Von Luca D’Alessandro — «Italien ist eine Bananenrepublik», sagte Lucio Dalla kürzlich in einem Interview am Schweizer Fernsehen. Dabei nahm er nicht nur Bezug auf die politischen und sozialen Umstände in Italien, sondern auch auf «Banana Republic», das legendäre, mit Francesco De Gregori eingespielte Album aus dem Jahr 1979. Für lange Zeit blieb dieses das einzige gemeinsame Werk. Erst 2009 fanden die beiden Urgesteine der italienischen Musikgeschichte «durch Zufall» wieder zusammen, worauf sie eine Retrospektive auf Platte und DVD herausbrachten: «Work In Progress» entstand anlässlich ihrer gleichnamigen Tour durch Europa. Letzten Monat waren sie in der Schweiz zu Gast. ensuite-kulturmagazin hat Lucio Dalla auf ein Interview getroffen.
Buongiorno Signor Dalla.
Buongiorno Svizzera!
Ihre Begrüssung ist sehr herzhaft.
Ich habe es immer geliebt, vor Schweizer Publikum zu stehen.
Was denken Sie: Wie nimmt das Schweizer Publikum Ihre Musik wahr?
Ich habe in der Vergangenheit wiederholt in der Schweiz gespielt, daher kennen die Schweizer meine Lieder sehr gut.
Woher kommt Ihre Liebe zur Schweiz?
Ich habe Ihr Land stets als kulturell herausragend erachtet. Vieles aus meinem kulturellen und literarischen Repertoire hat da seinen Ursprung.
Zum Beispiel?
In Zürich gibt es die Kronenhalle. Ein Restaurant, wo es mich immer wieder hinzieht und welches bereits von Picasso und Chagall besucht wurde. Überhaupt ist es das Umfeld, die Art der Menschen, deren Offenheit für Kunst und Kultur, was mich fasziniert.
Das Album «Work in Progress» ist ein Rückblick auf das Lebenswerk von Francesco De Gregori und Ihnen, dazu gehören die Lieder «Caruso» und «Viva l’Italia». Ein Italien, das gegenwärtig nicht gerade das beste Image hat.
Das verwundert mich nicht.
Haben Sie oder De Gregori jemals den Gedanken gehegt, «Viva l’Italia» umzuschreiben?
Italien ist ein Land mit einer grossartigen Kultur, in dessen Vergangenheit sich viele Dinge ereignet haben, auf die ich sehr stolz bin. Daher bin ich es dem Land schuldig, Geduld zu haben und zu hoffen, dass sich die verworrene Lage wieder normalisiert. Im Moment durchlaufen wir eine dunkle Phase mit vielen Peinlichkeiten. Ich bin aber zuversichtlich, dass es früher oder später eine neue Renaissance gibt; eine Rückkehr zu unseren echten Werten und Traditionen.
Aus kultureller Sicht hat Italien auch heute, trotz der umstrittenen Regierung, einiges zu bieten. Es gibt dutzende Musiker, insbesondere im Jazz- und Rock-Bereich, die deutliche Zeichen setzen und einen fortschrittlichen, innovativen Weg gehen.
Das Ganze ist im Kontext der vergangenen Jahrhunderte zu betrachten: Italien war das Zentrum der Renaissance und hat herausragende Persönlichkeiten wie Lorenzo Il Magnifico, Cosimo Dei Medici, Michelangelo, Leonardo Da Vinci, Raffaello und Donatello hervorgebracht. Dieses kulturelle Erbe ist in jedem Italiener drin. Es ist unauslöschbar. Auch wenn das Land heute nur wenige erwähnenswerte Errungenschaften vorweisen kann, das Erbe der Ahnen steckt in uns drin und wird irgendwann wieder zum Vorschein kommen. Deshalb bin ich nach wie vor in meine Heimat verliebt.
Eine Liebe, die vermutlich von Kulturschaffenden wie Roberto Benigni zusätzlich bestärkt wird. In Bezug auf das 150. Jubiläum der italienischen Einheit hat er am «Festival della canzone italiana» in San Remo den «Canto degli italiani», die italienische Nationalhymne, in einer äusserst ergreifenden Art rezitiert und dafür Standing Ovations geerntet.
Ja, allerdings muss man auch diese Aktion in einem grösseren Kontext betrachten: Wenn sich ein Land am Tiefpunkt befindet, hat jeder positive Eindruck die dreifache Wirkung.
Kommen wir zurück auf die Reunion zwischen Ihnen und Francesco De Gregori. Seit der Publikation von «Banana Republic» sind drei Jahrzehnte im Einzelgang vergangen. Was hat Sie dazu bewogen, erneut auf eine gemeinsame Karte zu setzen?
