Von Frank E.P. Dievernich — Lexikon der erklärungsbedürftigen Alltagsphänomene (XXXI): Eine der einseitigsten Aufforderungen von Organisationen der Neuzeit in Richtung ihrer Mitarbeitenden ist die Bitte um Commitment. Wenn es wenigstens eine Bitte wäre! Ist es aber nicht; es ist nämlich nichts anderes als eine Erwartung. Und zwar eine penetrant-perverse Erwartung. Mitarbeitende sollen bei jeder Gelegenheit zeigen, dass sie zu ihrem Unternehmen stehen – egal wie gut oder eben schlecht sie von diesem behandelt werden. Commitment ist als eine Auslagerung für den Umstand zu verstehen, dass Unternehmen nicht mehr viel für ihre Mitarbeitenden tun können oder wollen und statt dessen den Spiess umdrehen, in dem sie den Arbeitenden sagen, dass sie froh sein können, wenigstens von dem Wenigen so gut wie nichts abzubekommen. Wie ist das denn zu verstehen, haben sich doch offensichtlich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten massiv verbessert? Zumindest bei uns in der industrialisierten Welt scheint die Arbeitszeit geregelt, die Staub‑, Hitze- und giftige Dämpfe-Konzentration sind erfolgreich in die Länder der zweiten oder dritten Welt ausgelagert worden, und es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Unternehmen, die sogar die Kinderbetreuung professionell organisiert an die Hand nehmen. Zudem sind fleischhaltige, genauso wie vegetarische Gerichtsvariationen in der lokalen Kantine vorzufinden – und manchmal stehen sogar Spargelwochen an. Und in den besonders wertschöpfenden Bereichen unserer wirtschaftlich und international tätigen Organisationen, so hört man, gibt es sogar Reinigungsdienste für Oberhemden, um stets eine weisse Weste vorzeigen zu können. Schliesslich ist immer mal wieder bekannt geworden, dass Unternehmen nicht bloss Fitness-Studios einrichten, sondern sogar Ruheräume und Weiterbildungsangebote offerieren, die Mitarbeitenden dabei helfen, ihre Work-Life-Balance, aktuell nur mehr als Life-Balance bezeichnet, sicherzustellen. Nein, wir können nicht wirklich klagen – und als kleines Dankeschön unsererseits wird dann von den Unternehmen das sogenannte Commitment eingefordert. Ja was, wenn nicht wenigstens das, sollten wir unseren Organisationen zurückgeben? Das Problem mit dem Commitment ist jedoch, dass man dieses nicht einfordern kann, wenn die leidenschaftliche Emotionsgrundlage von demjenigen, der es einfordert nicht eingebracht wird, bzw. durch ihn aus der Gleichung schon längst raus gestrichen wurde. Zwar mögen uns die Organisationen unser Dasein mit den genannten Elementen versüssen, jedoch weiss und sieht jeder, dass diese lediglich zur Unterstützung im Umgang mit den als gesetzt geltenden Widrigkeiten eingeführt wurden. Weil die Arbeitsbedingungen so widersprüchlich und kraftaufreibend sind, werden Gegenmassnahmen unternommen, die das Ganze eine Zeit lang als erträglich erscheinen lassen. Es sind Schmerzensgeldzahlungen, die einen eigenen Markt kreiert haben und daher eine gewisse Faszination ausüben. Da gibt es die Reisen inklusive der Partnerin oder des Partners für ein verlängertes Wochenende nach Ägypten (inklusive der ganzen Firma, die ebenfalls dabei ist), da gibt es das Mega-Party-Event (ebenfalls mit Partnerin oder Partner) inklusive 5‑Gänge Menü und einem B‑Promi der sogar live singt. Schliesslich gibt es für ausgewiesen kompetente Vertriebsmanager das Ganze auch ohne Partnerin, Mehrzweckhalle und der ganzen firmeninternen Öffentlichkeit: als kleinen Ausflug in ein osteuropäisches Bordell. Wie dem auch sei, heute wählt man das Unternehmen anhand der Schmerzensgeld- und Ambiguitätsaushaltprogramme (Coaching) aus, weil man ansonsten sowieso nichts zu wählen hat. Man hat begriffen und (für sich) entlarvend festgestellt, dass Commitment bedeutet, trotz