Von Lukas Vogelsang — Was für ein schöner Name: «Zagreb». Anfang Juni, auf der Reise in die alte kroatische Hauptstadt und die jüngste Hauptstadt Europas, wächst meine Erwartung. Man vermutet, dass der Name von «Wasserschöpfen» (zagrabiti) stammt – die Wortquelle könnte aber auch «hinter dem Berg» geheissen haben. Ich finde «schöpfen» schöner, und male mir in der Fantasie ein paar Bilder dazu aus. Während der Fahrt zum Hotel ist in der Dunkelheit nichts zu erkennen. Ich habe keine Ahnung wo ich mich befinde. Das Land ist mir neu.
Mein erster Eindruck – nach einem kleinen Wellblechflughafen, der nicht überzeugen mag – wird durch das Hotel Esplanade Zagreb korrigiert. Das Hotel wurde 1925 erbaut, es sollte den Reisenden des Orient-Express als Luxusbleibe dienen. Da die Preise in Kroatien noch nicht auf europäischem Niveau angekommen sind, kann man sich eine Übernachtung hier gut leisten. Und das lohnt sich: Der Charme von vergangenem Glanz ist da, und die Qualität stimmt. Soweit ich das beurteilen konnte, gibt es in Zagreb nicht mehr viele Hotels, in denen sich ein Aufenthalt während der Durchreise ebenso lohnen würde. Eingeladen hat zu dieser Reise übrigens das Tourismusbüro von Zagreb, bezahlt auch. Die Stadt ist bemüht, den Tourismus anzukurbeln. Rund 30% des kroatischen Bruttosozialprodukts wird in Zagreb erwirtschaftet. Hauptsächlich durch die Elektronik- und Pharmaindustrie, den Handel und eben den Tourismus. Allerdings fehlt es an Geld an allen Ecken und Enden. Das Durchschnittseinkommen beträgt gerade mal rund 820 Franken im Monat – aber die Preise steigen, und man überlebt nur durch Kleinkredite und weitere Kleinkredite, was natürlich keine gesunde Wachstumsspirale verspricht.
Eine bewegte Geschichte hat Kroatien geprägt: 1918 wurden die staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Kroatien und der österreichisch-ungarischen Monarchie aufgelöst, und ein Staat der Slowenen, Kroaten und Serben gegründet – mit Zagreb als Hauptstadt. Nach langen, schwierigen Jahren erklärte das kroatische Parlament 1991 die Unabhängigkeit – und im gleichen Jahr erschütterten heftige Kämpfe die Region. Bis 1995 dauerten die Spannungen an – in diesem Jahr schlugen noch Streubomben in die Innenstadt ein. Selbst heute ist keine Ruhe zu spüren. Die Kroaten sind ein gespaltenes Volk, und Alle sind gegen Alle. Zwar kämpft man heute nicht mehr mit Waffen, als TouristIn lebt es sich ungefährlich, aber man wirft sich politisch jedes Hindernis in den Weg. Speziell für junge Menschen ist das hart. Die Arbeitslosigkeit ist mit durchschnittlich 18% ziemlich hoch, und die alten Geschichten prägen das Bewusstsein der Einwohner.
Glück hat, wer im Ausland studieren oder arbeiten kann. Jene, die zurückkommen, haben das Schicksal in die eigene Hand genommen, sorgen für sichtbare Veränderung und bauen etwas auf. Da ist ein Potential, welches hier schlummert, und die Stadt sehr spannend und lebendig macht. Als Vorzeigebeispiel gilt sicher das auch hier bekannte «Museum of Broken Relationships», welches 2006 als selbsttherapeutische Massnahme von zwei Künstlern aufgebaut wurde, die ihren Trennungsschmerz nach dem Ende ihrer gemeinsamen Beziehung auf diesem Weg verarbeiteten. Die Idee gewann 2011 einen Preis als das innovativste Museum Europas. Gerade diesen Sommer (17. April — 30. August) war eine Wanderausstellung zu Gast im Museum für Wohnkultur in Basel. Irgendwie passt dieses Museum zu der Stadt Zagreb: Liebeskummer.
Kroatien ist übrigens ein katholisches Land. 1994 feierte man das 900-jährige Jubiläum von Zagreb mit dem Papst Johannes Paul II. Je mehr man sich mit dieser Stadt auseinandersetzt, umso mehr überraschende Entdeckungen sind zu machen.
In jedem Tourismusführer steht als besonderes Highlight die «Vinoteka Bornstein» an prominenter Stelle. Doris und Ivan Srpek haben diese den «Bornsteins» abgekauft, und führen den Laden unter dem gleichen Namen weiter. Lange Zeit lebte Ivan in Australien – was sein sehr gutes Englisch erklärt, nicht aber, warum die Webseite nur kroatisch verfügbar ist. Das ist ein schwerer Fehler, denn der kroatische Wein erhält hier die Geburtsstunde seiner Entdeckung. Das Klima in diesem Land ist optimal, und der Wein ist zu sensationellen Preisen erhältlich. Eine sehr gute Flasche Wein kostet nur 15 Franken – ein vergleichbarer Wein würde bei uns 50 — 80 Franken die Flasche kosten. Wer in Zagreb ist muss diesen Ort besuchen. Und wer eine Nase für Wein hat, kann hier glücklich einkaufen. Der europäische Markt wird dies hoffentlich bald auch tun.
Ausserhalb der Stadt wurden grosse Einkaufszentren errichtet, die an Modernität kaum zu überbieten sind – was angesichts der nicht sehr kaufkräftigen Bevölkerung ziemlich schräg wirkt. Meine Zeit reichte leider nicht für den Weg aus der Stadt, aber dort versucht ein neues Kroatien, dem alten Morast der Geschichte zu entfliehen und technokratische Denkmäler zu bauen. Wer das sehen will, kann in einer Suchmaschine unter «Einkaufszentren» und «Zagreb» nach Bildern suchen. Für die Innenstadt ist das natürlich nicht förderlich, denn die alten Ladenstrassen werden unattraktiv, sterben langsam aus. Die Zahl der Ramschläden nimmt zu, grosse, bekannte Marken sieht man wenig. Dies wirkt sich wiederum auf den Tourismus aus.
Ein kleiner Abstecher gelang mir allerdings, kurz vor der Abreise: Beim Hotel, hinter den Bahngleisen, auf dem Weg aus der Stadt hinaus, kommen die alten Wohnblöcke zum Vorschein. Der Schritt von der historischen Stadt zu diesen Sozialblöcken ist sehr klein, und überrascht. Es ist der Teil, den man nicht auf Postkarten zu sehen bekommt. Zagreb ist aber eine wunderbare Stadt. Durch die Universität, die vielen Kulturinstitutionen, die vielen Ecken und Geschichten garantiert eine Entdeckungsreise. Es gibt nicht mehr viele Städte in Europa, deren Entwicklung wir so nahe mitverfolgen können. Es lohnt sich, jetzt in diese Welt einzutauchen – denn bald einmal wird auch hier die Vergangenheit der Neuzeit Platz machen müssen. Dann wird der Charme von Zagreb schwinden, die Märkte unter den roten Sonnenschirmen, die für TouristInnen in den Gassen zelebrierte Folklore – und die Stadt der Millionen Herzen, wie sie von Einheimischen genannt wird, wird grau werden.