Von Salvatore Pinto — Als sich Ende der Neunzigerjahre der Frontsänger der italienischen Kultband Litfiba, Piero Pelù, nach schweren Streitereien mit dem Gitarristen Ghigo Renzulli entschloss, eine Solokarriere zu starten, ging ein Schrei der Entrüstung durch die Fanreihen. War den Florentiner Rockern der Erfolg zu Kopf gestiegen? Spekulationen dominierten die Schlagzeilen. In den darauffolgenden Jahren versuchten beide Parteien ihr Glück mit eigenen Projekten – doch so richtig erfolgreich waren sie beide nicht.
Heute, zehn Jahre nach der Trennung, haben sie sich wieder zusammengerauft. Das Resultat: ein neues Album und die Europatournee «Lo Stato Libero Di Litfiba», der Freistaat Litfiba. Dieser wurde von den beiden Rockteufelchen am vergangenen 12. März in Zürich ausgerufen, anlässlich des Konzerts im Volkshaus. ensuite-kulturmagazin nutzte die Gelegenheit und traf Ghigo Renzulli auf ein Interview.
Ghigo Renzulli, steigen wir ein mit dem Sprichwort: Es wächst zusammen, was zusammengehört.
Du bringst es auf den Punkt: 2008 spürten Piero und ich das Bedürfnis, gemeinsam wieder auf die Bühne zu gehen. Wir wollten Litfiba aufleben lassen und alte Streitigkeiten beiseite legen.
Euer erstes gemeinsames Konzert fand aber erst zwei Jahre später statt.
Ja, wir wollten uns Zeit geben, den richtigen Spirit zu finden …
… der im Motto «Lo Stato Libero Di Litfiba» mündete.
Seit jeher wehren wir uns gegen Konformismus. Auch stinkt uns die Politik, wie sie in Italien gegenwärtig herrscht. Wir sehen uns als freie Menschen. Der Slogan begleitet uns überallhin, auch auf der Tournee durch Europa.
In der Schweiz sind mehrere Etappen vorgesehen.
Ja, Genf und Zürich. Die Tournee tut uns gut: Sie beschert uns zahlreiche motivierende Momente. Wir hätten niemals geglaubt, dass uns die Fans nach wie vor so gut gesonnen sind.
Wie es scheint, haben sie auf euch gewartet.
Vermutlich. Es ist schön, wenn man in Städten wie London, Berlin oder Genf auf ein dermassen tolles Publikum trifft. Wenn man bedenkt, dass wir vor 15 Jahren in Amsterdam vor gerade mal dreissig Menschen gespielt haben. Das war doch etwas frustrierend.
Dafür habt ihr in den Achtzigern und vor allem in den Neunzigern in Italien für ein Rock-Erdbeben gesorgt und die Musikbranche ordentlich aufgemischt.
Das passt zu uns. Wir experimentieren und setzen uns gerne in Szene. Jede unserer CDs ist ein bisschen anders, sowohl musikalisch als auch thematisch. Wir bedienen uns unterschiedlicher Stilmittel, probieren neue Strukturen aus, provozieren, indem wir die Dinge beim Namen nennen … und ich denke, die Fans lieben uns dafür.
Es gibt wohl kaum eine Rockband, die nicht provoziert.
Das mag sein. Allerdings unterscheidet sich unser Background wesentlich vom angelsächsischen Rock. In unserem Sound verbergen sich Einflüsse aus dem Mittelmeerraum. Ich spreche gerne von Rock Latino, der unter anderem auch Elemente der Nordafrikanischen Musikkultur in sich birgt …
… vermischt mit Blues, Punk, Hardrock und Psychedelik. Herausforderung oder Pflicht?
Beides. Wenn wir komponieren und Texte schreiben, spüren wir unsere eigenen Wurzeln. Trotzdem lassen wir auch andere Strömungen zu. Regelmässig werfen wir den Blick nach Europa; schauen, was um uns herum passiert. Wir sind eine Band, die nicht nur Musik produziert, sondern auch kauft. In den letzten Monaten haben wir auf unseren Reisen durch Europa die CD-Sammlung massiv erweitert, nur um zu sehen, was in der Europäischen Szene sonst so abgeht. Es ist wichtig, dass man den eigenen Horizont offen hält und stets nach neuen Inspirationen sucht.