dieser Entlarvung das Spiel der Ausbeute mitzumachen, also so zu tun, ob das, was man da den ganzen Tag macht, einen tatsächlich interessiert. Schliesslich wählt man auch für sich jene Personalentwicklungsprogramme aus, die vor allem die Chance steigern, das Unternehmen schnell wieder verlassen zu können (Kompetenzaufbau). Commitment ist also etwas, was die Mitarbeitenden, wenn überhaupt, dann nur sich selbst geben, in dem sie mit sich ausmachen, wie weit sie dieses Spiel treiben wollen. Was die Organisationen uns heutzutage nehmen, obwohl sie oberflächlich betrachtet uns so viel geben, wie sie es wohl noch nie getan haben, ist Zeit, Sinn, Bindung, Wertschätzung, Stabilität und Menschlichkeit respektive einen Menschenbezug. Organisationen stehen selbst in der Logik kapitalistischer Finanzströme, in der Logik von Effizienzsteigerungen, in der funktionalistischen Verwertungslogik. Nicht der Mensch ist relevant, sondern das, was nach einer organisationalen, feinsäuberlichen und funktionalen Sezierung übrig geblieben ist. Als Funktion wirkt er, als Kompetenzträger, als Inputgeber, als Fachmann, als Rollenträger, als Spezialist eben für eine oder wenige Sachen. In der Tat wird er zur Ressource, die der Organisation dabei behilflich ist, dass sie weiter prozessieren, also existieren kann. Das Commitment, welches Organisationen gegenüber den Mitarbeitenden eingehen, ist schlicht jenes, dass Mitarbeitende sich ihrem Status als Produktionsfaktor sicher sein können. Im Rahmen einer Inszenierung wird er fallweise wie ein Mensch behandelt, dem man Gutes tun möchte. Dabei wird das Commitment in einer (ebenfalls) ausdifferenzierten Kommunikationslandschaft zu einem Inszenierungsmoment, dem auf beiden Seiten die Realitätsgrundlage entzogen wurde. Das beste Beispiel hierfür präsentiert sich uns in den Organisationen des Profifussballs. Nehmen wir hierzu die Spielervorstellungen zu Beginn einer jeden neuen Saison. Die Spieler, also die Angestellten selbst, inszenieren die Leidenschaft für den neuen Verein mit entsprechenden Worten («ein tolles Stadion», «ein Fan-Potential, das seines Gleichen sucht», «Stolz, nun bei einem Traditionsverein zu sein», etc.). Die Vereine wiederum sprechen davon, den «Wunschspieler» oder «Wunschtrainer» gefunden zu haben, man ist überzeugt, «dass man zueinander passt», etc. Auf beiden Seiten wird Commitment inszeniert. Und die einzigen, die das wirklich empfinden, sind jene Fans, die tatsächlich jedes Wochenende im Stadion stehen und sich die Kehle heiser schreien. Sie zeigen, die Originalversion eines in der Emotion verankerten Commitments. Diese sind es, die Commitment abgeben, während jene Spieler, die nach Spielende dankend in Richtung der Tribünen Klatschen, dies bloss inszenieren, da sie übermorgen das Gleiche beim Gegner machen würden, sollte dieser ihnen mehr zahlen. Auf der einen Seite haben wir es mit Commitment als Währung zu tun, auf der anderen Seite mit einer Ausweglosigkeit, weil es emotional gebunden ist. Commitment in dieser Form entzieht die Wahlmöglichkeit. Beide Formen inszenieren sich für einander entsprechend mit dem Ziel das Gefühl einer sozialen Einheit herzustellen, während das ökonomische Funktions‑, Effizienz- und Ausdifferenzierungsprinzip dafür gesorgt hat, dass Commitment nur mehr zu einer moralischen und romantischen Kategorie taugt, die daran erinnert, dass es wohl Zeiten gegeben hat, wo Menschen geglaubt haben, dass das, was sie tun, wirklich mit Ihnen zu tun hat. An dieser Stelle wird klar, wie wichtig Reminiszenzen in einer Gesellschaft geworden sind, die bloss nur mehr über die Fassaden der Erinnerungen und der Imagination aufrechterhalten werden.
*bewirtschaftet von frank.dievernich@hslu.ch, Hochschule Luzern – Wirtschaft.
Foto: zVg.
ensuite, April 2014