Mit Irrwitz dem Unmöglichem trotzen

Kön­nen Sie sich daran erin­nern, wie Sie sich mit fünf Jahren bewegt haben? Oder kön­nen Sie sich einen Weg vorstellen, auf ein­er Bühne, unter den Augen der Zuschauer, unsicht­bar zu wer­den? Ver­suchen Sie es ruhig, verzweifeln Sie jedoch nicht, wenn es Ihnen unmöglich erscheint.

Luis Bia­sot­tos Per­for­mance «África», die eventuell auch etwas mit Afri­ka zu tun hat, ist voll von solchen Unmöglichkeit­en. Fünf Fra­gen – alle­samt zum Wesen der Tanzper­for­mance – hat sich der argen­tinis­che Chore­o­graph und Regis­seur zur Basis genom­men, um sie in ein­er mehrteili­gen Revue zu ergrün­den. Ent­standen ist eine Rei­he von Episo­den, die mit  ihren Zeit­sprün­gen an ein Buch erin­nern sollen, bei dem immer wieder ein paar Kapi­tel über­sprun­gen wer­den. So unter­bricht eine Szene die andere, treten Tänz­er und Darsteller unter Hupen oder tick­enden Tak­tzäh­lern auf und ab und geht fliessend ineinan­der, was keinen ratio­nalen Zusam­men­hang zu haben scheint. Es ist eine erste Antwort, die Luis Bia­sot­to gle­ich seinen aufge­wor­fe­nen Fra­gen mitliefert: Das Geschehen auf der Bühne ist unmöglich zu erk­lären.

Her­rlich skur­ril, irrwitzig amüsant …

Was macht den Abend so schw­er fass­bar? Es ist die Vielfalt der irrwitzi­gen und amüsan­ten Ein­fälle, mit denen Bia­sot­to sich und seine sieben Tänz­er (und Nicht-Tänz­er, aber dazu kom­men wir noch) über die Bühne schickt: Da star­ren er und ein weit­er­er Per­former minuten­lang bewe­gungs­los ins Pub­likum, steigern sich dann syn­chron in eine Gesicht­sakro­batik, die alle Gefühlsre­gun­gen bietet; blub­bern, prusten, zuck­en, krächzen Vokale auf und ab, dass einem die Worte aus­ge­hen und einige Zuschauer vor Lachen und Staunen von den Stühlen zu kip­pen dro­hen. Und wer hier noch unbeein­druckt blieb, wirft seine Zurück­hal­tung sicher­lich bei ein­er weit­eren Szene der bei­den über Bord: Dann näm­lich schmieren sie sich Ton­schlamm ins Gesicht, mod­el­lieren auf ihren Köpfen her­rlich skur­rile Masken und wan­deln unter leisen Pfei­flaut­en wie Muta­tio­nen aus Tier und ausserirdis­chem Besuch über die Bühne.

Ähn­lich unwider­stehlich absurd geht es auch in anderen Szenen zu. Eine Dame in hyp­no­tis­chem Zebras­treifenkostüm tänzelt über die Bühne, bewegt sich in ein­er Mis­chung aus Men­sch und Tier, schnauft, kickt, hüpft und deutet mit ihren Fin­gern am Kopf imag­inäre Hörn­er an. Ihr gegenüber ste­ht ein – ja, es muss gesagt wer­den – äußerst behaarter, nicht ganz schlanker Herr mit nack­tem Oberkör­p­er. Zuerst noch zögernd begin­nt er schliesslich, sich ungeschickt ihren wilden Bewe­gun­gen anzuschließen, lässt auch nach vie­len miss­lun­genen Ver­suchen nicht ab, sie zu imi­tieren und nachzueifern. Doch was hier Lach­er her­auf­beschwört, trägt Bia­sot­tos durchgängig­ste Frage: Wie kann ein unbe­darfter Kör­p­er die Bewe­gun­gen eines geschul­ten übernehmen?

… und doch philosophisch

Es sind auch solche Auftritte schein­bar untrainiert­er Darsteller, die rein gar nicht dem Ide­al des pro­fes­sionellen Tänz­ers entsprechen, son­dern das Ver­hält­nis von Per­formern und Pub­likum hin­ter­fra­gen. Keine stil­isierte Chore­o­gra­phie bewegt sich dort über die Bühne, keine ästhetisch entrück­ten Tänz­er stellen ihr artis­tis­ches Kön­nen zur Schau. Stattdessen wer­den die Darsteller als Men­schen begreif­bar. Beson­ders deut­lich wird das, wenn eine selb­st­beze­ich­nete Nicht-Tänz­erin die Zuschauer dazu ein­lädt, auf ihren nack­ten Kör­p­er zu schreiben und sie als Tafel für all dies zu ver­wen­den, wofür sie sich schä­men und deshalb gerne vergessen wür­den. Dabei wirkt die Ein­ladung trotz der Blöße der Dame keineswegs pro­vokant.

Kurz vor Ende des Abends heisst es zwar, «Das Einzige, an das Du dich erin­nern wirst, wird ein Zebra in Afri­ka sein», doch das ist eine Untertrei­bung und wohl nur dem Titel geschuldet. Denn es präsen­tiert sich ein Werk, das Bia­sot­to im Pro­grammheft nicht umson­st die Beze­ich­nung des «Dada-Philosophen» der argen­tinis­chen Tanz- und The­ater­szene ein­brachte: Vielfältig, aber­witzig, selb­stre­flek­tierend und ein biss­chen unmöglich zu beschreiben – auf diese Weise prägt sich «África» ins Gedächt­nis ein.

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Artikel online veröffentlicht: 4. September 2013 – aktualisiert am 17. März 2019