- ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst - https://www.ensuite.ch -

«Zwei Monate später merke ich, dass ich doch etwas damit sagen wollte.»

Inter­view Mar­tin Sigrist mit SOHN, 2. Okto­ber 2014, Dach­stock Bern

SOHN ist ein Über­flieger, bere­its seit sein Album «Tremors» im Früh­ling erschienen ist. Sein melan­cholis­ch­er Elek­tropop und seine weiche Stimme machen ihn ab den ersten Fes­ti­valauftrit­ten zum grossen Hit. Ensuite traf den Brit­ten vor seinem Konz­ert im Bern­er Dach­stock, um neben­bei auch zu erfahren, wie es eigentlich um das durch ihn und die Medi­en geschaf­fene Image ste­ht. Sitzt da der grosse Unbekan­nte, der nach Wien auswan­derte, um die Ein­samkeit zu find­en?

Eben hast Du Dich nicht mit Namen vorgestellt, noch immer nicht?

Nein, ich stelle mich immer als SOHN vor. Es ist komisch, wenn Leute meinen richti­gen Namen ver­wen­den, den ich schon mit 15 abgelegt habe. SOHN ist nun mein richtiger Name, keine Kun­st­fig­ur.

Wo endet SOHN, wo beginnt Christopher?

Es gibt keine Gren­ze, es gibt nur SOHN. Das war eine sehr bewusste Entschei­dung um mich so zu verän­dern. Mit einem Namenswech­sel geht das ein­fach­er, um zu pro­jizieren was man wirk­lich machen will. Damit kann man auch Dinge hin­ter sich lassen.

Nervt es Dich, dass so viele Leute wissen wollen, warum Du Dich gerade SOHN nennst?

Nein, das ist eine berechtigte Frage. Ich wollte ein­fach ein deutsches Wort benutzen, weil ich in Wien wohne. Und das Wort klingt gut und hat eine gute Länge und Form. Es passt per­fekt zu der Per­son, die ich wer­den wollte, weich und stark zugle­ich. Und man denkt dabei an nichts, selb­st wenn man das Wort ver­ste­ht.

Ein Neustart nicht ganz ohne Ballast: Ein Sohn ist ja immer jemandes Sohn.

Ja klar, das war auch mein Gedanke, doch ich wollte mein eigen­er Sohn sein, der seine Erfahrun­gen an sich sel­ber weit­er gibt, zumin­d­est die guten. Und bei vie­len Wörtern weiss man sofort, was es sein kön­nte, aber bei Sohn hat man gar kein Bild. Ich wollte, dass man dabei nur an meine Musik denkt.

Wolltest Du vieles von Dir hinter Dir lassen?

Ich wollte ganz frisch anfan­gen obwohl ich schon immer Musik gemacht habe. Wie ich die Songs von SOHN kon­stru­iert habe, hat mir geholfen, mich per­sön­lich zu verän­dern. Ich habe mich bewusst gegen meinen Instinkt entsch­ieden und damit für weniger Melodie und Gesang. Ich habe Zeilen hal­biert und mich zu mehr Leere gezwun­gen. Dieses Weniger hat die Töne und Worte gestärkt, sowie meine Stimme verbessert – und wie ich mit Leuten kom­mu­niziere. Mir wurde bewusst, wie viel ich früher geschwafelt habe.

Welchen Einfluss hatte das auf die Texte?

Ich bin mir nicht sich­er. Die Texte sind schon immer ent­standen, indem ich mit geschlosse­nen Augen ein­fach mal was gesun­gen habe. Dabei kamen Worte raus, die ich mochte und mit denen ich spielte. In dem Moment ist mir nicht bewusst, was ich genau damit sagen will. Am Ende kon­stru­iere ich daraus ganze Zeilen. Dann sehe ich, ob die Zeilen etwas gemein­sam haben. Ob es Sinn macht, merke ich erst dann, vielle­icht erst Monate später oder auf der Bühne.

Hat das immer funktioniert?

Nein. Viele denken, mein Album sei ein Tren­nungs-Album, obwohl ich zu jen­er Zeit in ein­er Beziehung war. Rück­blick­end denke ich den­noch, dass man bei den Tex­ten an die let­zten Ver­suche denkt, eine Beziehung zu ret­ten. Jet­zt bin ich nicht mehr in ein­er Beziehung, und die Texte machen für mich viel mehr Sinn. Damals dachte ich, ich schreibe ein­fach Lieder. Zwei Monate später merke ich, dass ich doch etwas damit sagen wollte.

In welchem Zustand muss man denn sein, um solche Texte zu schreiben?

Ich mache es wohl unter­be­wusst, ohne mich unter Druck zu set­zen. Wenn es passt und sich richtig anfühlt und ich mich nicht dafür schäme, dann behalte ich den Text und denke nicht darüber nach. Es ist wie Poe­sie: Wenn es funk­tion­iert, braucht es keine Recht­fer­ti­gung.

Das Publikum macht sich aber ein Bild von Dir.