Eigentlich nichts, es war purer Zufall. Ich wurde gebeten, anlässlich des 150. Jahrestags der Schlacht von Solferino aufzutreten. Für den offiziellen Teil war die Teilnahme mehrerer Politiker vorgesehen, unter anderen des italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano und Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der Jahrestag fand ziemlich genau ein Jahr vor dem 150. Jubiläum der italienischen Einheit statt, weshalb ich es für angebracht hielt, Francesco De Gregori mit einzuladen.
Wegen seines Lieds «Viva l’Italia».
Genau. Zugegeben: Ich hätte nicht gedacht, dass Francesco sich dazu bewegen liesse. Aber er kam. Der gemeinsame Auftritt gefiel uns dermassen gut, dass wir gleich weitere Konzerte planten. Inzwischen haben wir die Neunziger-Marke überschritten. Und die Puste geht uns vermutlich noch lange nicht aus, zumal jedes Konzert anders ist als das vorangehende. Wir tauschen uns laufend aus, streuen immer wieder neue Lieder aus unserem Repertoire ein, passen sie an …
… ein «Work In Progress» im wahrsten Sinne des Wortes.
Genau. Jeder dringt in die Lieder des anderen ein. Die meisten werden gemeinsam gesungen, andere wie «Caruso» hingegen bleiben einstimmig.
Apropos «Caruso»: Das Lied ist so etwas wie die inoffizielle italienische Nationalhymne.
Das hat was. Es hat sich über fünfzig Millionen Mal verkauft und wurde in der Vergangenheit von Pavarotti, Mina, Bocelli und Mercedes Sosa gesungen. Aber es ist nicht das einzige, worauf ich stolz bin. De Gregori und ich haben ein breites Repertoire, welches international Anerkennung findet und in den Konzerten für ausgedehnte Zugaben sorgt.
Was schätzen Sie am meisten an Ihrem Bühnenkollegen?
Er ist ein grosser Sänger. Seit der Ära von «Banana Republic» hat sich De Gregori gewandelt und ist zu einem Musiker geworden, dessen gesangliche Performance einfach genial ist. Auch wenn er Lieder spielt, die er selber nicht komponiert hat, und die von der Struktur her nicht zu ihm passen … selbst dann schafft er es, mich zu verblüffen.
Der gemeinsame Startpunkt war «Banana Republic». Dann ist jeder von Ihnen seine eigenen Wege gegangen bevor es wieder zur Zusammenarbeit kam. Können wir heute von einer neuen Synthese sprechen?
Auf jeden Fall. In den dreissig Jahren haben wir uns nur gerade zweimal gesehen. Wer «Work In Progress» hört, stellt fest, dass die meisten Lieder während unserer Solokarrieren entstanden sind.
Herr Dalla, wo kann sich ein Musiker Ihres Formats noch verbessern?
Man kann sich immer irgendwie verbessern. Ich arbeite ständig an mir, sowohl was die Musik als auch meine anderen Tätigkeiten angeht. Zum Beispiel unterrichte ich Soziologie an der Universität Urbino, oder ich führe Regie bei lyrischen Darbietungen. Mir gefällt es, mit den Leuten zu arbeiten und mich mit ihnen auszutauschen.
Was haben Sie bis heute noch nicht gemacht?
Ich war noch nicht Torhüter beim FC Bologna (lacht).
Neben Soziologie haben Sie auch einen Lehrgang zur Sprache in der Werbung geleitet. Eine Sprache, die sich von jener Ihrer Lieder wesentlich unterscheidet.
Ich muss zugeben, dass ich den Kurs nur gemacht habe, weil ich jene Werbung, die uns den Verstand vernebelt, nicht ausstehen kann. Ich bin der Meinung, dass es theoretisch eine Form der Werbung gibt, die in den Köpfen weniger Schaden anrichtet und gleichzeitig einen gewissen Gehalt an Informationen vermittelt.
Wenn Sie demnach einen Werbespot für eines Ihrer Konzerte machen müssten, wie würde der klingen?
Ich würde betonen, dass unsere Performance über das übliche Schema eines Pop-Rock Konzerts hinausgeht. De Gregori und ich bieten nicht nur Szenografie, Kunst, Musik und Lyrik, sondern wir vereinen alle diese Elemente in einem ganzheitlichen Kontext.
Wie kommt diese Ganzheitlichkeit an?
Ich stelle fest, dass unsere Konzerte immer häufiger von jungen Menschen besucht werden, die zu unserer Musik nicht den gleichen Bezug haben, wie zu jener, die sie am Radio hören. Ich möchte nicht überheblich wirken, aber ich finde, dass die Lieder in den Radios alle ein wenig ähnlich tönen. Die Texte sind oberflächlich, die Arrangements einfach und langweilig. Musiker heutzutage nehmen sich zu wenig Zeit für ein wirklich gutes Lied. Schade.
Foto: zVg.
ensuite, April 2011