Von Lukas Vogelsang - Wenn man in Bern herumfragt, kennt man ihn kaum. Bei Simon Hostettler, mit Künstlername Simon Ho genannt, steht ein Koffer vor der Türe. Er selber steht zwischen Zügen, Flugzeugen und Konzerten. Doch wer ist er, der unter anderem für das Berner Stadttheater Musik schreibt, mit dem Holländer Henk Hofstede von The Nits zusammen singt, mit den Värttinä-Frauen aus Finnland Konzerte gibt, in New York mit Shelley Hirsch zusammen arbeitet und seine Musik in John Zorn’s Label «Tzadik» veröffentlicht werden? Die Auftritte im Februar in Bern geben zu reden, die neuen Songs auch und vor allem er selbst:
Wenn man Dir auf der Strasse begegnet, so siehst Du aus, als wärst Du aus einem grossen Traum gestiegen. Wovon träumst Du? Was sind Deine Bilder und Vorstellungen von Deinem Leben?
Ich glaube schon, dass man eine eigene Fantasie haben muss — oder besser: Ich brauche eine eigene, damit ich mit all diesen Fakten und Situationen umgehen kann. Obschon, es ist ja nicht so, dass mir diese Dinge einfach zugeworfen werden. Ich suche diese ja auch oder gehe darauf zu. Und in den letzten Jahren und so, wie ich jetzt lebe, habe ich mich eben dadurch hierher bewegt. Wohin dieser Weg eigentlich führt, ich muss ehrlich sagen, ich habe keine Ahnung. Ich kann dir nicht sagen, ich will mit diesem Label einen Vertrag haben oder in dieser Stadt möchte ich das Altersheim aussuchen. Aber man riecht etwas, eine Sehnsucht. Das Wort Traum ist gut, denn der Traum ist nicht real. Er ist vielleicht einem Ziel etwas näher, aber noch in den Wolken. Zum Beispiel ein Song von mir «Fishing Hut» ist ein Traumbild, aber wenn du die Augen öffnest siehst du dieses Bild, überall. Und es ist die Kunst, dich in beiden Welten zu bewegen. Das ist nicht immer einfach — manchmal halte ich die Realität auch zurück. Aber schlussendlich geht’s es vielleicht doch darum, dass du deinen Traum leben kannst. Da spielen viele äussere Umstände mit, Alter, Geld. Ich bin jetzt nicht einfach der freie Mensch, der macht was er will, aber ich versuche schon, viele Freiheiten zu haben in diesem Leben.
Lebst Du mehr im Traum als in der Realität?
Ich kann das gar nicht so trennen. Weisst du, die Realität macht auch Spass, wenn du Hunger hast und einkaufen gehst und diese Gemüse und den Fisch siehst… Ich bin froh, dass es nicht nur eine Vision ist, das Hungergefühl zu stillen. Die Nähe eines Menschen zu spüren oder eine Zigarette, wie sie kratzt…
Du schreibst viel Theatermusik oder Musik für die Bühne — ebenfalls eine grosse Traumwelt. Was reizt Dich an dieser Art von Musik?
Mich interessieren wieder die Geschichten, die erzählt werden. Mir gefällt die Zusammenarbeit mit Schauspielern, Regisseuren, mit Lichtdesignern, mit Bühnenbildnern. Für mich geht das in Richtung Gesamtkunstwerk — ich helfe mit, dass etwas rüberkommt und habe eine dienende Funktion. Darin kann ich so viel oder so wenig dazugeben, dass bei den Zuhörern etwas zurückbleibt. Seit 1988 bin ich zum Beispiel mit Peter Rinderknecht live unterwegs und immer wieder auf Tournee und jedes Mal ist das Stück verschieden.
Ich finde auch, dass das Theater ein bisschen wie das Leben ist. Es ist eben wie das Traumwandlerische, welches du vorher angesprochen hast. Wo ich mir meine Rolle selber aussuchen kann oder manchmal bekomme. Ich kann dann entscheiden, ob ich weitergehen oder ob ich etwas anderes will. Und das hilft mir oft, das Leben von dieser Seite zu betrachten. Das fasziniert mich auch.