Ja, und es ist wohl schon alles wahr. Nur wusste ich das vorher nicht. Ich wollte ein­fach das Album fer­tig machen, nach dem Erscheinen hörte ich es mir gar nicht mehr an. In Inter­views merk­te ich dann, dass die Leute bere­its eine Mei­n­ung haben. Es stört mich nicht, was die Leute sagen. Ich will sie nicht kor­rigieren, auss­er vielle­icht, wenn jemand wirk­lich ganz krass daneben liegt. Hinge­gen ver­suche ich nicht, meine Mei­n­ung durchzuset­zen.

Du hast nicht das Gefühl, etwas erklären zu müssen.

Nur beim Song «The Wheel», weil so viele Leute denken, es sei ein düster­er Text. Ich sehe es aber eher als erhebend und nihilis­tisch, wenn Leute real­isieren, dass nichts wichtig ist. Wenn die Leute dann den Text «I died a week ago» hören, find­en sie das mak­aber. Doch es ist nur ein fig­u­ra­tiv­er Tod. Ster­ben kann als Neuan­fang toll sein. Und ich sterbe ja in dem Lied nicht wirk­lich, ein­fach etwas in mir.

Gibt es Fragen, die Dich nerven?

Am ehesten wohl, warum ich von Lon­don nach Wien gezo­gen bin. Aber ich weiss, dass das in mein­er Pressemit­teilung ste­ht. Es lang­weilt mich, aber die Leute sehen mich jet­zt als Nomaden, der Lon­don als Haupt­stadt der Musik für den Frieden in Wien ver­lässt. Ich sehe, dass das faszinierend sein kann.

Ist es denn ein bisschen wahr?

Eigentlich schon. Aber ich bin kein Nomade, son­dern wohne weit­er­hin in ein­er Stadt. Ich bin auch nicht dahin, um mich abzukapseln, son­dern um neue Erfahrun­gen zu sam­meln. Von Lon­don bin ich gelang­weilt, denn die Stim­men da ändern sich nicht. Es sind die gle­ichen Leute, ein­fach mit anderen Namen.

Wie kam es dazu, dass Du das ganze Album nachts produziert hast?

Weil ich das erste Mal die Möglichkeit dazu hat­te. Früher arbeit­ete ich tagsüber und nach sieben Stun­den Arbeit wurde ich immer unpro­duk­tiv und unzufrieden. Wenn ich für andere Pro­duk­tio­nen arbeite, muss ich fer­tig wer­den. Diese Ein­stel­lung wollte ich auf meine eigene Arbeit anwen­den um das Album vor der Tour zu been­den. Als ich abends arbeit­ete, kam ich nach sieben Stun­den nicht mehr nach Hause. Deshalb habe ich bis zum Mor­gen weit­er gear­beit­et und dabei gemerkt, dass es viel bess­er funk­tion­iert, wenn ich länger als sieben Stun­den durch­halte. Es ist so frus­tri­erend ein­fach.

Es muss nicht nachts ein.

Nein, ich musste ein­fach jew­eils diese sieben Stun­den über­ste­hen. Die nach­fol­gen­den Stun­den waren dann wie der Him­mel. Es klingt zwar wie ein Nach­tal­bum weil es nachts ent­standen ist. Ich bin aber nicht der König der Dunkel­heit, der nur nachts Musik machen kann.

Du bist nicht dieser traurige Typ?

Mein Instinkt wollte diese Texte schreiben. Wenn ich wirk­lich glück­lich wäre, würde ich sie wohl schreiben. Und wenn man ganz alleine nachts arbeit­et, musste es wohl so kom­men.

In diesem Moment bist Du Deine einzige Inspiration.

Ja, ich möchte nicht mehr alleine arbeit­en. Son­st würde ich mich wieder­holen. Ich habe seit dem Album vieles getan und vieles hat sich geän­dert. Aber musikalisch möchte ich nicht wieder in ein leeres Stu­dio kom­men, ohne neues musikalis­ches Wis­sen und ohne neues Equip­ment. Dann würde wohl nochmals das gle­iche Album entste­hen. Ich möchte Leute und Meth­o­d­en find­en, die mich inspiri­eren. Fürs näch­ste Album möchte ich Pro­duzen­ten, die etwas aus mir her­aus­bekom­men und mir sagen, was ich anders machen kön­nte.

Hast Du schon Wünsche?

Nein, ich möchte mich nicht auf bes­timmte Per­so­n­en und deren frühere Arbeit stützen son­dern ein­fach schauen, ob mich jemand inspiri­ert. Es geht mir nicht um den Stil der Per­son oder ihre Tech­nik. Ich merke hinge­gen schnell, ob Leute im Stu­dio bei mir was aus­lösen.

Wird es wieder ein Album von SOHN sein?

Ich denke schon, bin mir aber nicht sich­er, denn es gibt ein paar inter­es­sante Möglichkeit­en für eine Zusam­me­nar­beit mit gewis­sen Leuten. Das kön­nte etwas eigenes sein. Es wäre aber blöd, das so früh in der Kar­riere zu machen. Und mein Plat­ten­ver­trag würde so etwas gar nicht abdeck­en.