Von Luca Zacchei — Fernsehprogramme wiedergeben die Wertvorstellungen eines Landes ziemlich genau. Für die Secondos stellt der Fernseher zudem eine mediale Nabelschnur zur Heimat dar. La TV italiana ist sowohl inhaltlich wie auch akustisch anders als diejenige der Eidgenossen. Im Vergleich zum Schweizer Fernsehen sprechen bzw. schreien die italienischen Moderatoren zirka 30 Dezibel höher. Die Argumente werden aber nicht unbedingt besser, nur lauter. Bei Fussballübertragungen gibt es ebenfalls Unterschiede: Schweizer Kommentatoren reden zwischen den Spielzügen, italienische hingegen bevor, während und danach.
Ich möchte euch gerne auf diese Fernsehreise mitnehmen, damit wir gemeinsam weitere Eigenheiten der italienischen Kultur kennenlernen. Meine magische Fernbedienung wird uns dabei behilflich sein. Sie kann nicht nur zwischen den Sendern umschalten, sondern auch unterschiedliche Zeitepochen durchwandern. Schalten wir doch ein! (Es klackt, elektrisches Surren folgt). Es ist das Jahr 1982. Sanremo beherbergt einmal im Jahr den grössten italienischen Musikwettbewerb Italiens. Domenico Modugno hat in diesem ligurischen Dorf erstmals «Volare» (Nel blu dipinto di blu) gesungen. Toto Cutugno, Al Bano & Romina Power, Zucchero, Laura Pausini und viele andere Musiker sind mit diesem Festival international bekannt geworden. Aber jetzt ist Eros Ramazzotti an der Reihe. Er singt mit seiner typischen, nasalen Stimme vom gelobten Land («Terra Promessa») und inspiriert eine Generation von Jugendlichen.
Zapp (Senderwechsel) – 1991: Päpstliche Grüs-se vom Petersplatz. Gelobt sei nicht nur das Land, sondern auch der Messias. Kurz nach dem Gottesdienst, also Sonntagnachmittags, gibt es auf den italienischen Sendern bereits viel nackte Haut zu sehen. Fast so viel wie auf RTL, wenn der Schulmädchen-Report zur Geisterstunde ausgestrahlt wird. Obwohl sich der italienische Wortschatz meiner Schweizer Schulfreunde vorwiegend auf das Kulinarische beschränkte, waren sie während ihrer Pubertät trotzdem leidenschaftliche Anhänger von Rai 1. Die Schulkollegen schwärmten aber insbesondere von den Mediaset-Sendern. Noch lange bevor Silvio Berlusconi die Bunga Bunga-Parties organisiert hatte, wusste er instinktiv, wie man die Einschaltquoten auf Canale Cinque so richtig steigern konnte. Wer ohne Sünde ist, werfe aber den ersten Stein!
Zapp – 1970: Es werden zwar nicht Steine geworfen, aber es fliegen Fäuste und Kugeln. Carlo Pedersoli und Mario Girotti, besser bekannt als Bud Spencer und Terence Hill, sind die gesetzlosen Schurken, die linke und die rechte Hand des Teufels, welche sich aber für eine gerechtere Welt einsetzen. Im Wilden Westen ist es schwierig zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Die Charaktere bewegen sich ständig in Grauzonen. Und obwohl wir in einem Spaghetti-Western sind, werden meist nur Bohnen gegessen. Aber zurück zum Flimmerkasten: Terence hat die Wüste durchquert und wäscht sich gerade in der Badewanne. Er grinst verschmitzt und hat wieder nur Flausen im Kopf.
Zapp – 1960: «Marcello, Marcello!» ruft eine schwedische Göttin aus. Sie badet ebenfalls, aber samt ihrem Abendkleid im Trevi-Brunnen. Ab diesem Zeitpunkt wird Italien dank Federico Fellini für ihre Dolce Vita bekannt. Die italienische, genussvolle Lebensart wird weltweit propagiert und als erstrebenswert deklariert.
Zapp – 1981: Wir sind immer noch in der Nähe der Fontana di Trevi. Jetzt aber am hellichten Tag. Es wimmelt von Menschen und Touristen. Der Busfahrer Barnaba, gespielt von Adriano Celentano, chauffiert die Prinzessin Cristina, eine junge und bezaubernde Ornella Muti, durch die Gassen der ewigen Stadt. Mit «Gib dem Affen Zucker» wird Adriano zur Kultfigur des Volkes. Er vertritt die Stimme der logischen Vernunft und der praktischen Einfachheit.
Zapp – 1982. Bleiben wir doch bei den Primaten. Mit «Bingo Bongo» parodiert Adriano jetzt einen modernen Tarzan, der im Mailänder Grossstadtdschungel zurechtkommen muss. Der junge Mann versteht die moderne Zivilisation nicht und fühlt sich den Tieren bedeutend näher. Celentano ist wieder sozialkritisch. Seine Filmkomödien und Lieder sprechen ökologische Themen an und setzen sich für eine gerechtere Einkommensverteilung ein. Zwischen Bingo Bongo und Bunga Bunga liegt nur ein kleiner Evolutionsschritt. Mit dem wichtigen Unterschied, dass Adriano den Affen spielte, um die Italiener wachzurütteln, währenddessen sich Silvio in Italien wieder zum Affen macht. Ich bin müde. Meine Augen gehen langsam zu. Der Fernseher wird mit dem letzten Quäntchen Kraft ausgeschaltet. Wir sehen uns hoffentlich in der nächsten Sendung!
Illustration: Rodja Galli
ensuite, Februar 2013