Wie hat das Publikum in Italien euer Comeback wahrgenommen?
Die Reaktionen waren fürs Erste sehr positiv. Allerdings muss ich gestehen, wir haben – seit dem Comeback – in Italien nur sehr wenige Konzerte abgehalten.
Wieso?
Wir wollten zuerst auf einer Tour durch Europa sondieren, ob wir beim Publikum überhaupt noch ankommen. Wir wollten erfahren, welche Stücke am meisten gefragt sind, bevor wir uns in die Höhle des Löwen begeben, vor die Massen in Rom und Florenz.
Das Album «Infinito», welches 1999 erschien, verkaufte sich millionenfach. Trotzdem kam es kurz darauf zur Trennung. Für eine Band unüblich: Auf der Höhe des Erfolgs die Scheidung einzureichen …
Du hast völlig Recht. Vielleicht sind wir nicht tauglich für den Grosserfolg. Vielleicht war es aber auch der Druck der damaligen Plattenfirma, die uns auf eine komische Fährte gelenkt hat. Das Album «Infinito» war sehr «poppig» ausgefallen.
War das nicht gut?
Doch, doch, damals stimmte das für uns. Trotzdem wollten wir nicht ewig auf der PopSchiene bleiben. Es kam zu Missverständnissen, die schliesslich zur Trennung führten. Heute, dank der Reunion, wissen Piero und ich definitiv, dass wir Rocker sind. Wir lieben spannungsgeladene, aggressive Musik.
Ausschliesslich aggressive Musik?
Gelegentlich genehmigen wir uns auch eine Ballade – aber auch diese muss unter Spannung stehen (lacht).
Ihr habt kürzlich zwei neue Stücke veröffentlicht: «Barcollo» und «Sole Nero». Liege ich falsch, wenn ich behaupten würde, darin die ursprünglichen Litfiba zu erkennen?
Nein, du liegst völlig richtig. Piero und ich, wir kennen uns seit über dreissig Jahren, und wir haben so manche Dinge zusammen erlebt. Diese Gemeinsamkeiten beeinflussen sicherlich unsere Arbeit. Trotzdem finde ich, ist unser Gesamtrepertoire breit gefächert.
Welchen Stellenwert hat für dich die Freundschaft zu Piero heute?
Weisst du, die Alchimie, die zwischen mir und Piero besteht, ist auch wirksam, wenn wir nicht gemeinsam auf der Bühne stehen. Zwischen uns gibt es einen Doppelfaden. Ich lüge nicht, wenn ich behaupte, mit Piero mehr Zeit in meinem Leben verbracht zu haben, als mit anderen Menschen.
Möchtest du zum Schluss diesen anderen Menschen noch etwas sagen?
Aber natürlich (holt Luft): Ragazzi mi raccomando – spaccate il mondo!
Das Gespräch mit Ghigo Renzulli fand in italienischer Sprache statt. Übersetzung: Luca D’Alessandro
Der Teufelsstein von Florenz
Litfiba – Die in Italien legendäre Band wurde 1981 in Florenz gegründet und hat bisher mehr als 24 Alben auf den Markt gebracht. Geprägt war sie in ihren erfolgreichsten Jahren vor allem durch den Sänger Piero Pelù, der Litfiba im Jahr 2000 verliess und eine Solokarriere begann. Ein weiterer wichtiger Player ist Ghigo Renzulli, der Gitarrist, der an der Komposition der Hits «Terremoto», «Il Segreto di Giulia», «El Diablo», «Spirito», «Goccia a Goccia» und «Regina di Cuori» wesentlich beteiligt war. Der Bandname steht für die Adresse des Tonstudios: L’ITalia, FIrenze, via BArdi.
Diskografie (Auswahl)
1982: Guerra
1985: Desaparecido
1989: Litfiba Pirata
1990: El Diablo
1993: Terremoto
1999: Infinito
2010: Stato Libero Di Litfiba
Info: www.litfiba.net
Foto: zVg.
ensuite, April 2011