• zurück

Wo Synergien und Experimentierwille aufeinandertreffen

Von Son­ja Gasser — Ein unbe­holfenes Voran­tas­ten in der Dunkel­heit – vorne und hin­ten bewe­gen sich weit­ere Gestal­ten genau­so ori­en­tierungs­los einem schmalen unbeleuchteten Gang ent­lang. Nach ein­er end­los erscheinen­den Strecke kommt über­raschend eine Abbiegung, wohin der Weg führen wird, bleibt ungewiss.

Nicht von Höh­len­forsch­ern auf dem Weg ins Bergin­nere ist die Rede, son­dern von Studieren­den, die an der Feller­strasse 11 in ungeah­nte Gefilde ihres Schul­ge­bäudes vorge­drun­gen sind. Dieser geheimnisvolle Gang ist wohl selb­st den meis­ten, die täglich an der HKB (Hochschule der Kün­ste Bern) ein- und aus­ge­hen, unbekan­nt.

Der Fre­itag­mor­gen ist an der HKB für die trans­diszi­plinären Y‑Kurse reserviert, in denen Studierende aus unter­schiedlichen Fachrich­tun­gen (von freier Kun­st über Musik, visuelle Kom­mu­nika­tion, The­ater, Ver­mit­tlung in Kun­st und Design, lit­er­arisches Schrei-ben bis zur Kun­st­geschichte) zusam­men­find­en. Im Ver­lauf eines Semes­ters erar­beit­en die Dozieren­den mit ihrer Kurs­gruppe anhand ein­er spez­i­fis­chen Fragestel­lung the­o­retis­che Grund­la­gen. Daraus wer­den Pro­jek­te entwick­elt, die an der gemein­samen Abschlusspräsen­ta­tion sämtlich­er Y‑Kurse Ende Semes­ter vorgestellt wer­den.

In den Gang verir­rt haben sich Studierende aus der Gruppe «Die let­zten Beweger» auf der Suche nach einem geeigneten Ort für die Präsen­ta­tion ihres Fre­itagspro­jek­ts. Während des Semes­ters gin­gen sie der Frage nach, wie es in ein­er Welt der visuellen Reizüber­flu­tung noch möglich ist, beim Pub­likum mit darstel­lerischen und kün­st­lerischen Mit­teln einen bleiben­den Ein­druck zu erzeu­gen. Die Dozentin­nen Anni­na Schneller und Manuela Trapp haben dazu ver­schiedene Strate­gien vorgestellt und damit den Studieren­den Anre­gun­gen gegeben, das Ver­mit­telte in eige­nen kleinen Übung­spro­jek­ten prak­tisch umzuset­zen. Inputs gaben auch mehrere geladene Fach­leute aus unter­schiedlich­sten Bere­ichen. So sind Tech­niken angeschaut wor­den, mit denen es gelingt, zu schock­ieren oder andere starke Gefüh­le auszulösen. Der Thea-ter- und Filmemach­er Stephan Licht­en­steiger hat vorge­führt, wie durch Über­raschungsef­fek­te die Aufmerk­samkeit des Pub­likums erregt wer­den kann. Mit sub­tilen Strate­gien ist die Bach­e­lor-Absol­ventin Moni­ka Guggen­heim in ihrem Kinder­buch vorge­gan­gen, um zu erre­ichen, dass das ungewöhn­liche The­ma Tod umso mehr berührt. Kom­mu­nika­tions­fach­mann Chris­t­ian Jaquet hat aufgezeigt, wie eine Idee überzeu­gend dargestellt, gestal­ter­isch umge­set­zt und somit über­mit­telt wer­den kann. Wirkun­gen der bewusst einge­set­zten Stimme hat der Sprech­wis­senschaftler Jür­gen Woll­we­ber verdeut­licht.

In zahlre­ichen kleineren Pro­jek­ten wurde ver­sucht, die Inputs prak­tisch anzuwen­den und dabei Erfahrung im Ein­satz unter­schiedlich­er kün­st­lerisch­er Strate­gien zu sam­meln.

Ein­mal ver­an­lasste ein Grüp­pchen ihre Kom­mili­to­nen, ein Sofa und ein Fernse­hgerät auf eine wenig befahrene Strasse zu tra­gen und es sich dort gemütlich zu machen. Wort­los haben sich die Ini­tianten aus dem Staub gemacht und ihre Kol­le­gen mit­ten auf der Strasse sitzen lassen. Der Chauf­feur eines Klein­lasters hat etwas ver­dutzt aus der Kabine geschaut, als er das ungewöhn­liche Hin­der­nis umfahren musste.

