Von Patrik Etschmayer - Die neueste uns bekannte Variante aus der Corona-Viren-Familie hält die Welt in Atem. Zehntausende Menschen sind schon erkrankt, hunderte gestorben. Internationale Lieferketten brechen zusammen, Mundschütze sind Mangelware und auf den Online-Shops von Coop und der Migros gibt es keine Pasta mehr zu kaufen. Asiatisch aussehende Menschen werden seit Wochen angefeindet und ganze Städte in Italien stehen unter Quarantäne.
Über das Virus und seine Gefährlichkeit ist nicht wirklich viel bekannt. Weder die Letalität noch die Inkubationszeit stehen abschliessend fest. Die Vorsichtsmassnahmen die getroffen werden, zielen auf die Verlangsamung der Verbreitung – an ein Containment des Virus glaubt offenbar kein Spezialist mehr. Hier noch weiter über diese Dinge zu sprechen, ist überflüssig. Eine tagesaktuelle Kolumne zu verfassen, wenn auf Corona-Newstickern stündlich neueste Virenhäppchen verabreicht werden, ist vergebene Liebesmüh.
Wesentlich interessanter ist vermutlich, was der Virus und dessen Verbreitung über die Politik und die moderne globale Gesellschaft aussagt. So ist es nun wohl klar, dass autokratische Regime eine Seuchengefahr darstellen. Wie es aussieht, brach der SARS-CoV-2-Virus bereits im Dezember 2019 aus und der erste tragische Held dieses Dramas, der unterdessen an der COVID-19 genannten Krankheit gestorbene Arzt Li Wenliang, alarmierte Kollegen über sich häufende Krankheitsfälle. Und der Staat reagierte prompt. Doch statt sofort Epidemiologen vor Ort zu schicken, wurden Li und seine Kollegen mit Maulkorbbefehlen zum Schweigen verdammt, denn schlechte Neuigkeiten haben in einer von einem selbstgefälligen Autokraten regierten Nation nicht zu existieren.
Wenn jetzt in den USA alle Mitteilungen von staatlichen Medizinern zu COVID-19 erst vom Vizepräsidenten zur Veröffentlichung genehmigt werden müssen, erinnert das fatal an das Informationsmanagement in China. Und es gibt ja schon den Präzendenzfall in den USA, bei dem der National Weather Service vom weissen Haus angegriffen wurde, weil Präsident Trump Gebiete, für die es gar keine Hurricane-Warnung gab, in einem Tweet erwähnt hatte. Dies endete in der irren Posse des Präsidenten, der eine von ihm mit einem schwarzen Markierstift veränderte Gefahrenkarte der Öffentlichkeit präsentierte und danach die Behörde und die dort verantwortlichen angriff, weil sie sich gegen diesen Blödsinn wehrten.
Damals lachten viele über diese Episode. Doch nun ist etwas ähnliches in China passiert und die Welt hält den Atem an oder versteckt sich hinter Gesichtsmasken (die völlig Unnütz für Gesunde sind, welche nicht mit Kranken arbeiten — also hört auf, die Teile zu hamstern!). Die Freiheit der Forschung und die transparente Kommunikation von Fakten muss ganz klar VOR politischem Kalkül und Staatsraison kommen. Und nun sollte man sich fragen, welchem Politikertyp man dies zutraut. Eher irgendwelchen Narzissten, die Probleme am liebsten auf politische Gegner oder gar Minderheiten im Land abschieben, Lügen als alternative Fakten bezeichnen und Hexenjagden anzetteln? Oder den Uncharismatikern, die Probleme als eine Serie von in der Realität fussenden Herausforderungen erkennen und auch wissen, dass sie dort angegangen werden müssen?
Der Leser möge entscheiden.
Auch die Bevölkerung scheint nun erst wieder zu ihrem Erstaunen zu erfahren, dass Händewaschen eigentlich doch ganz wichtig wäre, um Krankheiten zu verhindern. Dieses aus verfehlter Erziehung stammende Elend, dass ich schon vor 13 Jahren, als die Vogelgrippe die Schlagzeilen beherrschte, beklagt habe (http://www.news.ch/Haendewaschen+und+Vogelgrippe/279915/detail.htm), tötet jährlich eine unbekannte Anzahl von Menschen. Ja. Nicht nur beim Coronavirus. Denn jedes Jahr killt die Grippe in Europa eine tiefe bis mittlere fünfstellige Anzahl von Menschen. Doch diese Toten – obwohl durch die Grippeimpfung leicht zu vermeiden – scheinen weniger Aufhebens wert zu sein als jene, die durch den SARS-CoV-2-Virus verursacht werden.
Wir werden aller Wahrscheinlichkeit nach diese sich zur Pandemie ausbreitende Epidemie überstehen, wobei dieser Virus womöglich nicht viel tödlicher als eine normale Grippe sein wird (die Letalität ist, wie gesagt, noch nicht wirklich bekannt. Zahlen von 0.7 bis 4% können, wenn die effektive Anzahl von Ansteckungen bekannt ist, noch einiges geringer werden). Und dies ist ein, wenn auch bescheidenes, Glück. So hatte die berühmte ‘Spanische’ Grippe von 1918 eine wesentlich höhere Letalität (sicher über 2.5%) und Ansteckungsrate und sich – ganze ohne Flugreisen – drei mal um die ganze Welt gebrannt und damals mindestens 50 Millionen Menschen zum Teil innert eines Tages nach dem Auftreten der ersten Symptomen getötet.
Wichtig wird vor allem sein, dass diesmal nun endlich überall gelernt und akzeptiert wird, dass die Realität nicht Ideologiesache, Viren unpolitisch und saubere Hände überlebenswichtig sind. Ebenso sollte endlich realisiert werden, dass der Kampf gegen Infektionskrankheiten eine Aufgabe der Gesellschaft ist. Dass schon Kindern beigebracht wird, nicht nur Hände zu waschen, sondern ihnen auch sagt warum. Und das im Geschichtsunterricht vielleicht nicht nur die Kriege sondern auch die Seuchen als Ereignisse behandelt werden, die das Schicksal der Menschheit entscheidend mit formten.
Und wenn das auch nur ein frommer Wunsch ist… hoffen darf man ja.