Von Klaus Bonanomi - Wie die Jungfrau zum Kinde ist Carmen Fenk nun also zum „MusicStar“-Titel gekommen, und die Schweiz kann sich nach dem grossen Rummel um die Casting-Show wieder anderen Themen zuwenden. Zum Beispiel der gar nicht so absurden Frage, was „MusicStar“ mit Kulturförderung zu tun hat. — Eine ganze Menge nämlich, wenn man sich’s ein bisschen genauer anschaut.
Nicht dass Carmen, Piero und die anderen Karaoke-Sternchen nun zu wirklichen, vielleicht gar internationalen Popstars würden; das erwartet im Ernst schon nur deshalb niemand, weil in halb Europa ähnliche „Superstar“-Shows bereits gelaufen sind und alle unsere Nachbarländer ihr Idol für eine Saison gekürt haben: auf einen „MusicStar“ aus der Schweiz hat da weiss Gott niemand gewartet. Und die Erfahrung zeigt, dass das Interesse an diesen Sendungen und ihren Eintagsfliegen„Stars“ so schnell abflaut wie bei „Big Brother“ oder „Robinson“, TV-Formaten, die sich nach einem Durchlauf erschöpft haben; wo man überhaupt zweite Staffeln drehte, wurden sie zum Flop vor halbiertem Publikum.
Nein, der positive Effekt von „MusicStar“ aufs hiesige Kulturleben funktioniert anders: Wochenlang war das Schweizer Fernsehen war wieder einmal vor aller Augen und in aller Munde; „MusicStar“ wurde zum grossen Medienthema — nicht nur im Blick; auch der Bund veröffentlichte am Finaltag fünf Beiträge zum Thema. Hohe Beachtung, grosse Reichweite, das macht einen Sender attraktiv für Werbekunden, verhilft ihm zu einer solideren Positionierung und führt zu satten Werbe- und Sponsoring-Einnahmen: Geld, das letztlich auch den weniger quotenträchtigen, exklusiveren, „schwierigeren“ Kultursparten an Radio und Fernsehen zugute kommt.
Die SRG als nationale Radio- und Fernsehanstalt wird gelegentlich als der grösste Schweizer Kulturveranstalter bezeichnet; nicht zu Unrecht: Mit 17 Millionen Franken jährlich unterstützt sie das Schweizer Filmschaffen; rund 40 Jazz-CDs werden jährlich im DRS-Studio Zürich aufgenommen; mehr als 30 Millionen Franken überweist die SRG via Suisa, Pro Litteris und andere Urheberrechtsgesellschaften an Kulturschaffende; der Literaturclub am Schweizer Fernsehen und die Sendungen von DRS2 bringen kulturelle Themen an ein manchmal kleines, meistens aber sehr interessiertes Publikum und leisten Kulturförderung im weitesten Sinne.
Doch dies alles, wie gesagt, braucht Geld. Und hier kommt nun die Politik ins Spiel: In den nächsten Tagen beginnt das Parlament in Bern mit der Beratung über das neue Radio- und Fernsehgesetz. Ursprünglich war das neue Gesetz ein gut helvetischer Kompromiss; man wollte weiterhin eine starke SRG, daneben aber auch mehr Freiheiten für die privaten Sender. Doch nun, im neugewählten Parlament, gibts Konfrontation statt Konsens: Nicht nur die SVP, die ja ohnehin aus Prinzip immer dagegen ist, will das Gesetz zurückweisen, sondern auch die FDP, die vom ehemaligen „Arena“-Dompteur und jetzigen rechtsfreisinnigen Nationalrats Filippo Leutenegger auf Kurs getrimmt wird.
Die SRG — so wollen es diese ultraliberalen Deregulierer — soll zurechtgestutzt werden und nur noch einen minimalen „service public“ aufrechterhalten können. Für Leutenegger heisst dies: Geld aus dem Gebührentopf nur noch für „einen genau definierten Informationsauftrag und zweitens die Subventionierung der Sprachregionen, welche die zentralen Informationsleistungen nicht selber finanzieren können“, wie er in einem Interview sagte. Keine Rede mehr von Kulturförderung oder gar von einem breit verstandenen Kulturbegriff. Weniger Radiofrequenzen und ein Sponsoringverbot für die SRG-Sender, mehr Wettbewerb allenthalben und auch keine Gebührengelder mehr für nichtkommerzielle Sender wie Radio RaBe — dieses Szenario streben Leutenegger & Co. an, und sie winken auch schon mit dem Zaunpfahl des Referendums für den Fall, dass das Gesetz nicht in ihrem Sinne ausfällt. Der Ausgang dieser Debatte um Geld und Geist ist offen und dürfte ebenso spannend wie „MusicStar“ werden.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, März 2004