Sind es auch die Träume, die Dich für neue Songs inspirieren oder woher nimmst Du Deine Töne?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Die eine ist, dass ich in mir etwas höre, mir etwas in den Kopf kommt und danach spielt es da weiter. Alles bleibt vorerst in der Fantasie. Das hat dann nichts mit einer Textvorlage oder einem Lied oder einem Theaterstück zu tun Das kommt aus einer Stimmung raus. Eine andere Möglichkeit ist, dass ich ans Klavier sitze und einfach zu spielen beginne. Es ist wie Zeichnen und entwickelt sich Schritt für Schritt. Da bin ich Instrument und das Klavier ist mein Freund. Es entsteht ein Wechselspiel: Ich gebe hier etwas rein und da entsteht dieser Oberton. Es entsteht ein Dialog und wir bauen etwas daraus. Ich mag aber auch konzeptionelle Kompositionen. Eine strukturelle Vorgabe, eine Serie von Tönen oder was auch immer das Stück bestimmt.
Hast Du musikalische Vorbilder?
Ja, ich habe schon ein paar, aber ich höre diese gar nicht, weil ich selber viel zu selten Musik höre. Stimmlich finde ich Elvis Costello wunderbar. Mit ihm möchte ich gerne mal ein paar Lieder schreiben. Stravinski — ich würde gerne mal Strawinski «samplen» (digitalisieren) und seine Motive oder seine wahnsinnigen Klangapparate, die er geschrieben hat, neu bearbeiten. Schon nur grafisch wäre das eine sehr schöne Arbeit. Musik hat für mich nicht nur mit Zuhören und Gefühl zu tun, sondern es ist auch etwas für das Auge. Eine Partitur, rein das Notenbild gibt viel her. Auch bei unseren Wintersongs habe ich das jetzt wieder gesehen. Und ich habe auch immer Freude, wenn ich die Noten physisch in der Hand habe.
Was ist Bern für Dich? Du bist einer der umtriebigsten Berner Musiker — in den letzten Jahren bist Du zwischen New York und Bern gependelt und hast hervorragende CDs produziert. Trotzdem nimmt man Dich in Bern nicht als Star war. Fühlst Du Dich in Bern zu Hause? Was macht für Dich Heimat aus?
Als Künstler? Manchmal hatte ich in New York oder Brooklyn das Gefühl: «Doch, das ist meine Heimat.» Obschon ich eine andere Sprache spreche, einen anderen Pass, eine andere Religion, Erziehung und Kultur habe. Dort hat es so viele verschiedene Menschen. Ich frage mich oft, warum geben sie ihr Leben auf? All die Mexikaner und Südamerikaner, die könnten ja auch auf dem Land leben statt in der Grossstadt. Warum nehmen sie den ganzen Stress auf sich, um in der Stadt leben zu können? Das ist ein echt hartes Leben. Doch die haben dort ihre Gemeinschaften, sind unter sich, haben ihre Quartiere. Sie machen ihre eigenen Städte in der Stadt. Und daher habe ich nicht das Gefühl, dass Heimat etwas Örtliches ist. So ist Heimat nicht Bern mit seinen Stadtbild und dem Geruch der Aare. Aber es ist das Gefühl, dass man eine Familie hat, Geschichten, die dir bekannt sind. Meine Heimat ist nicht einfach auf Bern definiert. Bern ist natürlich meine Heimatstadt und ich habe viele Erinnerungen hier — aber nicht gerade Hochgefühle. Meine Ansprüche zu Bern haben sich verändert. Ich erwarte nicht mehr, dass Bern sich verändert. Schon rein vor der Stadt her kann und geht das ja nicht. Jetzt baut man zum Beispiel die Überbauung Brünnen und man zieht die Menschen aus der Stadt raus. Und man soll jetzt dort Baden und Einkaufen gehen. Wenn man das vergleicht mit New York, haben die Schweizer keine Beziehung zu neuen Städten. Dort herrscht ständiger Aufbruch. Und Bern hat diesbezüglich eine andere Kultur. Hier schielt man immer auf die Stadtgründung vom Jahr 1291. Doch die Heimat ist eben schlussendlich nur in dir selbst, in deinem Herz.
