Von Dominik Imhof – Das Wallis ist nicht gerade bekannt für seine Kunstszene. Nur wenige werden wohl mehr als einen Walliser Künstler oder Künstlerin mit überregionaler Ausstrahlung nennen können, auch wenn es deren viele gäbe, Valentin Carron wäre so ein «Aushängeschild». Trotz inzwischen guter und kurzer Zugverbindungen strömen die Massen immer noch eher zum Genuss der Berge und des Weines ins Wallis. Recht haben sie natürlich, dennoch gibt es auch im Bereich der Künste einiges mehr neben der Fondation Gianadda in Martigny zu bestaunen, etwa das Kunstmuseum Sion, das sich nicht nur regionaler Kunst widmet und auch Platz bietet für Gegenwartskunst. Umso erfreulicher gegenüber dieser von den Alpen versperrten Sichtweise von aussen ist die wiederum stattfindende Triennale Wallis. Erst zum dritten Mal wird sie realisiert, und sie kann etliches bieten. Besonders gelungen ist die Auswahl der Ausstellungsorte, auch wenn das Oberwallis nicht wirklich vertreten ist. Alle vier Ort haben ihre eigene Geschichte, die tief mit der Geschichte des Kantons verbunden ist, von der sie auch im Hintergrund beredt sprechen. Die fünf Kuratorinnen und Kuratoren wissen diese Seele der Lokalitäten zu nutzen und bringen natürlich ihren Rucksack und ihre Vorlieben mit.
Wie schon in früheren Projekten, etwa demjenigen rund um den Autofriedhof in Kaufdorf, nutzt Heinrich Gartentor das gesamte Dorf Turtmann als Ausstellungsort. Nicht nur, dass Gartentor in jedem erdenklichen – und undenklichen – Ort Platz für ein Kunstwerk seiner Gastkunstschaffenden findet, vielmehr versucht er, die lokale Bevölkerung einzubeziehen und die Ausstellung zu einer Sache für alle zu machen. Gartentors Stärke ist gerade diese organisatorisch-soziale Leistung der Verankerung eines Kunstprojektes am Ausstellungsort. Neben dem ehemaligen Hotel Post verwandeln sich nun zahlreiche ungenutzte Scheunen, Ställe und Garagen in alles andere als White Cubes – aber dafür in umso bissigere Ausstellungsorte. Rund dreissig Kunstschaffende hat Gartentor eingeladen. Aus einem Dach schaut ein vermeintlicher Riesenpapierflieger von Joëlle Allet hervor und weist auf den alten Militärflugplatz von Turtmann und damit die Geschichte des Ortes: Seit den 1940er Jahren bestand hier ein Flugplatz, der in den 60er Jahren erweitert wurde. 2003 wurde der Flugbetrieb eingestellt. Auf dem Flugplatz finden sich denn auch grossformatige Werke von Haus am Gern oder von Aldo Mozzini. Im Dorf hat Fränzi Neuhaus ein Heuappartement eingerichtet, Josef Loretan hat die ausleihbaren Fahrräder mit seiner Klingelskulptur ausgestattet oder Andrea Thülers gelbe Netzstrukturen bilden einen Kontrast zum bäuerlichen Umfeld. Beim Gang durch die Ausstellung – also durch Turtmann – wird einem bewusst, wie viel sich hier in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Neben dem Flugplatz sind viele weitere Gebäude, wie das Hotel Post und praktisch alle Ställe nicht mehr in Gebrauch. Der Wandel ist allgegenwärtig.
Als nächste Station darf sich Sion mit seinen imposanten Hügeln als Hauptstadt des Kantons präsentieren. Hier wurde das ehemalige Gefängnis (Ancien Pénitencier) und das Kunstmuseum Wallis als Austragungsort gewählt. Helen Hirsch, Direktorin des Kunstmuseum Thun, fungierte im Ancien Pénitencier und in einigen Räumen des Kunstmuseums Sion als Kuratorin unter dem Titel «Entre quatre murs» und beschränkte sich auf wenige Kunstschaffende: Los Carpinteros, Maria Ceppi, Julian Charrière, Nilbar Güres, Dagmar Keller & Martin Wittwer und Pierre Vadi. Die Gefängniszellen bespielt der 1966 in Sion geborene Pierre Vadi, wobei natürlich die Architektur eine zentrale Rolle spielt, und gleichzeitig öffnet Vadi die hermetischen Räumlichkeiten mit weiteren Objekten und einem weiten Assoziationsraum. Andere Werke öffnen ebenso die vier Mauern zu einer globalisierten Welt. Nilbar Güres zeigt in ihrem Video «Open Phone Booth» einen schönen Kontrast zu den vier Mauern des Gefängnisses. Sie zeigt, wie verschiedene Personen eines anatolischen Dorfes auf einen Hügel steigen müssen, da sie nur dort Handyempfang haben. Die Natur wird zur offenen und öffentlichen Telefonzelle.
