Von Lukas Vogelsang – Annie Leibovitz, die «reichste» Fotografin der Welt, ist pleite und verliert im schlimmsten Fall die Rechte an all ihren Bildern – von jenen aus der Vergangenheit, aber auch von jenen der Zukunft. Michael Comte, ebenfalls begnadeter Starfotograf aus der Schweiz, hat einen Teil seiner Bildrechte ebenfalls wegen des Geldes bereits abgegeben und ist nicht wirklich glücklich darüber. Beiden Starfotografen wird «Mangel an Bodenhaftung in ihrem Lebensstil» vorgeworfen. Michael Jackson hatte über beide Ohren die gleichen finanziellen Sorgen – jetzt mit seinem Tod wendet sich das Blatt auf makabere Weise. Steve Hackett, Gitarrist der Band Genesis aus den Anfängen (Seite 29), erzählte, dass sogar nach dem dritten Album der britischen Erfolgsband eine neunmonatige Tour rund eine halbe Million Schulden mit sich brachte – übrigens war auch Peter Gabriel, Front-Urgestein und Sänger von Genesis, in den 80ern einmal so pleite, dass ein Benefizkonzert veranstaltet werden musste. Es reihen sich Beispiele und Geschichten von erfolglos erfolgreichen KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Geld und Kunst scheint eine schwierige Mischung zu sein. Und Otto-Normalverbraucher beklagt sich über Managerlöhne und Bankenpleiten.
Das verwöhnte Publikum sieht dies alles nicht. Glanz und Glamour sind, was wir von den Stars haben wollen, nicht das Versagen – dies gibt es nicht. Wer nicht auf Platz eins steht, hat verloren – bei Milliarden von Zweit- und Drittplazierten ist das ein Problem. Und gar nicht toleriert wird, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin vom Publikum etwas fordert. So gab Keith Jarrett in Zürich seiner Wut Ausdruck, weil einige Menschen aus dem Publikum das Gefühl hatten, trotz Verbot mit der Kamera filmen zu müssen. Auf einigen Internetseiten konnte anschliessend gelesen werden, dass Jarrett arrogant sei, seine Musik total überbewertet, sein Gestöhne auf der Bühne nerve, und überhaupt, «was dem eigentlich einfalle…» Dass Jarrett ohne Netz und Balancehilfe mit dem Publikum den intensivsten künstlerischen Moment zu Teilen versucht, den Moment des absoluten Seins, der «göttlichen» Perfektion, wird von diesen selbsternannten KritikerInnen überhört (Seite 38). Sie würden am liebsten einem Maler erklären, wo dieser nach ihrem Gusto den Pinselstrich ansetzen muss, um danach vor FreundInnen und NachbarInnen die Heroes zu verkörpern, welche Kunst verstanden haben. Kunst auf Knopfdruck, gefällig, angepasst. Für Prestige, Ruhm und Glamour geben wir unser letztes Geld – für das Experiment, für den Versuch, für die Entwicklung nicht. Und schon gar nicht lassen wir uns durch künstlerisches Schaffen bewegen oder beginnen zu reflektieren.
Unser westliches Kultur- und Kunstverständnis ist Luxus. Ein überdimensionales Spiegelbild ohne BetrachterInnen. Wenn das Schweizer Fernsehen «Die grossen Schweizer Hits» zelebrieren will, so gewinnt nicht die Kunst, sondern Bier und die Bratwurst – was sehr viel über das kulturelle Niveau der ZuschauerInnen verrät. Kunst findet ohne dieses Publikum statt. Und das Gute daran: Zum Glück findet sie ohne dieses Publikum statt. Es wäre sonst gleich einem Spiegel im Spiegel, einer Rückkopplung im Kopfhörer, einem Aquarell im Dauerregen.
Nur das Problem mit dem Geld lässt sich dadurch nicht lösen. Einerseits arbeiten die Kunstschaffenden wie die letzten Lemminge über Jahre hinweg — doch den Lohn kassieren oftmals andere. Und wenn dann Geld kommt, ist der Umgang damit ein Problem. Denken Sie, liebe LeserInnen, daran, wenn Sie die nächste CD in die Musikanlage stecken oder ein Buch in die Hand nehmen. Kulturelles und künstlerisches Schaffen ist immer ein «Miteinander Teilen» – das Publikum, also wir, sind immer ein unentbehrlicher Teil davon, ein Spiegel.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 83, November 2009