Und trotzdem bist Du immer wieder zurückgekommen.
Ja, ich habe Familie hier und Freunde und vielleicht klingt es komisch, aber ich habe auch so etwas wie eine Aufgabe hier. Ich will meine Arbeit hier zeigen können — ich habe auch etwas erhalten von dieser Stadt. Also nicht nur Förderungsgeld und so.
Mit Henk Hofstede hat sich Deine Musik in eine ganz andere Dimension entwickelt. Jetzt spielst Du mit anderen Leuten zusammen, an den unterschiedlichsten Plätzen auf der Welt. Was sind Deine Eindrücke?
Hofstede heisst ja auch Hostettler und das kommt ja von «Hostet». Also eigentlich sind wir zwei Schnapsbrenner — er, der holländische und ich, der schweizerische. Henk und mich verbindet nicht nur die Leidenschaft an der Musik, sondern mich fasziniert auch seine Offenheit. Er ist ein hervorragender Künstler und kann sehr gut auf eine Situation eingehen, er gibt seinen Mitmusikerinnen viel Platz — das ist mir sehr wichtig. Ich muss nicht im Vordergrund stehen, ich möchte mit meiner Musik etwas ermöglichen. Henk ist ein sehr interessanter Partner, der scharf beobachtet und seine Ideen dann auch umsetzen kann. Wir haben jetzt auch die Idee, dass wir zusammen für das Ho-Orchestra komponieren.
Ich merke immer wieder, wie es Musik braucht, um neue Menschen kennenzulernen. Aber es ist nicht so, dass wir immer in Kontakt sind. Ich bin ein Projektmensch, ich habe keine Band. Zwischendurch denke ich, es wäre schön, eine Band zu haben — eine Gruppe, die seit zwanzig Jahren zusammenspielt. Nun, ich habe viele musikalische Freunde und alles ist halt ein wenig verstückelt — je älter ich werde, auch geografisch. Ich mag diese Vielfalt, die verschiedenen Kulturen, doch ich bezahle auch meinen Preis dafür. Man ist auch viel allein darin.
Simon Ho & Friends kommen jetzt mit neuen Songs wieder auf die Bühne. Was erwartet uns?
Ich hoffe, die Sängerinnen können die neuen Lieder lernen (lacht). Ich bin musikalisch wieder etwas experimenteller geworden, es geht wieder mehr Richtung Avantgarde. Natürlich hat’s noch immer Ohrwürmer, dieses Element bleibt. Mich interessiert aber vermehrt wieder der Sound, die Textur: Ist es rund, laut, eckig, rau, ist es minimalisiert, gross? — Ich will mehr mit dieser Dynamik arbeiten. Textlich habe ich seriöse, ernsthaftere Themen aufgegriffen. Zum Beispiel zwei Lieder über den Winter, Leben und Tod, Sehnsüchte. Ich bin nicht gerne oberflächlich. Wir werden mehr mit Stimmungen arbeiten. Das Licht in den Songs wird wichtig sein, wir werden die Musik mehr inszenieren.
Du bist in Deiner Kreativität sehr breit und machst stilistisch jeweils einen Spagat. Was möchtest Du musikalisch noch erreichen?
Ich würde gerne für ein grosses Symphonieorchester spielen. Ich glaube nicht, dass ich «klassische Musik» schreiben würde, aber mich interessiert der Klangkörper eines solchen Orchesters als solches. Auch für einen Chor, mit zum Beispiel 120 Stimmen, würde ich gerne wieder mal was machen. Das fasziniert mich.
Bild: Lukas Vogelsang
ensuite, Februar 2007