«No sense, no purpose, no direction»

Wern­er Her­zog schuf 1984 mit «Wo die grü­nen Ameisen träu­men» einen hoch­poli­tis­chen Film, der lei­der nichts an Aktu­al­ität einge­büsst hat. Der West­en hat auch heute noch keinen Sinn, keinen Zweck und keinen Plan für die Natur. Der Nach­haltigkeit des Filmes gebührt Respekt.

Die The­matik «west­liche Arro­ganz» gegenüber «indi­gen­er Tra­di­tion» ist bei Her­zogs keine neue. Zwei Jahre vor dem Erscheinen von «Wo die grü­nen Ameisen träu­men» drehte er mit Klaus Kin­s­ki «Fitz­car­ral­do» im peru­anis­chen Dschun­gel. Filme über den getriebe­nen Weis­sen in der göt­tlichen Natur prägten Her­zogs Image des gesellschaft­skri­tis­chen Fan­tas­ten.

«Wo die grü­nen Ameisen träu­men» ent­stand nach «Fitz­car­ral­do» und vor der let­zten Zusam­me­nar­beit von Kin­s­ki und Her­zog 1987 in «Cobra Verde». Dieser Film bekam vor­wiegend schlechte Kri­tiken und been­dete die Zusam­me­nar­beit der bei­den. Her­zog arbeit­ete in «Wo die grü­nen Ameisen träu­men» ohne Kin­s­ki. Der Film ist ruhig und beschei­den: Keine grossen Übertrei­bun­gen, kein filmis­ches Dra­ma, keinen Wahnsinn und das ist wirk­lich gut so.

Auf die Geschichte zum Drehbuch stiess Her­zog während des Perth Film Fes­ti­vals 1973 in Aus­tralien, als er über den Gerichts­fall las. Sie lies ihn nicht los. Das Drehbuch dazu stellte er zehn Jahre später in nur drei Tagen fer­tig.

Klopf, klopf…

«No», so lautet meist die Antwort der Abo­rig­ine Milir­it­bi (Wand­juk Mari­ka) und Dayipu (Roy Mari­ka) auf die Ange­bote der Bau­fir­ma Ayers. Ihr Sitzstreik in der aus­tralis­chen Wüste soll den Abbau von Uran ver­hin­dern, denn das Land ist heilig, die grü­nen Ameisen träu­men hier. Wer­den sie geweckt, ist alles Leben zu Ende. So die Leg­ende der Abo­rig­ines. Doch was tun, wenn unweiger­lich der Kap­i­tal­is­mus vor der Tür ste­ht?

Die gle­iche Frage stellen sich wohl auch die 5000 indi­ge­nen Philip­piner­in­nen und Philip­pin­er, die auf­grund ein­er Kupfer­mine von Glen­core Xstra­ta im Jahr 2013 ihrer Umsied­lung ent­ge­gen schauen. Oder die his­panis­che Bevölkerung in Lateinameri­ka, wenn ihr klar wird, dass Nestlé nor­males Leitungswass­er fil­tert und teuer an sie weit­er­verkauft. Die The­matik des Filmes ist somit im grossen Stile aktuell.

Her­zog zeigt Humor

Im Film ist einzig Lance Hack­ett (Bruce Spence), der Geologe von der Bau­fir­ma Ayers, ver­ständ­nisvoll und mimt den Ver­mit­tler. Er hat spätestens dann die Seite gewech­selt, als sein auf­brausender Kol­lege Cole (Ray Bar­ret) sich über den kaput­ten Cater­pil­lar beklagt und dahin­ter die «black bas­tards» ver­mutet, die ihm das Ben­zin daraus wegge­sof­fen haben sollen. «Relax», meint Hack­ett. Der schlak­sige Bruce Spence imponiert durch seine stat­tliche Grösse von zwei Metern. Er spielt nicht nur authen­tisch, er verkör­pert auch das pure Gegen­teil eines Abo­rig­ines.

Die Szenen rund um die Ver­hand­lun­gen und das Gerichtsver­fahren der bei­den Parteien liefern viel sub­tile Komik. Sie nehmen zuweil sog­ar satirische Züge an: Auf dem Weg ins Gericht führen Hack­ett und sein Chef Bald­win Fer­gu­son (Nor­man Kaye) Milir­it­bi und Dayipu in die Stadt aus. Geschenkt wird ihnen eine Uhr, deren lautes Piepsen anfänglich nicht abgestellt wer­den kann. Der Fortschritt funk­tion­iert also nicht ein­wand­frei. Auf dem Weg zum Restau­rant bleiben die vier dann im Lift steck­en, Panik macht sich aber lediglich bei Fer­gu­son bre­it. Auf dem Weg runter wieder­holt sich die Szene. Der Fortschritt funk­tion­iert schon wieder nicht ein­wand­frei und nur der weisse Mann bege­ht den Fehler zweimal.

