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«Work in Progress»

Von Luca D‘Alessandro — EAM taufen ihr Debüt-Album «Raft» im Rossstall in Köniz: Der Fluss ist das Motiv, das sich durch das musikalis­che Schaf­fen des Bern­er Vio­lin­is­ten Hans Bur­gen­er zieht. Das kommt nicht von unge­fähr: Von sein­er Woh­nung aus geniesst er einen phan­tastis­chen Blick auf die Aare. «Ich habe Glück, eine solch tolle Woh­nung im Herzen von Bern bewohnen zu dür­fen», sagt er gegenüber ensuite-kul­tur­magazin.

Hans Bur­gen­er ver­tritt das Bern­er Elek-troakustikensem­ble EAM, das Elec­tron­ic Acoustic Meet­ing, beste­hend aus Mar­tin Müller am elek­trischen Cel­lo, Roger Stuc­ki am Lap­top und Ste­fan Woodtli an den Schla­gin­stru­menten. «Ein Quar­tett, das Rock, Jazz, World­mu­sic und Elek­tron­ik zu ein­er neuen Ambiance ver­ar­beit­et», sagt Bur­gen­er, «es sind sphärisch-kraftvolle Har­monien, die zum Ver­weilen und zum Tanzen ver­leit­en».

EAM ist eine exper­i­mentelle Welt, in die Hans Bur­gen­er her­vor­ra­gend passt. In sein­er bish­eri­gen Musik durch­streifte er regelmäs­sig die unter­schiedlich­sten Sphären der akustis­chen Aus­druck­sweise. Er engagierte sich in spartenüber­greifend­en Pro­jek­ten mit Tänz­er-innen, bilden­den Kün­stlern sowie The­ater­schaf­fend­en. Zu seinen bekan­nteren Pro­jek­ten gehörte 2003 das Musik­dra­ma «Allgebrah=Du bist Musik», welch­es die Gle­ichzeit­igkeit von Schaus­piel, gesproch­en­em Wort und Musik verkör­perte. Es basierte auf Tex­ten des Schweiz­er Kün­stlers und Schrift­stellers Adolf Wölfli. «Dieses Pro­jekt liegt inzwis­chen ein paar Jährchen zurück, ich blicke nach vorne», sagt er und ver­weist auf die bevorste­hende CD-Taufe im Rossstall im Kul­turhof Köniz. «Raft» wird das Debü­tal­bum von EAM ab dem 14. Mai offiziell heis­sen.

Wieso «Raft»?

Unsere Arbeit ist mit Riv­er Raft­ing ver­gle­ich­bar: Wir sitzen in einem Boot und lassen uns von allen möglichen Strö­mungen treiben. Das ist der Grund, weshalb wir als Cover­bild einen verästel­ten Flus­slauf gewählt haben.

Auch was die Stile ange­ht, seid Ihr stark verästelt. «Raft» ist durch­drun­gen von Elek­tron­ik, Pop und Jazz – das Ganze mit ein­er Prise Impro­vi­sa­tion vol­len­det. Wobei das Impro­visieren in einem klar vorgegebe­nen Rah­men erfol­gt. Impro­vi­sa­tion wird gerne mit Jazz gle­ichge­set­zt.

In der Tat, oft verknüpfen die Leute den Jazz mit der Impro­vi­sa­tion. Doch: Impro­vi­sa­tion kann in jed­er Stil­rich­tung stat­tfind­en. Als Mit­glied der Werk­statt für Impro­visierte Musik Bern bin ich ein Ver­fechter der exper­i­mentellen Impro­vi­sa­tion, stets auf der Suche nach neuen Kom­bi­na­tio­nen. Seit jeher widme ich mich dieser Art der musikalis­chen Inter­pre­ta­tion. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue. So sehr, dass ich inzwis­chen fähig bin, mit allen Musik­ern zu impro­visieren. Ich kann hin­hören und her­vor­ra­gend inter­agieren.

Wie hat das Quar­tett EAM sich gefun­den?

EAM ent­stand vor etwa vier Jahren: Gemein­sam mit Ste­fan Woodtli, einem Didgeri­doo-Spiel­er und ein­er Sän­gerin wagte ich dieses Exper­i­ment. Später ver­liess uns der Digeri­doo-Spiel­er, und es wech­selte auch die Sän­gerin: Chris­tine Lauter­burg war für eine Zeit­lang unsere Front­frau. Später kamen der Cel­list Mar­tin Müller und der DJ und Pro­duzent Roger Stuc­ki hinzu. Mit der Zeit stellte sich her­aus, dass wir in instru­men­taler For­ma­tion, also Elek­tro­cel­lo, Lap­top, Schlagzeug und Vio­line, am besten har­monieren. EAM beste­ht gegen­wär­tig aus uns vier Instru­men­tal­is­ten.

In den vier Jahren hat­tet Ihr so einiges an Bewe­gung im Team.

Ja, den­noch: Das aktuelle Konzept ist sehr sta­bil. Wir geniessen die Frei­heit­en, die sich aus dieser Quar­tett-For­ma­tion ergeben. Unsere Musik ist ohne Sän­gerin und Didgeri­doo kom­pak­ter, tief­gründi­ger und klar­er gewor­den.

Empfind­est Du Gesang als störend?

