Von Lukas Vogelsang - Medienexperte und Soziologieprofessor Kurt Imhof nennt Aufsehen erregende Meldungen, die von einem anderen Medium ohne eigene Recherche übernommen und überboten werden, «Rudeljournalismus». Der Begriff ist anscheinend in einem Gespräch von Imhof mit Alt-Bundesrat Villiger entstanden. Liebe LeserInnen, lassen Sie dieses Wort für ein paar Sekunden auf den Lippen tanzen. Geniessen Sie für den Moment das prickelnde und fruchtige, grünsaftige Bouquet ein fantastischer Jahrgang.
Das Wort ist seit letztem November bereits DUDEN-reif und darf in keiner Diskussion über Medien mehr fehlen, obwohl kaum jemand wirklich versteht, worum es geht — zumindest bei den JournalistInnen. Denn folgegleich muss es ja auch RudeljournalistInnenen geben, ein treffendes Unwort für die Journalistenzunft und nicht ganz wertefrei der Arbeit gegenüber. Das kritische Medienauge jubiliert und der gelangweilte Vielzeitungsleser fühlt sich bestätig — derweil natürlich die JournalistInnen wettern, als ob sie tatsächlich schuldig wären. Seither wird der Begriff «Rudeljournalismus» aber genau zu dem Objekt, für dessen Kritik er eigentlich erdacht worden ist. Das hat was Lustiges und Kurt Imhof meint dazu selber in einem Blog: «Es fehlen die bestandesnotwendigen politisch-publizistischen Auseinandersetzungen.» Danke, es tut gut, dies wieder einmal von einem Medienexperten und Soziologieprofessor hören zu dürfen. Und schade, dass die JournalistInnen dieser Kritik nicht etwas offener entgegen treten können. Die Geburt dieses Begriffs war eine Sternstunde für die Medienwelt.
Es gibt genug Beispiele für Erklärungen. Für alle und auch für Laien ziemlich eindeutig verständlich — zugegeben auch ziemlich billig — können die Klatschmedienberichte herhalten, welche wochenlang, stündlich über die Sarkozy-Bruni-Verbindung spekulieren konnten und bereits selber die Eheringe für die zwei Kandidaten tauschten. Sie wurden nach drei Wochen von Bruni selbst als Medien-Ente entlarvt. Die gesamte Geschichte basierte auf nichts, wurde aber von den anderen Journis als Story übernommen. Doch es geht auch im sogenannten «seriösen» Journalismus nicht besser zu und her. Erinnern sie sich an die Sex-Affäre des FC-Thun oder den Vergewaltiger von Seebach? Was Journalist A geschrieben hat, gilt für B als bereits bestätigte Tatsache und er baut darauf ein Informationsgerüst weiter, was verheerende Folgen haben kann. Die Sensationslust grüsst den Presserat. Und mal ehrlich: Wer mag eigentlich den gleichen Unsinn über Privat-Sarkozy schon am Morgen früh in allen Zeitungen lesen? Lustig dabei ist doch nur noch, welches «Qualitätsblatt» wir beim Frühstück mit Konfitüre beschmieren.
Ich persönlich empfinde bereits die Agenturmeldungen der SDA als Quelle des Übels, sozusagen als Rudeljournalistenköder. Steht bei der SDA (Schweizerischen Depeschenagentur) vom Vortag, dass Frau XYZ dies und das gesagt habe, so publiziert die halbe Medienwelt diese Meldung. Früher habe ich mich immer gefragt, warum die SDA nicht selber eine Tageszeitung produziert. Das wäre eigentlich effizienter. Mit «Recherche» haben die heutigen Tagesblätterwälder ja wirklich nichts zu tun. Der Markt regiert und wo das Rudel sich rumtreibt schein ein Markt zu sein. Der Hinweis für das Rudel kommt von der SDA — oder ein Tag später auch von der SDA. Umso blöder also, wenn die SDA-Meldung nicht korrekt war. Korrekturen sind oft peinlich und es ist nicht unüblich, dass ein Chefredaktor kurzerhand das Gegenteil von etwas zu behaupten beginnt, das er zuvor vertreten hat.
Sobald man nun den JournalistInnen ein bisschen auf die Recherchezehe steht (Rudeljournalisten, Rudeljournalisten…), wird gejammert, was das Zeug hält. Keine Zeit, kein Geld… blabla… Dabei gibt’s keine Recherchenartikel mehr, weil die Fragen und die Neugierde vergessen gegangen sind. Und weil die Zeitungen durch die Rationalisierungsmassnahmen langweilig geworden sind, verzeichnen sie wirtschaftliche Einbussen. Junge, günstige Schreiberlinge haben ein anderes Weltbild als wir «Alten»: Selbstdarstellung («Das habe ich geschrieben!») ist wichtiger als der Inhalt. Doch es geht nicht um böse Journalisten — gute Journalisten. Es ist ein Berufsethos ins Wanken geraten und gefährdet damit die Meinungsbildung der Bevölkerung. Ein schwacher Trost zum Schluss: Da wir Journis im Rudel handeln, geschieht dies weltweit.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Februar 2008