Von Martin Lötscher — Teilnehmer der Sommerakademie: Was passiert, wenn wir durch Kunst miteinander kommunizieren? Unter dieser Leitfrage fand dieses Jahr bereits die fünfte Sommerakademie des Zentrum Paul Klee in Bern statt. Eine für mich zutiefst genuin künstlerische Fragestellung, die sicher unterbewusst auch in den vier vorangehenden Jahren virulent in den Räumlichkeiten der Sommerakademie zirkuliert haben muss, und die erstaunlicherweise im zeitgenössischen Kunstdiskurs nur allzu selten Gehör findet. Eine Frage, die nach den Konditionen und Potentialen menschlichen Handelns und Verhandelns sucht, und die in diesem Jahr aufgrund der polyphonen Konzeption intensiver als in den bisherigen Jahren auch in den öffentlichen und somit politischen Raum gesendet wurde.
Unter dem Titel «Wenn meine Ohren deine Lippen sind, werden unsere Körper zu Radios» versammelte der diesjährige Kurator Jan Verwoert eine internationale Kunsttruppe von zwölf Personen unter 35 Jahren zum gemeinsamen Denken und Handeln. Als einziger Teilnehmer aus Bern und der Schweiz steht mir nun zudem die Ehre zu, für ensuite — kulturmagazin als Inside-Reporter und einheimisches Sprachrohr, und nicht zuletzt auch als Profiteur dieser äus- serst grosszügigen Institution (eine Stiftung der Berner Kantonalbank), in Form eines Textes eine geistige Brücke aus dem Innern dieser Idee zu den aussenstehenden Köpfen zu schlagen.
Als Sinnbild und anstelle eines klassischen Protokolls oder Tagebuches möchte ich diesem Begehren nun am liebsten mit einem kurzen Abstecher in die Entstehungsgeschichte der diesjährigen Sommerakademie begegnen. Dies nicht zuletzt, weil das eben erst Erlebte noch zu frisch, zu unverdaut und mir zu wichtig für eine kurzatmige Wiedergabe erscheint. Die folgenden Zeilen bieten somit den gewünschten, wenn auch einen beschränkten Einblick in all das, was ich in dieser kurzen und intensiven Zeit erleben durfte. Im Zentrum dieser Anekdote steht hierbei ein Loblied auf die noch unbefleckte Schönheit des Informellen, der wohl für immer und ewig eindrucksvollsten Art und Weise der Wissensvermittlung, deren einzige Grenze die menschliche Vorstellungskraft ist!
An einem etwas schwülen, jedoch für die Jahreszeit ausserordentlich angenehmen Sommerabend in Mexico-City des letzten Jahres traf ein australischer Kulturwissenschaftler auf einen Kollegen aus Singapur. Im Rahmen eines Urbanismus-Symposiums haben sich die beiden, obwohl schon einiges von einander gelesen, zum ersten Mal persönlich getroffen und so war nun nach getaner Arbeit, bzw. nach der entsprechenden Powerpoint-Präsentation der jeweils letzten Forschungsergebnisse, Zeit für ein wenig Musse und Erholung. Am langen Tisch der Experten vertieften sich die beiden, wohl auch auf Grund der nicht gerade berauschenden Küche dieses internationalen Hotel- und Konferenz-Ressorts, in ein persönliches Gespräch. Der griechisch-stämmige Australier und der chinesisch-stämmige Forscher aus Singapur fanden dank ihrem grossen Interesse an der Kulturgeschichte beider Ursprungsnationen schnell eine sehr persönliche Ebene. Der Abend verflog in Windeseile und so machten sich die beiden am nächsten Morgen wieder auf den Weg zu ihren nächsten Destinationen.
Wenige Wochen später in Shanghai: Auf dem Internationalen Flughafen von Pudong traf der Kunsttheoretiker aus Singapur auf den holländisch-stämmigen Philosophen und Kunstkritiker Jan Verwoert aus Deutschland, der um die gemeinsame Wartezeit totzuschlagen, von seinem neusten Projekt der Sommerakademie 2010 in Bern zu erzählen begann. Der Mann namens Wu erwähnte in diesem Kontext einen möglicherweise interessanten Aspekt, von welchem er in einem Gespräch, das er vor wenigen Wochen in Mexico-City mit einem Australier führte, erfahren hatte. So kam der deutsche Kurator zum Thema der Stoa und nicht zuletzt in Kontakt mit Nikos Papastergiadis, welcher hocherfreut über die äus- serst schmeichelhafte Anfrage von Jan Verwoert, seine Teilnahme als Speaker an der diesjährigen Sommerakademie in Bern bestätigte.
