Von Lukas Vogelsang - Die bäuerliche Schweiz dekonstruiert zur Zeit erfolgreich jegliches Quäntchen an positivem Geist in diesem Land. Auf politischer Ebene nimmt die Lächerlichkeit kein Ende und man muss sich ernsthaft überlegen, ob Fasnachtsumzüge in Zukunft nicht generell nur noch im Bundeshaus und in den Ratshäusern stattfinden sollten, um jene üblen Wolken zu vertreiben (und den Winter damit klimatechnisch zu retten…), die unseren Alltag zu verdunkeln versuchen. Ob SVP, FDP oder sonst ein «P»: Irgendwie läuft alles aus dem Ruder. Da hilft übrigens auch Giacobbo/Müller mit dem «Late Service Public» auf SFDRS nicht weiter — dieser Service Public gilt nur der nationalen Einschlafhilfe für erschöpfte Gemütszustände.
Das Publikum und die Medien gedenken indes mit Trauerumzügen der illusionierten 68er-Generation, den Kiffern, Hippies und Anarchistenrevolutionären, gedenken Max Frisch, dem letzten Intellektuellen. Nach ihnen die Sintflut oder «Land unter!», schreit es von den Dächern der UBS und Credit Suisse und Marcel Ospel ist so sportlich wie noch nie davon gerudert. Eine Arche hat niemand gebaut, das goldene Kalb ist wertlos, dafür rufen jetzt alle «Hurra, wir kapitulieren!». Die SVP-Bundesrätin, und das ist sie in ihrer Überzeugung ja noch immer, hat einen Tag nach der grössten Solidaritätsbekennung der Schweizerinnen nichts besseres verstanden, als ein SVP-Parolenprogramm durchzugeben und zu zeigen, dass die schweizerische Solidarität für die SVP noch immer ein Fremdwort ist, eben auch für Frau Widmer-Schlumpf. Ich war entsetzt über soviel Respektlosigkeit — die anderen Medien fanden es lustig.
In diesem Chaos, zwischen Pleiten, Pech und Pannen (aufmerksame LeserInnen erkennen die «P»-Wörter), treibt der böse und teuflische Bashing-Geist nun auch wieder in den Städten vertieft sein Unwesen. Wir erinnern uns an Berner-Weltwoche-Politiker Dr. phil. Urs Paul Engeler, dessen Bern-Bashing in den Medien im letzten Jahr eine entsetzte Schweigeminute auslöste. Wahrlich, seine Abhandlung war für Bern schwer zu schlucken. Doch man brüstet sich heute ja mit Schlechtrederei oder als Stadtratspolitiker mit blinder Lobhudelei — ohne das Gegenüber könnte keine Haltung überleben.
Und zur vollkommenen EURO-Stunde übertraf am 19. April Zürichs Stephan Pörtner im Tages-Anzeiger mit einem 2:1 Engelers rechtes «Ängeli-Tor». Der Schriftsteller mit dem Strohhut pisste mit spöttischer Leichtigkeit an den bernschen weissen Flaggen vorbei und schoss mit «In Zürich herrscht Begeisterungszwang» das grandiose Eigentor: «Denn wir sind nicht nur im Koksen Weltmeister», wettert er zum Beispiel über Zürich. Oder da stand, dass die enorm hohe Dichte an Prostituierten unter anderem auch aus Menschenhandel stamme oder aber: «Zürich bleibt die Grossstadt der Hinterbänkler, der Einfamilienhausgören und Vorörtler.» Das schreibt einer, der selber in einem Vorort wohnt. «Man darf alles in dieser Stadt, ausser von gestern sein», rechtfertigt Pörtner und ist damit selber weit von gestern, denn das wissen wir ja schon lange. Und dass niemand zuvorderst stehen wolle, verkündet der Krimi-Schriftsteller just heroisch selber ganz vorne stehend, damit jeder das Antibeispiel gleich erkennen kann. Schade, dass er kein Selbstmitleid kreieren konnte, dass der Erfolgsdruck in einer grossen Stadt den Menschen keine Zeit für teure Selbstprostitutionslitaneien zulässt. Dabei sollte er es wissen: Pörtners Blog («Stephan Pörtner labert») gähnt friedlich im Internet vor sich hin und ist in zwei Jahren wohl nur von ihm selber besucht worden. Heute muss man arbeiten fürs Geld und sich gegen die Menge gut verkaufen können — dass dabei nicht jeder gleich ein revolutionäres Buch schreiben kann oder polternder Politiker wird, liegt ja wohl auf der Hand; und wir nehmen es dankbar zur Kenntnis. Sogar Marcel Ospel hat es uns vorgemacht.
Pörtner und Engeler beschreiben eigentlich nichts anderes als das hundsnormale Grossstadtleben. Was also soll dieses Meisterschaftsbashing? Was wollen uns die Herren mit ihrem destruktiven Fahnenschwingen beibringen oder mitteilen? Geben sie uns Städtern und ihrer intravenösen Polter-Medizin wenigstens eine Lebenslösung oder andere Vorschläge für ein besseres Leben bei? Nein. Statt zu politisieren kassieren sie Honorare für ihre Tiraden, oder wie Engeler so schön sagte: «Ich habe keine Mission, sondern einen Arbeitsvertrag.»
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Mai 2005