Eine Collage ohne neue Perspektive

Eine Reise kann Hor­i­zonte erweit­ern. Sie kann zum Abbau von Vorurteilen beitra­gen. Und sie kann Stoff für eine Insze­nierung bieten. Eine Reise als Grund­lage bietet aber keine Garantie für ein span­nen­des oder gar bere­ich­ern­des The­ater­stück.

Vor einem Jahr reis­ten die bei­den Per­formerin­nen Beat­rice Fleis­chlin und Antje Schupp in den Koso­vo, um ihrem Unwis­sen und ihren Vorurteilen gegenüber dem jüng­sten Staat Europas etwas ent­ge­gen­zuset­zen. Gemein­sam mit zwei koso­varischen Kün­stlern ver­ar­beit­eten sie ihre Erleb­nisse zu der col­lagear­ti­gen Per­for­mance «Love.State.Kosovo», in der vier unter­schiedliche Per­spek­tiv­en auf den Koso­vo zusam­men­tr­e­f­fen sollen – ein vielver­sprechen­des Pro­jekt, dessen Poten­zial jedoch lei­der nicht voll aus­geschöpft wurde.

Fehlen­der Leim

Es ist eine Zusam­men­stel­lung von erzählten Erin­nerun­gen, kleinen Chore­o­gra­phien und einzel­nen Per­for­mances. Die Koop­er­a­tion der zwei hiesi­gen The­ater­schaf­fend­en mit den bei­den koso­varischen Kün­stlern set­zt dabei hüb­sche Kon­traste in die Col­lage: Der junge Per­former Astrit Ismaili (Jahrgang 1991) the­ma­tisiert das Ver­wand­lungspo­ten­tial eines jeden Men­schen; nackt wird er zu Stuhl oder Tisch und wün­scht sich die Ver­wand­lung in ein Seep­fer­d­chen. Die Idee berührt, wer­den doch viele koso­varische Migranten durch die öffentliche Mei­n­ung zu Fig­uren gemacht, die sie nicht sein wollen. Der zweite Koso­vare Labinot Rex­hepi gehört zur ersten Gen­er­a­tion zeit­genös­sis­ch­er Chore­o­graphen in seinem Land und zeigt mit Abstand die stärk­ste Büh­nen­präsenz der Gruppe. Aus einem kleinen Volk­stanzele­ment entwick­elt er einen ele­gan­ten Wirbel­sturm, mit dem er sich selb­st über die Bühne jagt, und zeich­net damit ein ganz per­sön­lich­es Bild des Koso­vo. Ismaili und Rex­hepi lassen das Pub­likum erah­nen, was die bei­den Wes­teu­ropäerin­nen meinen, wenn sie schwammig von «dieser starken Energie in Pristi­na…» erzählen.

Doch auch wenn diese Szenen teil­weise anre­gend sind: Es fehlt der Leim in der Col­lage. Die einzel­nen Ele­mente des Stücks wer­den nicht verknüpft oder kon­trastiert, son­dern bleiben lose nebeneinan­der ste­hen. Fol­glich treten die unter­schiedlichen Sichtweisen der vier Darsteller nur sel­ten in einen Dia­log miteinan­der; nur ein einziges Mal wird eine Uneinigkeit über die angemessene Darstel­lung des Kosovos the­ma­tisiert. Doch anstatt diesen Kon­flikt weit­erzuführen, laufen die Schaus­piel­er wild gestikulierend von der Bühne, um sich nach ein­er kurzen Musikun­ter­brechung wohlver­söh­nt der näch­sten Szene zu wid­men.

Allzu bekan­nte Per­spek­tiv­en

Die kon­flik­tscheue Herange­hensweise zeigt sich denn auch in der fehlen­den Ausar­beitung der einzel­nen Col­lageschnipsel. Immer wieder eröff­nen sich Möglichkeit­en für die Weit­er­en­twick­lung von Gedanken, aber fast jede Chance wird ver­passt. In ein­er Szene kor­rigiert sich Fleis­chlin beschämt für ihre For­mulierung „dieses unter­en­twick­elte Land“ und bricht ihr Sprechen ab. Alter­na­tive Möglichkeit­en, ehrlich und direkt über den Koso­vo zu sprechen, wer­den nicht gesucht – oder zumin­d­est nicht gefun­den. So bleibt es bei der Darstel­lung allzu bekan­nter Per­spek­tiv­en: Ein Inner­schweiz­er lässt seinem Hass auf die frem­den Fötzel freien Lauf, der gewis­senhafte Nerd präsen­tiert ergoogeltes Wis­sen und die bei­den Per­formerin­nen karikieren ihre eigene Naiv­ität als symp­to­ma­tisch für Wes­teu­ropäerin­nen („Das ist ja gar nicht so weit weg! Da tut sich ja was!“).

Wed­er provozierend noch kon­struk­tiv

Die Auseinan­der­set­zung mit dem Koso­vo scheint ganz ein­fach zu kom­pliziert, wie Schupp in ein­er aufge­set­zten Rap-Ein­lage erk­lärt: „Wenn Du über die Rolle des Staates im Koso­vo sprechen willst, dann musst Du über Steuern sprechen. Wenn Du über Steuern sprechen willst, musst Du über Geld sprechen. Wenn Du über Geld sprechen willst, musst du darüber sprechen, dass in Koso­vo viele Leute von weniger als einem Euro pro Tag leben…“ Trotz des präsen­tierten Wikipedi­awis­sens sind die Darsteller durch die Kom­plex­ität des The­mas schlichtweg über­fordert. In ein­er der zwar wirk­sam­sten, aber auch sim­pel­sten Szenen wird das überdeut­lich: Die vier Per­former steck­en sich die Flaggen von Koso­vo und anderen Staat­en in den hin­teren Bund ihrer Hosen, um im „Twerk­ing-Style“ mit ihren Hin­tern zu wack­eln und ihre Abscheu gegenüber dem Spiel der inter­na­tionalen Poli­tik zu zeigen. Wenn auch wed­er provozierend noch kon­struk­tiv, so sieht das allerd­ings wenig­stens lustig aus.

Mehr oder min­der verkrampft ziehen sich am Ende alle vier bis auf die Unter­wäsche aus, um gemein­sam mit Nina Simone im Hin­ter­grund ihre Ver­sion von «Feel­ings» zu sin­gen. Da ste­hen sie, reduziert auf das Natio­nenüber­greifende, Men­schen­verbindende: den nack­ten Kör­p­er und die Gefüh­le. Ein schönes Bild. Aber auch ein ziem­lich abge­drosch­enes.

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Artikel online veröffentlicht: 4. September 2013 – aktualisiert am 17. März 2019