Wo wir leben

Von Dominik Imhof – Es wird viel disku­tiert über die Verän­derung der Land­schaft – auch der städtis­chen – durch unsere mod­erne Gesellschaft. Die Ver­städterung und die Möblierung der unberührten Natur etwa durch den Massen­touris­mus, aber auch Wirtschafts- und Indus­triekrisen zeigen ihre Spuren überdeut­lich im Raum, der uns umgibt. In den USA wur­den in den let­zten Jahren kom­plette Vor- orte zu Geis­ter­städten, da ganze Indus­triebere­iche wegge­brochen sind. Ander­er­seits wer­den immer noch gross­flächig Wälder abge­holzt und zurück bleibt eine öde Land­schaft. Doch kaum ein­er fragt, was dies für Auswirkun­gen auf unsere Wahrnehmung der Land­schaft hat, was dies für unser Empfind­en von Land­schaft, in der wir etwa gross gewor­den sind, bedeutet. «An was glauben wir noch in Anbe­tra­cht dieser Land­schaft?», fragt der amerikanis­che Fotograf Robert Adams, ein­er der grossen Fotografen unser­er Zeit. Er beschäftigt sich seit über vier Jahrzehn­ten und seit den Anfän­gen seines Schaf­fens mit der­ar­ti­gen Verän­derun­gen im West­en der USA und ist ger­adezu zu einem Chro­nis­ten der men­schlichen Spuren in der Land­schaft gewor­den. Das Foto­mu­se­um Win­terthur wid­met ihm – kuratiert von Joshua Chuang vom Cen­tre for Cre­ative Pho­tog­ra­phy, Tus­con, Ari­zona – nun eine rund 240 Werke umfassende Ret­ro­spek­tive und zeigt, welche Wucht den meist kle­in­for­mati­gen Schwarzweiss­fo­tografien von Adams innewohnt.

Der 1937 in Orange, New Jer­sey, geborene Robert Adams besorgte sich erst 1963 seine erste 35mm-Kam­era und begann, die Natur wie auch die Architek­tur sein­er Umge­bung zu fotografieren. Eigentlich arbeit­ete er als Englis­chlehrer am Col­orado Col­lege in Col­orado Springs. Der amerikanis­che West­en bleibt bis heute sein Arbeit­sort, wo er die meis­ten sein­er Motive ablichtet und den er nur zu gut ken­nt – nicht zulet­zt dessen Wan­del. Mit seinen Fotografien, die Ende der 1960er Jahre ent­standen, fügt sich sein Schaf­fen in eine Ästhetik ein, die unter dem Begriff «Neue Topografien» bekan­nt wurde. Benan­nt nach der Ausstel­lung «New Topo­graph­ics» von 1975 in New York, umschloss der Begriff einen neuen fotografis­chen Blick auf die amerikanis­che Land­schaft von Fotografen wie Lewis Baltz, Joe Deal, Frank Gohlke oder Stephen Shore. Ger­ade die amerikanis­che Land­schafts­fo­tografie blick­te zu dieser Zeit bere­its auf eine lange Tra­di­tion, wie sie wohl nur in ein­er Land­schaft und einem Land wie Ameri­ka entste­hen kon­nte: mit Fotografinnen und Fotografen wie Anselm Adams oder Dorothea Lange oder den Fotografen der Farm Secu­ri­ty Admin­is­tra­tion wie Walk­er Evans, Gor­don Parks oder Mar­i­on Post Wol­cott.

