Von Hannes Liechti (München) und Pablo Sulzer (Bern) — Streifzüge durch München und Bern: Vielfältig ist das Berner Ess- und Trinkangebot allemal. Unter Berninfo.com werden insgesamt 333 Restaurants und 40 Bars aufgelistet. Eindrückliche Zahlen. Was steckt dahinter? Eine Menge, stellt man fest. Zwar nicht nur Gutes, doch sicher zahlreiche (Speise-)Möglichkeiten, in allen Geschmacksrichtungen. Aber eins nach dem anderen…
Morgens ist in Bern ein grosszügiger Brunch angesagt. Damit dabei die ersten warmen Sonnenstrahlen richtig ausgekostet werden können, braucht es einen Platz möglichst nah an der Sonne. Kein Problem, der Hausberg ruft zu Tisch. Auf dem Gurten lässt sich der kulinarische Rundgang mit Birchermüsli und Ovo genüsslich beginnen.
Nach eher leichter Kost wird es gleich deftig. Im Schwellenmätteli an der Aare bestellt man eine zünftige Portion Berner Rösti oder besucht ein Restaurant in der zentral gelegenen Markthalle. Das Angebot an lokalen und internationalen Gerichten ist immens; für Unentschlossene daher nicht unbedingt geeignet. Bei vollem Portemonnaie eignet sich das Café Fédéral, wo neben dem exzellenten Ambiente und der Topbedienung den Gesprächen der Schweizer Politelite gelauscht werden kann. Präsentiert sich der Himmel wolkenlos und erreicht das Thermometer erfreuliche Werte, steht dem gemütlichen Grillnami nichts mehr im Wege: Cervelats, YB-Würste und Schnägge liegen neben Peperoni und in Alu verpackten Bratkartoffeln auf dem Rost bereit. Nach einer ausgiebigen Siesta werden bei einem Verdauungslikör oder einem Grappa zum Kaffee die (Geschmacks-)Sinne wieder beruhigt, um die letzte Runde in Angriff nehmen zu können.
Das Abendessen wird serviert. Läuft man vom Baldachin zum Bärengraben herunter, bieten sich mehr als genug Lokale an, um den Abend zu verbringen. Vegetarier treffen sich im Tibits gleich beim Bahnhof zum Schmaus, andere schwärmen von den unverschämt deliziösen Speisen des Aarbergerhofs. Zwischen Bundeshaus und Polizeiposten gibt es Restaurants soweit das Auge reicht: Turm, Gfeller oder die Brasserie Chez Eddy. Die Liste ist lang und kann nach Belieben weitergeführt werden. Auch die Pizzeria La Vigna neben dem Käfigturm ist nicht zu verachten. Nicht genug der Auswahl, geht es in der Altstadt Berns munter weiter: Zunft zu Webern, Lirum Larum und zu guter Letzt das Tramdepot – man denke nur an die hausgemachten Spätzli mit Speck und Käse. Lecker! Apropos Tramdepot: Das hier gebraute Bier mag kein allzu grosses internationales Renommee wie Paulaner oder Franziskaner haben. Fragt man aber einen Berner nach seinem Bier, gibt es dank diesem Weltklassebier nichts zu motzen. Mithalten kann es ohne weiteres – wenn nicht gar mehr.
In München ist alles Wurscht, in jeglicher Hinsicht. Als «coole Wurscht» bezeichnet zu werden darf man durchaus als Kompliment verstehen. Mit «Des is mir wurscht, passt scho» bekundet der Münchner seine Anspruchslosigkeit oder vielleicht auch seine Unkompliziertheit. So dominiert die Wurst auch die Speisekarte: Bratwürste, Leberwürste, Debreciner, Pfälzerwürste, Milzwürste und natürlich Münchner Weisswürste. Diese sind eine Wissenschaft für sich. So besagt eine alte bayrische Redensart: «A Weißwurscht deaf as Zwölfeleit’n ned hearn», sprich, eine Weisswurst muss vor dem Mittagsgeläute verzehrt werden. Das kommt daher, dass die traditionell am Morgen hergestellte Wurst vor dem Aufkommen moderner Kühltechniken rasch ungeniessbar wurde. Gegessen werden Weisswürste mit Brezel und süssem Senf, was einiger Übung bedarf: Die Wurstspezialität wird ohne den Schweinedarm gegessen. Mit einer bestimmten Technik trennt der Kenner den Darm von der Wurst.
Zu Wurst, Senf und Brezel gehört ein kühles Weissbier. In Bayern gilt Bier als Grundnahrungsmittel und muss, wie alle anderen Nahrungsmittel, mit nur 7 Prozent Mehrwertsteuer statt den in Deutschland allgemein üblichen 19 Prozent für Alkoholika belegt werden. Da überrascht es nicht, dass immer und überall Bier getrunken wird. Nicht nur Weissbier notabene. Münchner Brauereien wie Augustiner, Hof- und Löwenbräu, Spaten, Paulaner, Franziskaner und Hacker Pschorr brauen seit jeher nach bayerischem Reinheitsgebot alle möglichen Sorten von Gersten- und Weizensaft.
Getrunken und gegessen wird nicht nur im Herbst, wenn es wieder heisst «O’zapft is», sondern das ganze Jahr über in den zahlreichen Biergärten und ‑hallen, die unverkennbar zu München gehören. Alles immer in der Superlative: Die Mass ist Standard.
Zugegeben, Vegetariern und Abstinenzlern wird das Leben in München nicht einfach gemacht. Doch neben Bier, Wurst, Leberkäs und Fleischpflanzerl gibt es auch noch anderes. So zum Beispiel den vorzüglichen Kartoffel-Gurkensalat, den Hopfenzupfer-Salat. Der Name ist auf die traditionelle, alljährliche Hopfenernte, das Zupfen, zurückzuführen: Um für die Verpflegung auf den Feldern nicht zu viele verschiedene Gefässe mitnehmen zu müssen, werden Kartoffel und Gurkensalat kurzerhand zusammengemischt.
Auch im Supermarkt bleibt man von Würsten nicht verschont. Kürzlich entdeckte ich gar Berner-Würste. Wie sich herausstellte, sind die Würste aber nach deren Erfinder, einem Koch aus Österreich, benannt, und nicht nach der Aarestadt. Nun gut, das Einzige, was in München fehlt, sind richtige Cervelats aus brasilianischen Rinderdärmen. Die sind den Münchnern wohl wurscht.
In der 6‑teiligen Serie «Zwischen Wiesn und Gurten» berichtet ensuite – kulturmagazin jeden Monat exklusiv aus München und parallel dazu aus Bern. Dabei werden Themen wie Sport, Leben&Leute und Essen&Trinken aufgegriffen. Weniger als Vergleich konzipiert, sondern viel mehr als Gegenüberstellung, soll der/die LeserIn selbst zu einem individuellen Fazit über die kulturelle Vielfältigkeit der beiden europäischen Städte gelangen. Soviel vorab: Wahrlich keine einseitige oder eindeutige Angelegenheit.
Foto: Jonathan Liechti
ensuite, Juni/Juli 2009