Legends, undressed

Zwei Män­ner und eine Frau bei der Rekon­struk­tion eines Augen­blicks, der wed­er Anfang noch Ende hat. Leg­ends & Rumours karikiert einen Moment im Leben dreier Men­schen, die, vielle­icht aus Zufall, zu einem unbes­timmten Zeit­punkt in ein­er banalen Sit­u­a­tion aufeinan­dertr­e­f­fen und inter­agieren.

Phil Hayes’ Stück feierte gestern Abend Pre­miere im The­ater­haus Gess­ner­allee. Der Schaus­piel­er und Regis­seur aus Eng­land, seit 1998 in Zürich wohn­haft, fragt sich, so ste­ht es im Presse­dossier, «wie Momente zu Geschicht­en wer­den und wie Geschicht­en zu Leg­en­den». Ja, wie fühlt es sich an, wenn eine Leg­ende als die banale Geschichte dargestellt wird, die sie im Grunde ist? Wie sieht die Leg­ende eigentlich drunter aus?

The dev­il is in the details

Während neun­zig Minuten konzen­tri­eren sich Schaus­piel­er Phil Hayes, Schaus­pielerin Maria Jerez und Per­former Thomas Kase­bach­er auf Details. Die drei befind­en sich in ein­er mit sieben Stell­wän­den angedeuteten Woh­nung, die mit Bett, Sofa, Tep­pich, Tisch, Stereoan­lage, Zim­merpflanze und Büchergestell ordentlich aus­ges­tat­tet ist. Phil, Maria und Thomas wollen einen Vor­fall nach­stellen oder einen Zwis­chen­fall nach­spie­len – man weiss es nicht so genau. In dieser Rekon­struk­tion eines Moments ist die Gegen­wart für ein­mal nicht Reinkar­na­tion der erin­nerten Ver­gan­gen­heit, die Gegen­wart wird vielmehr von der Erin­nerung dekon­stru­iert.

Die Per­spek­tive gibt in Leg­ends & Rumours die Rich­tung an. Je nach­dem, welch­er der drei Pro­tag­o­nis­ten den Lead übern­immt, fällt das Nach­stellen des Moments anders aus. Thomas erin­nert sich daran, dass die Musik im Wohnz­im­mer «laut und pumpend» gewe­sen sei, Phil ist später der Mei­n­ung, die Musik sei «soft­er» gewe­sen. Mal soll es zap­pen­duster gewe­sen sein, und draussen hat’s gereg­net. Ob bei Tages­licht oder in der Nacht: Worum es in der nachgestell­ten Szene wirk­lich geht, dies­bezüglich lassen die drei ihr Pub­likum im Dunkeln tap­pen.

Maria stre­icht sich die Lock­en aus dem Gesicht. Thomas ist offen­bar gen­ervt. Er kickt mehrmals gegen den dreibeini­gen Hock­er, mit dem er kurz darauf Phil attack­iert. Phil wird das irgend­wann zu bunt: Er lässt Maria leicht­bek­lei­det und Thomas leicht ver­dutzt sprich­wörtlich im Regen ste­hen.

Die Architek­tur eines Augen­blicks

Die Pro­duk­tion Leg­ends & Rumours ist eine Kopro­duk­tion divers­er The­ater sowie der Förder­plat­tform des Migros-Kul­tur­prozent Prairie. Dieses För­der­mod­ell bietet The­ater­pro­jek­ten bessere Pro­duk­tions­be­din­gun­gen und kurbelt Net­zw­erke an, um eine möglichst starke Ver­bre­itung dieser Pro­jek­te zu gener­ieren. So find­en also Phil Hayes aus Zürich, Maria Jerez aus Mexiko und Thomas Kase­bach­er aus Wien zusam­men. In englis­ch­er Sprache disku­tieren sie zu dritt nicht so sehr über die Umstände ihres Zusam­men­tr­e­f­fens, son­dern viel eher über ihre erin­nerte Wahrnehmung davon.

Das akribis­che Nach­stellen dieses vielle­icht leg­endären Moments braucht etwas Ner­ven. Immer wieder begin­nt das Trio von vorne, weil sich die Geschichte gle­ichzeit­ig zu ihrer Rekon­struk­tion auch dekon­stru­iert. Die Architek­tur eines Moments erweist sich als Geduld­sprobe, auch wenn die Sit­u­a­tion­skomik immer wieder für Auflockerung sorgt. Phil Hayes trock­en­er, ur-typ­isch englis­ch­er Humor ist hier sehr willkom­men.

Neun­zig Minuten Leg­ends & Rumours lassen Räume entste­hen und Leg­en­den ent­mys­ti­fizieren. Diese Geschichte hat in der Wahrnehmung jedes Zuschauers einen eige­nen Rhyth­mus, eine eigene Schärfe. Vielle­icht sind Banal­itäten dazu da, mit Bedeu­tung aufge­laden zu wer­den, oder: Erst im richti­gen Kleid wird eine Geschichte zur Leg­ende.

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Artikel online veröffentlicht: 15. Mai 2013 – aktualisiert am 17. März 2019