Eine hero­is­che Land­schaft ist bei der «Neuen Topografie» nicht zu find­en. Adams Blick richtet sich auf die ein­fachen Dinge, in den 1960er und 70er Jahren vor­wiegend auf die Vororte im «neuen West­en», etwa auf eine kleine Sied­lung mit ein paar Bäu­men inmit­ten ein­er weit­en Land­schaft, oder auf eine Methodis­tenkirche, die er frontal aufn­immt mit schräg ein­fal­l­en­dem Licht, so dass die weisse Holz­fas­sade auf der einen Seite grell leuchtet, um auf der anderen im Schat­ten zu versinken, oder auf zwei Jungs in einem Ford-Pick­up, gese­hen durch die Heckscheibe des Fahrzeugs. Es ist ein sach­lich­er und gle­ichzeit­ig fein­füh­liger Blick, der in diesen Bildern erkennbar ist, ohne Über­höhung und plaka­tiv­er Hal­tung. Der Men­sch rückt hier in den Hin­ter­grund, seine Spuren sind jedoch über­all mehr als deut­lich sicht­bar: Das Holzskelett eines Haus­es vor ein­drück­lich­er Naturkulisse, oder ganz ein­fach als Sil­hou­ette im Fen­ster eines typ­is­chen Vorstadthaus­es. Ganze anders in «Our Lives and Our Chil­dren» (1979–1983), ein­er Serie, in der Adams Kinder mit ihren Eltern auf dem Park­platz eines Super­mark­tes ablichtet und es auch hier schafft, in dieser «ver­lore­nen» Gegend Leben und Schön­heit zu präsen­tieren. In «Sum­mer Nights» wiederum fotografierte Adams nachts in der Nähe seines Haus­es. In Kali­fornien, wo Adams studierte, hielt er eine öde Natur fest, die durch den Ein­fluss des Men­schen anstelle des früheren grü­nen Paradieses, der Zitrus- und Orangen­bäume zu sehen ist. Die mas­sive Wal­dro­dung – rund 90 Prozent des Waldes wur­den hier abge­holzt – im Nord­west­en der USA ste­ht im Zen­trum von «Turn­ing Back» (1999–2003) und zeigt Adams Hal­tung wohl am deut­lich­sten: Der Men­sch zer­stört seine Umwelt, die doch in viel­er­lei Hin­sicht, physisch und psy­chisch, leben­snotwendig für ihn wäre.

Adams zahlre­iche Pub­lika­tio­nen zeu­gen von diesem doku­men­tarischen Elan, den sein Schaf­fen mitbes­timmt und dieses zu ein­er umfan­gre­ichen Erzäh­lung zur Befind­lichkeit des amerikanis­chen West­ens macht. Sie machen auch deut­lich, dass Adams Bilder weniger als Einzelfo­tografien funk­tion­ieren – trotz­dem tun sie auch dies –, son­dern als bre­it angelegte, konzeptuelle Erforschung und Kon­servierung dieser Befind­lichkeit.

Die Fotografien von Adams zeich­net eine sub­tile Sprache aus, die nie plaka­tiv anprangert und gesellschaftliche Prob­leme dom­i­nant ins Bild set­zt. Vielmehr muss man zuerst ein­mal den ersten Ein­druck eines schö­nen Bildes, per­fekt in der Kom­po­si­tion eines bes­timmten Auss­chnitts und betörend in der Ver­wen­dung des Lichts, hin­ter sich lassen, bevor man die men­schlichen Spuren entz­if­fern kann. Umso ein­drück­lich­er sind Adams Fotografien, da sie gle­icher­massen von der Schön­heit der Land­schaft sprechen wie von der Trauer um ihr Ver­schwinden. Es sind zer­brech­liche Schön­heit­en, die wir sehen und die trotz unseres zwiespälti­gen und oft rück­sicht­slosen Umgangs mit der Natur immer noch vorhan­den sind – auch Hoff­nung steckt in Adams Fotografien. Auch wenn Adams «nur» die USA zeigt, so greifen seine Ziele doch weit über diese Gren­zen hin­aus.

 

Robert Adams – The Place We Live
Foto­mu­se­um Win­terthur, Grüzen­strasse 44 + 45, 8400 Win­terthur
www.fotomuseum.ch

07.06.–31.08.2014
Geöffnet Dien­stag bis Son­ntag 11:00–18:00 h, Mittwoch 11:00–20:00 h


Bild: Robert Adams, Col­orado Springs, Col­orado, 1968, Sil­berge­la­tine-Abzug, 15,1 x 15,2 cm, Yale Uni­ver­si­ty Art Gallery. © Robert Adams

 

Pub­liziert: ensuite Nr. 140,  August 2014

Artikel online veröffentlicht: 1. August 2014 – aktualisiert am 12. März 2024