Von Energie, wenigstens potenzieller, strahlt die Belle Usine bei Fully nur so. Das Elektrizitätswerk ist immer noch in Betrieb, auch wenn ein Teil des Gebäudes als Kulturort benutzt wird. Raphal Dörig, Leiter des Kunsthauses Langenthal, ist hier verantwortlicher Kurator und stellt die Schau unter den Titel «Currents, Curtains, Code». In seiner Werkauswahl sind Energie, Ressourcen und unser Umgang mit diesen die passenden Themen. Werke von Joëlle Allet, Ursula Biemann, Alan Bogana, Hervé Graumann, Christina Hemauer & Roman Keller, Alexandre Joly, Thomas Kneubühler, Lauris Paulus, Niko Princen, Anne le Troter und Marie Velardi sind zu sehen. Im grössten Raum überzeugt sogleich Alexandre Joly mit einer genauso monumentalen wie filigranen Arbeit. Zwei sich stets drehende Vorhänge bilden einen Durchgang, wobei wir durch die Drehung abwechselnd ausgeschlossen sind, um schliesslich wieder einen Durchblick zu erhaschen. Mit den «Strömen» der Informationsgesellschaft befasst sich der niederländische Künstler Niko Princen und hat in der Belle Usine quasi eine eigen Schaltzentrale mit Verortung im WWW und firmeneigener Corporate Identity eingerichtet. Christina Hemauer und Roman Keller wollten eigentlich mit den Wassermengen des Kraftwerks eine riesige Fontäne à la Genf errichten. Das Projekt scheiterte, da die Betreiberfirma nicht einmal eine kleine Prozentzahl des Wassers zur Verfügung stellen wollte. Eine Dokumentation zeigt nun das Scheitern und den Testlauf mit der Feuerwehr des Ortes. Auch hier ergibt sich im Zusammenspiel der sehr unterschiedlichen Arbeiten ein dichtes Geflecht an Assoziationen mit diesem Kraftort der Belle Usine und den verschiedenen «currents».
Einen ganz besonderen Ort haben sich Jean-Paul Felley und Olivier Kaeser ausgesucht: auf 1750 Metern über Meer auf der Staumauer von Mauvoisin. Die beiden Kuratoren Felley und Kaeser leiteten ab 1994 den Projektraum attitudes in Genf und sind seit 2008 gemeinsam für das Centre culturel suisse in Paris verantwortlich. Der imposanten Gebirgskulisse und den überwältigenden Massen des Stausees und den Massen der Staumauer bieten die auf Plakatwände aufgezogenen dreissig Fotografien des Belgiers Geert Goiris erfolgreich die Stirn. Wenn vor Ort die Wucht der Natur und die Technologie des Menschen aufeinanderprallen, so setzt sich der 1971 geborene Goiris ebenso mit dem Kampf Mensch, Kultur und Natur in perfekten Schwarzweiss- und Farbfotografien auseinander. Einige Porträts bilden gemeinsam mit Detailaufnahmen von Pflanzen oder Architekturen eine übergreifende Erzählung. Es tauchen in Mikro- und Makrokosmos Strukturen auf, etwa in den geschwungenen Linien von Palmblättern und genauso in den geometrischen Linien einer architektonischen Ecke. Der Mensch scheint etwas hilflos in dieser Welt in Erscheinung zu treten: Er dreht sich überrascht um, starrt in die Leere. Sind es etwa die Folgen unseres Umgangs mit der Natur, die hier auf den Gesichtern von Alt und Jung eine Hoffnungslosigkeit aufblitzen lassen? Übrigens ist in der Nähe des Hotel de Mauvoisin ein weiteres Kunstwerk zu bestaunen: Michael Heizers «Tangential Circular Negative Line» ist dort in den Boden «eingelassen» und erlaubt neue Raum- und Naturerfahrung. Im Musée de Bagnes in Le Châble wird die Schau von Goiris weitergeführt.
An weiteren Orten der Region, vom Kunstverein Brig bis zur Fondation Louis Moret in Martigny, werden ebenfalls Ausstellungen im Rahmen der Triennale präsentiert. Dort sind beispielsweise Werke von Fabrice Gygi (Manoir de la ville de Martigny), Valentin Carron (Fondation Louis Moret, Martigny), Collectif_Fact (Ferme-Asile, Sion), Rolf Schroeter (Stiftung Schloss Leuk), um nur ein paar zu nennen. Etwas Zeit muss man schon mitbringen, um diese Triennale zu besuchen. Der Weg ist hier auch ein Ziel und die prächtige und abwechslungsreiche Landschaft des Wallis belohnen einen zusätzlich.
Triennale 2014 Valais / Wallis
Hauptausstellungen: Turtmann, Sion, Fully, Mauvoisin/Le Chablé
www.triennale2014.ch
Bis 31. August 2014. Mit Katalog
Bild: Alexandre Joly, Ouranus, 2014, Belle Usine, Fully. © Alexandre Joly
Publiziert: ensuite Nr. 140, August 2014