Diese relativ unspezifische und schon fast belanglose anmutende Story offenbarte sich mir jedoch als ein vortreffliches Modell des Ganzen. Eine Art «Camera obscura», in welcher die einfallende Projektion alle relevanten Umrisse festhält, ohne jedoch die wahre Tiefe offenzulegen. Viel tiefer in die Materie drang jedoch Hanna Arendt in ihrem Buch «The Human Condition» mit der Frage nach den Grundbedingungen des menschlichen Lebens ein. Dabei stellte sie nicht wie Karl Marx die Tätigkeiten der Arbeit und Herstellens, sondern die Tätigkeiten des Handelns ins Zentrum ihrer Analyse, und so haben auch wir als Gemeinschaft von Beginn weg handelnd anstatt taktierend agiert und so eine eigene, gruppendynamische Form von «Freiheit und Sicherheit» konstruiert, die uns Schutz und Inspiration zugleich bot.
Und genau hier offenbart sich mir, als eine in erster Linie vermittelnde und nicht künstlerische Person, eine interessante Schnittstelle, ein potentieller Ansatz, vielleicht gar ein offener Standard, wie aus solchen künstlerischen Laborsituationen relevante Erkenntnisse herausdestilliert und für eine hoffnungsvollere Zukunft zur Anwendung gebracht werden könnten. Denn trotz der unendlichen Glasfasersphären unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft, gelingt es uns nicht, entsprechend besser, deliberative Prozesse in vernünftigere Richtung und Räume zu steuern, als dies bei den grossen Griechen der Antike vor über 2000 Jahren der Normal fall gewesen sein soll. Wie sollen so für die ungleich komplexeren Lebenswelten und damit einhergehenden Probleme entsprechende Lösungsansätze gefunden werden können? Es erscheint mir jedenfalls überaus bezeichnend, dass für die rasante Weiterentwicklung der Kommunikationstechnologien noch immer die Sexindustrie als grösster Wachstums- und Innovationstreiber gilt und nicht etwa die Staatengemeinschaft, welche durch die neuen technischen Möglichkeiten durchaus demokratischere und nachhaltigere Benutzersysteme entwickeln könnten. Oder ist das Facebook-Land, als mittlerweile drittgrösster Staatenbund, hier eventuell eine positive Ausnahmeerscheinung?
Ich denke nicht, sehe darin aber dennoch interessante Entwicklungspotentiale, die vor allem durch die Kunst und Poesie furchtbar gemacht werden könnten, in dem sich die Menschen zunehmend auf künstlerischen und somit persönlicheren Ebenen begegnen und so neue Formen von Gemeinschaften entstehen lassen könnten, in welchen Demut und Ehrlichkeit als die wichtigsten Grundpfeiler gelten und auch entsprechend gelebt werden. Ganz wie unter Freunden!
Martin Lötscher ist Grafik-Designer und seit
1996 Herausgeber des Journals soDa.
Sommerakademie
Die Sommerakademie im Zentrum Paul Klee ist eine internationale Plattform für zeitgenössische Kunst, die sich mit der Erforschung der Gegenwart und dem Denken über Kunst beschäftigt. Aufgabe der Sommerakademie ist es, durch Weiterbildung, Förderung und Vermittlung sowohl die künstlerische Produktion als auch Reflexion zu fördern und zugleich die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.
Zur Teilnahme berechtigt sind KünstlerInnen, KuratorInnen und KritikerInnen, die über einen Abschluss an einer Kunstakademie oder über den Nachweis vergleichbarer Leistungen verfügen. Das Höchstalter liegt bei 35 Jahren.
Die Wahl eines jährlich wechselnden Themenschwerpunkts ist von zentraler Bedeutung. Jedes Jahr wird eine Kuratorin oder ein Kurator für Konzeption und Umsetzung verpflichtet. Sie oder er wird von einem Expertenteam gewählt. Die Kuratorin der Sommerakademie im 2011 ist Pipilotti Rist.
Infos: www.sommerakademie.zpk.org
Foto: zVg.
ensuite, September 2010