Im HKB-Gebäude drin­nen war die Ver­wun­derung wohl geringer, als sich die ganze Gruppe ein­mal ver­bun­den mit Stäben durch das Trep­pen­haus bewegt hat oder ein anderes Mal eine Teil­gruppe für ihr Minipro­jekt den Lift belegt und die Glüh­lampe aus­geschraubt hat.

Bei solchen Pro­jek­ten wurde deut­lich, wo Schwierigkeit­en bei der prak­tis­chen Umset­zung gewiss­er Vorhaben liegen.

Nach­dem Einze­laspek­te in ver­schiede­nen exper­i­mentellen Übun­gen unter­sucht und damit Erfahrun­gen gesam­melt wor­den waren, bestand ein bre­ites Feld an Möglichkeit­en, aber kein greif­bares Pro­jekt. Um davon aus­ge­hend auf ein präsen­ta-bles Abschlusspro­jekt hinzuar­beit­en, mussten Entschei­dun­gen getrof­fen, Ideen verdichtet und konkretisiert wer­den.

Nachgedacht wurde über eine Pro­jek­tum­set­zung im engen, fin­steren Gang, doch schlussendlich fiel die Wahl auf einen aus­gedehn­teren Schwarzraum: Die Black Box. Geplant ist ein per­for­ma­tives Exper­i­ment, das auf Reduk­tion, Neu­tral­ität und Stille basiert und zen­tral die Wech­sel­wirkung und das Span­nungs­feld zwis­chen Pub­likum und Darstellern auf der Bühne unter­sucht. In mehreren Sitzun­gen wur­den im Dunkel­raum die Ideen auf ihre Wirk­samkeit über­prüft, wodurch der vorge­se­hene per­for­ma­tive Akt ver­vol­lkomm­net und angepasst wer­den kon­nte. Den­noch bleibt offen, ob das End­pro­jekt bei der Abschlusspräsen­ta­tion am 9. Jan­u­ar gelin­gen wird. Trotz allen sorgfälti­gen Über­legun­gen zum Ablauf kann die Pub­likums-reak­tion nicht einge­plant wer­den. Jedoch wird ger­ade das Ver­hal­ten des Pub­likums über den Erfolg oder das Scheit­ern des Pro­jek­ts bes­tim­men.

Die Y‑Projekte leben davon, dass alles ständig im Fluss ist und das Aus­ge­hen eher unbes­timmt bleibt. Es geht darum, ein Gefäss zu bieten, in dem alles möglich ist, vieles aus­pro­biert wer­den kann und unter­schiedliche Syn­ergien zusam­men­tr­e­f­fen. Deshalb ist das Ziel der Y‑Kurse bei der Abschlusspräsen­ta­tion weniger, ein bis ins let­zte Detail aus­gek­lügeltes, funk­tion­ieren­des Pro­jekt vor­führen zu kön­nen, son­dern den Inter­essierten einen Zwis­chen­stand aufzuzeigen, wohin die Auseinan­der­set­zun­gen im Semes­ter geführt haben. Die Fre­itagspro­jek­te sind bewusst offen angelegt, weil die Prozesse der behan­del­ten The­men auch nach Abschluss des Y‑Kurses wei­t­er­dauern und bei jedem Einzel­nen in sein jew­eils eigenes Tätigkeits­ge­bi­et ein­fliessen und dort frucht­bar wer­den sollen.

Abschlusspräsen­ta­tion Y‑Projekte
Fre­itag, 09. Jan­u­ar 2009, 09:30 bis 12:00h
Y (Insti­tut für Trans­diszi­pli­nar­ität)
HKB‑Y, Feller­strasse 11, 3027 Bern

Studierende der HKB set­zen die Feller­strasse 11 in Szene – mit Bildern, Klän­gen und Gesten. Zu erleben sind die Ergeb­nisse der Y‑Projekte und der Fre­itagspro­jek­te aus «Gestal­tung & Kun­st» aus dem Herb­stse­mes­ter 2008.

Y‑Projekte
Tim­ing ist alles (Pro­jek­tleitung: Ralf Samens)
Gehör­losendis­co (Pro­jek­tleitung: Jörg Köp­pl)
Alter­na­tive Kar­tografie (Pro­jek­tleitung: Chris­tine Schranz, San­dro Steudler)
Entschle­u­ni­gung (Pro­jek­tleitung: Simon Stäh­li, Leonie Stein)
Die let­zten Beweger (Pro­jek­tleitung: Anni­na Schneller, Manuela Trapp)
Üben (Pro­jek­tleitung: Thomas Strässle, Flo­ri­an Dom­bois)
Hands (Pro­jek­tleitung: Ele­na Càsoli, Angela Bürg­er)

Bild: Manuela Trapp
Ensuite, Jan­u­ar 2009

Artikel online veröffentlicht: 25. Juli 2018