Der Alltag findet am Bartresen unseres Lebens statt

Dag­mar Schön­le­ber arbeit­et in ein­er Punkrock­kneipe, sie trinkt gern und mag es, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Sie hat einen Fre­und, der nachts von Autos träumt. Mit ihm und seinen zwei Kindern lebt sie in Köln. In einem Jahr hat ihr Alter ihre Schuh­grösse einge­holt, und wäre ihr Kinder­traum in Erfül­lung gegan­gen, würde sie ihre Woh­nung heute mit E.T. und drei Ein­hörn­ern teilen. Nein, Dag­mar Schön­le­ber ist keine enge Bekan­nte. Aber nach guten 90 Minuten mit ihr in einem Raum wün­schte man sich ein biss­chen, sie wäre es.

Das Gute im Schlecht­en

Wahnsin­nig gut sin­gen kann Dag­mar Schön­le­ber nicht – sie tut es trotz­dem. Sie hat auch kein ausseror­dentlich­es Tal­ent fürs Vor­lesen – und tut es trotz­dem. Ihr Büh­ne­nout­fit kön­nte vorteil­hafter sein, oder zumin­d­est durch­dachter. Aber Dag­mar Schön­le­ber lebt ihren Hang zum Depres­siv­en, auch wenn sie uns glauben machen will: In allem ist etwas Gutes zu find­en. Sog­ar im Amok­lauf. Passend und natür­lich angelehnt an ihren Nach­na­men lautet der Titel ihres Pro­gramms: «Schön­er leben».

Und der Abend mit Dag­mar Schön­le­ber beweist: Sie kann beobacht­en, reflek­tieren. Sie kann sub­til witzig sein oder ganz banal, plump jedoch ist sie nie. Sie kann uns anprangern und gle­ichzeit­ig das Gefühl geben, wir seien etwas ganz Beson­deres. Sie ver­ab­scheut den Main­stream, das Pro­gramm im Pri­vat­fernse­hen und Pauschal­touris­mus, hat aber schon über­all mal mit­gemacht. Wird sie dumm angemacht, bleiben ihr die Worte im Hals steck­en. Doch die Has­sti­raden, die sie dann später zu Papi­er bringt, die haben’s in sich. Kurz: Dag­mar Schön­le­ber ist gar nicht so anders, wie viele von uns. Nur nimmt sie es mit ein­er kräfti­gen Por­tion Humor.

Bar­tenderin für einen Abend

Die Kabaret­tistin, Sän­gerin und «Slam­merin» ist eine willkommene Bar­tenderin an diesem Abend. Sie bewirtet uns mit Wort und Witz, und dabei geht es um Beruf und Ver­wirk­lichung, um Freizeit, Erfolg, Alko­hol, Sex­u­al­ität und grosse Gefüh­le. Um das Leben halt.
Die gebür­tige Ost­west­falin trägt Blue­jeans, ein Shirt, eine Weste in Schwarz und rot gefärbtes Haar. Ihr Nasen­ring funkelt mit ihrem bösen Witz um die Wette, und selb­st das zu einem grossen Teil grauhaarige Pub­likum im Saal im Migros Hochhaus am Lim­mat­platz wick­elt sie schnell um den Fin­ger. Ins­beson­dere die erste Rei­he und Sabine, ihr «Lucky Girl des Abends».

Trink­feste Lösun­gen für All­t­agssatiren

«Schön­er leben» ist auch deshalb kurzweilig, weil die Pro­tag­o­nistin zwis­chen Gesang, Kabarett und Lesung chang­iert. Die Melo­di­en Schön­le­bers Lieder sind sim­pel oder geklaut – sie nen­nt das «Melodyshar­ing» –, die Texte aber klug und witzig. So singt sie über Horst und Con­nie, zwei Einzel­gänger aus Köln-Bick­endorf, wo Schön­le­ber sel­ber wohnt. Und über Cast­ing­shows und damit ver­bun­dene Pein­lichkeit­en. Sie präsen­tiert ihren ganzjähri­gen Som­mer­hit. Sie erzählt vom All Inclu­sive-Urlaub mit ein­er Fre­undin auf Rho­dos, wo sie sich der­massen betrinkt, bis sie die Polon­aise anführt – und das, obwohl sie diesen Touris­mus am Anfang noch ver­ab­scheute, genau­so wie die Touristin, deren Kör­pe­rum­fang «auf lebenslanges All Inclu­sive schliessen liess».

Dag­mar Schön­le­ber macht keinen Hehl daraus, dass sie gerne eins über den Durst trinkt. Und als sie von einem besof­fe­nen Kneipen­gast darauf aufmerk­sam gemacht wird, dass ihr «Bindegewebe am Arm nicht sehr fest ist», gibt sie sich gle­ich sel­ber die Kante. Immer wieder lässt sie die schwarze Seite ihrer Seele etwas durch­blick­en, etwa, wenn «das einzige Licht am Ende des Tun­nels der ICE» sei oder wenn sie die Leute, die ihr auf den Weck­er gehen, mit ein­er Uzi nieder­streckt. Aber im sel­ben Atemzug gelingt es ihr, selb­st in solchen Sit­u­a­tio­nen eine Lösung aus dem Ärmel zaubern. Ja, mit Dag­mar Schön­le­ber würde man gerne ein Bier trinken. Oder auch zwei. Denn an All­t­agssatiren find­en sich am Bartre­sen unseres Lebens immer noch die besten.

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Artikel online veröffentlicht: 19. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019