Nein, das nicht. Der Gesang gab dem Konzept eine andere Rich­tung. Ich will diese Rich­tung keines­falls neg­a­tiv werten. Sie entsprach nur nicht dem, was wir Instru­men­tal­is­ten in uns fühlten. Chris­tine ist in allen möglichen Pro­jek­ten tätig; daher war es zeitweise fast unmöglich, gemein­same Übung­ster­mine zu find­en. Unser Pro­jekt erfuhr in dieser Kon­stel­la-tion nur eine beschränk­te Entwick­lung.

Entwick­lung und im weitesten Sinne auch Bewe­gung scheint der Leitgedanke von «Raft» zu sein: Das zweite Stück trägt den Titel «Tran­sit». Dieses Motiv kommt nicht von unge­fähr.

Tran­sit zeigt, dass wir dauer­haft unter­wegs sind. Ein «Work in Progress», wie man heute in der Wirtschaftswelt zu sagen pflegt: Wie es mit EAM in Zukun­ft weit­erge­ht, ste­ht offen, denn: In der aktuellen For­ma­tion spüre ich, dass uns alle möglichen Vari­anten zu Füssen liegen. Jed­er hat die Chance, seine Stärken einzubrin­gen. Wir haben nie­mand, der den Tenor vorgibt oder Weisun­gen erteilt. Jed­er kann auf seine Art einen Beitrag leis­ten. Wichtig ist, dass unser Konzept im Fluss bleibt.

Das Album «Raft» ist also eine Momen­tauf­nahme …

… das ist kor­rekt …

… wenn ich dem­nächst eines Eur­er Konz­erte besuche, werde ich also etwas ganz Anderes hören als auf der CD.

So radikal würde ich das nicht sehen. Grund­sät­zlich stützen wir uns auf die Inhalte, die auf unser­er CD vorhan­den sind. Klar, ein Live-Auftritt bietet immer die Möglichkeit, die Stücke auszudehnen und dem Pub­likums­feed­back entsprechend auszubauen.

Die Impro­vi­sa­tion­sparts sind aber haupt­säch­lich auf Dich zu begren­zen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Roger Stuc­ki am Lap­top auss­chweifende Klang­ex­per­i­mente täti­gen kann.

Auf der Bühne bin ich der­jenige, der die meis­ten Frei­heit­en geniesst. Ich bin der Solist sozusagen. Natür­lich bleibe ich beim Spie­len inner­halb des Kon­glom­er­ats, das wir gemein­sam errichtet haben. Dieses basiert auf den Erfahrun­gen von uns allen: Roger spielt mit Ele­menten aus der Welt der Elek­tron­ik, Ste­fan Woodtli mit jenen aus der Rock­musik und Mar­tin Müller mit Beson­der­heit­en aus dem Jazz.

Unter­schiedlich­er kön­nte ein Team nicht sein. Wo siehst Du den gemein­samen Nen­ner?

Natür­lich in EAM (lacht). Nein, im Ernst, ich finde es schwierig, uns zu schubla­disieren. Ich bin froh, dass wir vier uns begeg­net sind und dass wir in unser­er For­ma­tion die Chance haben, regelmäs­sig an unser­er Musik zu arbeit­en. Wir haben Spass an der Auseinan­der­set­zung zwis­chen elek­tro­n­is­ch­er und akustis­ch­er Musik.

Kannst Du diese Auseinan­der­set­zung verdeut­lichen?

Auf der einen Seite fasziniert uns Musik, die von ein­er Mas­chine gener­iert wird, auf der anderen Seite sind wir von der Klang­welt akustis­ch­er Instru­mente berührt. Wir arbeit­en an der ide­alen Mis­chung der bei­den Sphären. Was ist mach­bar und was nicht? Roger, unser Lap­top-Mann, ist sehr musikalisch. Obwohl er an einem Mul­ti­me­dia-Gerät arbeit­et, und man bei seinem Anblick auf der Bühne das Gefühl haben kön­nte, er steuere nur ein Pro­gramm, steckt in sein­er Arbeit sehr viel mehr dahin­ter. Er hört, inter­agiert, set­zt zusam­men – man merkt es deut­lich, wenn er an den Proben nicht dabei ist.

Ein Vir­tu­ose?

Er ist kein Pro­duzent, der wahnsin­nig exper­i­mentell mit Elek­tron­ik umge­ht. Ich habe in mein­er Ver­gan­gen­heit schon ganz andere Erfahrun­gen gemacht, zum Beispiel mit Gün­ter Müller. Müller ist ein avant­gardis­tis­ch­er Exper­i­men­ta­tor im elek­tro­n­is­chen Musik­bere­ich. Mir gefällt jedoch die Art, wie Roger die Musik sieht. Er ist ganz anders als die anderen Mit­glieder des Quar­tetts.

Beste­ht nicht die Gefahr ein­er Fron­tenbil­dung zwis­chen Roger und Euch dreien?

Ja, Fron­ten gibt es. Aber das ist auch gut so. EAM lebt schliesslich von der Auseinan­der­set­zung zwis­chen der akustis­chen und elek­tro­n­is­chen Welt. Es ist wie in ein­er Beziehung: Wo geho­belt wird, fliegen auch Späne. Doch diese Späne geben dem Leben die richtige Würze.

Elec­tron­ic Acoustic Meet­ing – CD Taufe «Raft»
War am 14. Mai 2010: Konz­ert und CD-Taufe mit Hans Bur­gen­er (vl), Mar­tin Müller (vc), Roger Stuc­ki (laptop/electronics) & Ste­fan Woodtli (dr)
Ort: Rossstall, Kul­turhof Köniz (BE), 20.30h

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010

Artikel online veröffentlicht: 30. Oktober 2018