Von Sonja Wenger — «Man sagt, die Welt sei ein Dorf geworden. Nehmen wir an, dieses Dorf heisse zum Beispiel Suberg, dann kann man hier die ganze Welt sehen.» Mit diesen Worten beginnt der Berner Regisseur Simon Baumann seinen neuen Dokumentarfilm «Zum Beispiel Suberg». Darin geht er auf intelligente Weise und mit einer faszinierenden inneren Ruhe der Geschichte seiner Familie und seines Heimatdorfes Suberg nach, und zeigt exemplarisch, aufgrund welcher Entwicklungen innert weniger Jahrzehnte viele «verschlafene» Schweizer Bauerndörfer zu «anonymen Schlafdörfern» wurden.
Suberg liegt zwischen Bern und Lyss und hatte gemäss Baumann 2013 noch 609 Einwohner und Einwohnerinnen. Bis in die siebziger Jahre sei das Dorf von einer kleinbäuerlichen Struktur geprägt gewesen, in denen man im besten Sinne aufeinander angewiesen war und sich gegenseitig ausgeholfen hatte. Von den ursprünglich vierzehn Bauernhöfen seien heute nur noch zwei übrig, einer davon ein Grossbetrieb. Und auch durch die anhaltende Tendenz zur Zersiedelung ist das Dorf in mancher Hinsicht zwar grösser geworden, aber nicht gewachsen.
Der heute 34-jährige Baumann hat, wie er selber sagt, mehr aus Zufall denn aus bewusster Entscheidung, fast sein ganzes Leben in Suberg verbracht – und kenne dennoch keine fünf Leute im Dorf. Mit der Mission, dies zu ändern, machte er sich auf die Suche nach einem Dorfkern, nach einer Gemeinschaft oder einfach nach Menschen, die er besser kennenlernen könnte.
Ganz so einfach war es aber nicht für Baumann. Zwar war sein bereits 1975 verstorbener Grossvater eine respektierte Person im Dorf. Doch seine Eltern Stephanie und Ruedi Baumann, die beide in den neunziger Jahren für die SP und die Grünen im Nationalrat sassen, haben sich durch ihren Einsatz für den Erhalt einer kleinbäuerlichen Dorfstruktur in Suberg wenig Freunde gemacht. Das bekommt auch der Sohn sehr offen zu spüren.
Baumann meistert diese Hürden jedoch souverän und wird auf seiner Suche nach einem Zusammengehörigkeitsgefühl fündig im Männerchor des Dorfes. Nicht, dass man es ihm dort leichter machen würde. Nur ein kurzer Besuch bringe nichts, sagt ihm die Chorleiterin, er müsse sich das Ganze schon ein paar Jahre lang ansehen und am besten gleich Mitglied werden. Also überwindet der junge Mann die Grundangst seiner Generation vor festen Verpflichtungen. Er beginnt sich offiziell im Dorf zu engagieren und integrieren – und tatsächlich öffnen sich so leichter Türen und gar Herzen, denn ganz so grantig und verschlossen, wie viele Dörfler – und Dörflerinnen – auf den ersten Blick wirken, sind sie dann doch nicht.
Das respektvolle wenn auch teilweise entlarvende Porträt, das Baumann über die Menschen von Suberg machte, hat bereits einige Preise eingeheimst. So gewann die Drehvorlage den ersten CH-Dokfilm-Wettbewerb des Migros-Kulturprozent und am diesjährigen Festival Vision du Réel in Nyon erhielt «Zum Beispiel Suberg» den Preis der interreligiösen Jury. Zu Recht. Der Film ist nicht nur unterhaltsam und kurzweilig, gekonnt gefilmt, geschnitten und vertont, sondern auch eine witzige, ehrliche und unprätentiöse Suche nach dem eigenen Ursprung, die berührt, nachdenklich stimmt und inspiriert. Denn der Trend, dass «man nicht mehr unter allen, sondern nur noch unter sich lebt», wie es einst Schriftsteller Peter Bichsel schrieb, ist eben nicht «einfach so». «Zum Beispiel Suberg» zeigt, dass die Bewahrung eines Gemeinschaftssinns und einer lebendigen Dorfkultur an jedem und jeder Einzelnen liegt – und dass schon ein neues Dorflädeli mit einer Fläche von 9,9 Quadratmeter eine Form von kreativem Widerstand bedeutet.
«Zum Beispiel Suberg», Schweiz 2013. Regie: Simon Baumann. Länge: 90 Minuten. Ab dem 28. November 2013 in Deutschschweizer Kinos.
Foto: zVg.
ensuite, November 2013