Von Irina Mahlstein — Es ist soweit! Ich habe mein Datum gekriegt. Ich habe mir immer vorgestellt, wenn man sein Datum kennt, dass dann der Stresslevel in unvorstellbare Höhen klettert. Irgendwie, dachte ich mir, geht das doch gar nicht anders. Und genau so ist es auch gekommen. Für eine Sekunde stockt der Atem und irgendwann sickert es durch, bis in die hinterste und letzte Hirnwindung: Es geht zu Ende. Die Zeit als Doktorandin ist ab jetzt nur noch ein Countdown. Obwohl, in meinem Fall, ein speziell langer Countdown. Aber langsam sieht man Licht am Ende des Tunnels. Unvorstellbar. Innerhalb von ein paar wenigen Tagen haben sich viele Fragen geklärt. Die erste eben wie gesagt: «Wann entscheidet sich endgültig, ob ich Frau Doktor werde?» Und die zweite: «Wo und bei wem arbeite ich danach?»
Es ist wie immer ein wenig erstaunlich, und dies möchte ich hier wirklich ohne anzugeben schreiben, schulische und berufliche Dinge sind mir immer ein wenig in den Schoss gefallen. Klar bin ich brav und fleissig, aber in so vielen Situationen hatte ich auch einfach die nötige Portion Glück. Tja, den Dummen gehört die Welt. Ich bin gerade dran, mir ein kleines Stück dieser Welt zu erobern. Vorausgesetzt, alle Mäuse kommen mit an Bord des Schiffs in die Staaten. Die Chancen stehen nämlich gerade sehr gut, dass es mich in diese Gegend verschlägt. Und wo werde ich wohl sein? Die Leser, die auch brav über den Sommer meine Kolumne gelesen haben, wissen es schon. Und den anderen reibe ich es gerne unter die Nase: Ich werde vielleicht nach Boulder, Colorado, gehen.
Ihr seht, mein Leben danach formt sich gerade, die Zukunftsmusik dudelt mir so laut in die Ohren, dass ich bald einen Hörschaden davon trage. Und es verdreht mir den Kopf, aber zünftig! Doch als erstes muss ich jetzt eine anständige Doktorarbeit auf den Tisch bringen. Sonst wird die Zukunftsmusik bald zur schmerzenden Dissonante. Denn meine zukünftige Chefin wird die Ehre haben (oder wohl eher ich habe die Ehre) meine Doktorarbeit auf das Genaueste zu prüfen. Soweit scheint also alles in Ordnung zu sein. Doch je mehr ich versuche, meiner Zukunft Form zu geben, umso mehr Hürden stellen sich mir in den Weg. Denn zwei Leben für einen zweijährigen Auslandaufenthalt zu koordinieren, ist echt eine Herausforderung! Zurzeit herrscht Chaos. Ich mag kein Chaos. Ich benötige zu jedem Zeitpunkt einen Lebensplan, und genau dies wird mir im Moment nicht vergönnt.
Der Tiger will da nämlich studieren. Die da drüben meinen nun, es sei sinnvoll, zu dem Zeitpunkt das Semester zu beginnen, welcher für meinen (unseren?) Lebensplan extrem nicht sinnvoll ist. Können die da drüben nicht einmal ein wenig Rücksicht auf die alte Welt nehmen? Uns gibt’s schon länger, also wissen wir auch, wie man gewisse Dinge richtig macht! Ich werde davon ausgehen müssen, dass mein Appell ungehört bleibt. Irgendwie müssen sich die Dinge folglich sonst irgendwie fügen. Und das werden sie wohl auch. Nur hindert mich meine dämliche Ungeduld daran, dies alles gelassen zu nehmen. Denn ich brauche jetzt einen Plan. Es ist mir schon klar, dass dies eine doofe und nicht flexible Einstellung ist, welche gerade heutzutage nicht haltbar ist, weil heute jedermann flexibel ist. Aber ich bin nun mal nur bedingt flexibel. Und es gibt auch Blöderes als das. Zum Beispiel den Welttoilettentag (Nicht, dass ich die Sache an sich, also das Klo, nicht schätzen täte. Die Wichtigkeit dieser Erfindung ist mir absolut bewusst, vor allem als Stadtbewohnerin). Und aus Freude dieses Anlasses war im Netz eine Bildstrecke mit den spektakulärsten stillen Örtchen der Welt zu sehen. Da hat jemand tatsächlich sein Klo mit Swarovski-Kristallen überzogen. Ob dies meiner Prinzessin wohl gefallen würde? So lange meine Zukunft nicht die Toilette runtergespült wird, ist auch ein Gedenktag an diese Dinger verkraftbar.
Notiz: Es dauert noch sieben Monate, bis ich meine Arbeit abgeben muss.
Foto: Barbara Ineichen
ensuite, Dezember 2009