das gilt auch für die Zürcher Slamszene. Nur wo die Wurzeln des Poetry Slam in Zürich tatsächlich liegen – darüber ist man sich nicht ganz einig.
Martin Otzenbergers Replik auf die Provokation
von Hasler/Armbruster:
www.rubikon.ch, «rubikon»-Blog
Bild: 6‑Titten-Team by solarplexus.ch/Lisa Küttel
Ensuite, Januar 2009