Von Lukas Vogelsang — Da haben wir jetzt also einen neuen SRG-Direktor, und irgendwie wurden wir mit der Wahl so überrumpelt, dass wir nicht wissen, ob wir glücklich sein sollen. Einerseits überrascht, dass die SRG das journalistische Gewicht verstärkt, ja, sogar ernst nimmt und durch Roger de Weck eine hervorragende Galionsfigur gefunden hat. Endlich erhalten wir das Gefühl, dass Fernsehen und Radio auch intellektuell sein können und nicht nur Unterhaltungsmedien, es eben auch um Inhalte gehen könnte. Es besteht die Hoffnung, dass sich durch de Wecks Wahl die SRGsche Vitamin-B-Kultur verändern wird und neu Menschen mit Qualitäten für die SRG und nicht für die eigene berufliche Laufbahn und deren Freundeskreise angestellt werden.
Andererseits ist gerade er selber ein Vitamin-B-Problem. Roger de Weck ist ein guter und respektierter Freund in der Medienwelt. Die SRG, gebeutelt durch langjährige Kritik an den Sendern und deren Personen, wird neu also von einem Freund der Kritiker dirigiert. Dabei gibt es ein scheinheiliges neues Problem: Wer will hier noch kritisch bleiben? Wer wird es wagen, wenn Roger de Weck Mist baut, ihm mit den richtigen Worten auf die Finger zu hauen?
Strategisch gesehen hat die SRG einen perfekten Plan gut umgesetzt. Aus ihrer Sicht ist diese Wahl eine Glanznummer, die eigene Reputation ist gelungen. Und da de Weck auch im Ausland ein gutes Aushängeschild macht – immerhin war er als Chefredaktor bei der «Zeit» in der obersten Klasse in diesem Berufstand angelangt –, dient er der SRG gleich doppelt. Unser nationales Fernsehen und Radioprogramm ist mit einem Schlag zu einem europaweit ernstzunehmenden Medienkanal geworden.
Da gibt es natürlich auch Fragen. Roger de Weck kann in seiner Biographie keine betriebswirtschaftlichen Qualitäten ausweisen. Er, der jetzt auf einen Schlag Chef von 6 100 Angestellten, acht TV- und 18 Radioprogrammen geworden ist, hat keinerlei wirtschaftliche Führungskompetenzen vorzulegen. Und dies ausgerechnet jetzt, wo die SRG finanziell am kriseln ist. Ich habe sogar etwas Angst, dass die SRG-Lawine den «gutabsichtigen» Roger de Weck einfach umrollen wird. Persönlich glaube ich, an dieser Position braucht es ein Narbengesicht und keinen schönen Geist – obwohl ich an das Zweite auch mehr glauben will.
Etwas ist noch gar nicht wirklich erwähnt worden – dies sicher, weil niemand sich getraut, es anzusprechen: Roger de Weck hat einen gut sichtbaren Augenfehler. Das tut sehr viel zu seinem Charme und unterstreicht seine inhaltlichen Kompetenzen. So kann er nicht einfach mit dem Satz «Schau mir in die Augen, Kleines» überzeugen, sondern muss klar mit Inhalt trumpfen. Und das ist ja eben gut so. Ein weiterer Vorteil hat dieser Augenfehler, da man nie so recht weiss, wohin de Weck blickt. Mehr rechts oder links? Schaut er jetzt mich an oder den Nachbarn? Das wird ihm in der SRG bestimmt helfen – die Angestellten werden verunsichert und seine natürliche Autorität wächst dadurch wunderbar. Und es ist ja nicht so, dass Roger de Weck sich dadurch verstecken würde – im Gegenteil: Als Moderator der SF1-Sendung «Sternstunden Philosophie» steht er ja bereits im Mittelpunkt.
Das Geschrei der rechten Parteien zur Wahl ist übrigens unbegründet. Diese haben mal wieder Angst, dass sie zu kurz kommen könnten. Das haben die ja immer und deswegen schaffen sie es auch nie, selber Kandidaten aufzustellen, die ein gesundes Selbstbewusstsein und eine ebenso gesunde Sichtweise auf die Nation werfen können. «Zwei Sichtweisen auf einen Blick» – so haben ein paar Scherzkekse in Anspielung auf de Wecks Augen in einer lustigen Aktion eine Medienkonferenz angekündigt, die natürlich gefaked war. Aber der Spruch könnte durchaus als Motto für die neue SRG dienen.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Juni/Juli 2010