Schöner wär’s daheim

Von Dominik Imhof – Das Medi­um ist die Botschaft. Wie SMS und E‑Mail unseren Umgang mit der jew­eili­gen kom­mu­nika­tiv­en Tech­nik bee­in­flussen – oder vielmehr bes­tim­men –, wie sie unser Denken mit ihr bere­its gewis­ser­massen bein­hal­ten, genau­so haben auch ältere Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel den Umgang mit ihnen stark geprägt und eine eigen­tüm­liche Erschei­n­ungs­form her­vorgerufen. Die Foto­s­tiftung Schweiz in Win­terthur zeigt noch bis Okto­ber die Ausstel­lung «1914/18 – Bilder von der Gren­ze» mit ein­er Vielzahl an Postkarten, die während des Ersten Weltkriegs von Gren­z­sol­dat­en ver­schickt wur­den. Eben­falls mit Blick auf das Jahr 1914 sind vierzehn Werke von Stephan Schenk von Kriegss­chau­plätzen des Ersten Weltkriegs zu sehen.

Rund 220’000 Män­ner rück­ten am 3. August 1914 zur Schweiz­er Mobil­machung in die Armee. Die Bewachung und Sicherung der Gren­zen war erstrangiges Ziel des Ein­satzes. Von den Bekan­nten, der Fam­i­lie, den Fre­un­den und Arbeit­skol­le­gen über Monate hin­weg getren­nt, war der Drang nach Kom­mu­nika­tion gross. Ein Medi­um, das erst um die Jahrhun­der­twende seine Aus­prä­gung fand, wurde zum ide­alen Träger der vielfälti­gen Grenzbotschaften. Um 1897 pro­duzierte die Neue Pho­tographis­che Gesellschaft in Berlin eine Brom­sil­berkarte auf dick­em Kar­ton im Postkarten­for­mat. Prak­tisch jed­er kon­nte nun fotografieren und in Winde­seile die Auf­nahme auf dem Brom­sil­ber­pa­pi­er belicht­en und als Postkarte ver­schick­en. Schnell ver­bre­it­ete sich diese Tech­nik und wurde von zahlre­ichen Her­stellern pro­duziert. Das Faszinierende daran war, dass man nicht eine indus­triell gefer­tigte Postkarte mit fest­gelegtem Motiv benutzen musste, vielmehr kon­nte man in klein­er Stück­zahl oder gar als Einzel­stück eigene Motive als Postkarte mit ein paar Gruss­worten versenden. Um 1900 wur­den in der Schweiz rund 44 Mil­lio­nen Postkarten ver­schickt, 1913 bere­its 111 Mil­lio­nen! Trotz des Weg­brechens des Touris­mus blieb diese Zahl auch während der Kriegs­jahre hoch, vor­wiegend wegen der Mil­lio­nen von Feld­postkarten, die ihren Besitzer wech­sel­ten.
«Auch wieder ein Leben­sze­ichen von mir. Haben uns hier pho­togra­phieren lassen als Andenken. Haben hier immer schönes Wet­ter. Hören hier immer das Knat­tern aus dem Franzö­sis­chen. Viele Grüsse von Albert.» Der­ar­tig lesen sich die kurzen Botschaften der Postkarten. Sie dien­ten den Sol­dat­en als Beweis für ihre Ange­höri­gen, dass sie noch am Leben waren oder dass eigentlich als ganz gut ver­lief – den Umstän­den entsprechend. Gle­ichzeit­ig wur­den auch kleine Nachricht­en, wie etwa der Wun­sch nach frisch­er Wäsche mit den Karten kom­mu­niziert.

Zu sehen ist auf den Postkarten kein Krieg, keine Ver­wun­dung und schon gar nicht der Tod, der sich im nicht allzu weit ent­fer­n­ten Frankre­ich und Deutsch­land – die Kriegshand­lun­gen waren an der Gren­ze min­destens hör­bar – find­en liess. Es ist der freizeitliche All­t­ag, der von Kam­er­aden abgelichtet wird: die Män­ner auf Grup­pen­fo­tos vor ihren Barack­en und Unterkün­ften, oft Spässe treibend, essend oder trink­end. Die Fotos dien­ten wie die Botschaften der Beruhi­gung der Daheimge­bliebe­nen und als Andenken für spätere Jahre. Es sind meist Ama­teur­fo­tos, manch­mal unscharf und unge­lenk fotografiert. Pro­fes­sionell erstellte Karten waren eben­so erhältlich und wur­den von namhaften Schweiz­er Fotografen gemacht. Schliesslich gab es noch die offizielle fotografis­che Doku­men­ta­tion der Kriegs­jahre, bei der auch die Ver­wun­de­ten und die Zer­störung sicht­bar wur­den. Faszinierend an den in Win­terthur aus­gestell­ten Postkarten ist ein­er­seits die in allen Belan­gen (Bild und Text) sehr per­sön­liche Art der Karten. Ander­er­seits ist es ein­drück­lich, wie hier inner­halb kurz­er Zeit ein neues Medi­um eine «Mark­tlücke» find­et und schliesst und damit eine vol­lkom­men neue Art der Kom­mu­nika­tion nach sich zieht.

Die aus­gestell­ten Postkarten sind umgeben von vierzehn Tapis­se­rien, die auf Fotografien des in Deutsch­land lebend Stephan Schenk beruhen. Schenk fotografierte jew­eils einen kleinen Auss­chnitt des Bodens eines ehe­ma­li­gen Schlacht­feldes des Ersten Weltkriegs. Im Auss­chnitt ist im Grunde nur ein Mikrokos­mos sicht­bar, alles was hier geschah, muss man als Betra­chter assozi­ieren – es ist nicht dargestellt. Mit dem Titel «Kreuzweg» und dem Ver­ar­beit­en der Fotografien zu Tapis­se­rien über­lädt der Kün­stler seine eigentlich bewe­gen­den Bilder. Das Ver­woben-Sein und die Entsprechung der Anzahl Bilder/Schlachtfelder mit der Zahl der Sta­tio­nen des Kreuzwegs Christi, die Schenk den Bildern aufer­legt, lenken vor allem ab und machen ein sowieso bere­its schw­eres The­ma noch schw­er­er.

1914/18 – Bilder von der Gren­ze
1914/18 – Stephan Schenk, Kreuzweg
Foto­s­tiftung Schweiz, Grüzen­strasse 45, 8400 Win­terthur
www.fotostiftung.ch

07.06.2014–12.10.2014
Geöffnet Dien­stag bis Son­ntag 11:00–18:00 h, Mittwoch 11:00–20:00 h
Mit Kat­a­lo­gen


Bild: Plakat zur Ausstel­lung «1914/18 – Bilder von der Gren­ze»

 

Pub­liziert: ensuite Nr. 140,  August 2014

Artikel online veröffentlicht: 1. August 2014 – aktualisiert am 12. März 2024