Im Gericht­saal ste­hen die Abo­rig­ines in Anzü­gen den Richtern mit lock­i­gen Perück­en gegenüber. Ein Abo­rig­ine wird in den Zeu­gen­stand gerufen, doch nie­mand ver­ste­ht ihn. Sein Stamm ist aus­gestor­ben, er kann mit nie­man­dem kom­mu­nizieren. Ein starkes Bild, das Her­zog nutzt, um die ethisch- und moralis­chen Diskus­sio­nen auf einen Punkt zu brin­gen: Die Kul­turen ster­ben aus. Es ist nicht das einzige Mal, dass Her­zog deut­lich wird. Als die Wüste durch den men­schlichen Ein­griff sich allmäh­lich in ein Dorf ver­wan­delt, eröffnet ein Super­markt. Am hin­teren Ende der lan­gen Regale beten jeden Tag Abo­rig­ines, weil dort ein heiliger Baum stand. Auch dass es bei den indi­ge­nen Bewohn­ern Aus­traliens kein Wach­s­tums­denken gibt und somit Kon­flik­te mit der kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft unauswe­ich­lich sind, zeigt Her­zog an einem wiederum poet­is­chen Beispiel: Abo­rig­ines zählen nur von eins bis drei. Alles was gröss­er als drei ist, beze­ich­nen sie ein­fach mit «many».

Viel Fik­tion ist da nicht

Den Prozess haben die Ein­heimis­chen ver­loren. Als Vertrös­tung bekom­men die Abo­rig­ines ein Her­cules Flugzeug geschenkt. Das Flugzeug gle­icht ein­er riesi­gen grü­nen Ameise. Dieses fliegt torkel­nd in den Him­mel, dem Abgrund ent­ge­gen, der grüne Her­cules wird abstürzen. Auch Ben­jamin Franklin, der Hund, der sich am Anfang des Filmes in den Höhlen der Baustelle ver­läuft, kommt nicht mehr zurück. Franklin – das Bild für die wach­s­tums­fetis­chis­tis­che Zivil­i­sa­tion ist Opfer des Sys­tems und hat sich verir­rt. Geologe Hack­ett nutzt der­weil die Gele­gen­heit, um einen Ausstieg zu wagen und zieht der Wüste ent­ge­gen. Der Film begin­nt und schliesst mit grobkörni­gen Szenen eines Wirbel­sturmes. Die allmächtige Natur schlägt zurück, der Wirbel­sturm fegt über Gesellschaft und Moral hin­weg.

Auch für Schweiz­erin­nen und Schweiz­er ist «Wo die grü­nen Ameisen träu­men» inter­es­sant. Die grossen Rohstoff-Fir­men haben unter anderem ihren Sitz in der Schweiz und agieren unbeachtet weit­er. Sie hin­ter­lassen in vie­len Teilen der Welt Leid und Ver­wüs­tung. Her­zog bezieht sich in diesem Film auf einen exis­ten­ten Prozess aus dem Jahr 1971, in der auch damals schon die Schweiz eine Rolle spielte. Die Rohstoffhändler von Nabal­co (ein Zusam­men­schluss aus der schweiz­erischen Alusu­isse und der aus­tralis­chen Indus­triefir­ma CSR) führten damals ein Gerichtsver­fahren gegen die Abo­rig­ines. Bei diesem Fall dabei waren auch die bei­den Schaus­piel­er Wand­juk und Roy Mari­ka, die Her­zog später für den Film engagierte.

Der Vor­wurf kommt immer wieder: Der selb­stver­liebte Her­zog ist kein Kri­tik­er, er ist ein Oppor­tunist, der sog­ar das Leben sein­er Darsteller («Aguirre, der Zorn Gottes») riskiert und Laien zur Schau stellt. Doch Her­zog mis­cht in «Wo die grü­nen Ameisen träu­men» gekon­nt und sen­si­bel Fak­ten und Fik­tion zu einem wun­der­schö­nen, doku­men­tarischen Spielfilm, in dem die Wahrheit bis heute der eigentliche Wahnsinn ist. Die implizierte Kri­tik traf damals schon einen wun­den Punkt. Nun hat sich dreis­sig Jahre später in gewis­sen Branchen nicht viel geän­dert. Und das ist, was den Film aus­macht. Gute Kun­st ist nach­haltig.

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Artikel online veröffentlicht: 23. August 2013 – aktualisiert am 17. März 2019