Vom Buch zum E‑Book und zurück

Dem E‑Book gehört die Zukun­ft, so wenig­stens sieht es derzeit aus. Diese Entwick­lung bringt Bewe­gung in den Buch­han­del und löst zugle­ich auch Besorg­nis aus. Erwartet und zum Teil befürchtet wer­den Verän­derun­gen in der Lit­er­atur und Lesekul­tur. Die Debat­te darüber füllt schon Bände, kaum ist sie richtig in Gang gekom­men. Zum Abschluss der Frank­furter Buchmesse ein Überblick zu E‑Books, Online-Verkauf und das Selb­stver­legen von Büch­ern – auch aus der Per­spek­tive Zürcher Buch­hand­lun­gen und Ver­lage.

Wir schreiben das Jahr 2286. Leut­nant Uhu­ra, eine Afrikaner­in, beg­ibt sich auf dem «Raum­schiff Enter­prise» von der Kom­man­do­brücke in ihr Zim­mer. Dort liest sie auf ihrem Bild­schirm ein Buch, ein Buch ohne Deck­el, ohne Seit­en aus Papi­er. Das Ding hat in der Szene keinen Namen. Als der Sci­ence-Fic­tion-Serie ab 1966 gedreht wurde, war diese Form ein­er Abendlek­türe Zukun­ftsmusik: Nie­mand las ein Buch auf einem Bild­schirm. Genau­so, wie sich nie­mand vorstellen kon­nte, dass eine schwarze Frau in einem Kom­man­do­raum je etwas ver­loren haben würde.

Das E‑Book in der Hosen­tasche

13. Okto­ber 2013. Die Buchmesse Frank­furt schliesst ihre Tore. Eine schwarze Frau wohnt und wirkt im Weis­sen Haus. Und das Buch, das Leut­nant Uhu­ra 1966 im Kom­man­do­raum liest, nen­nt man heute mit aller Selb­stver­ständlichkeit E‑Book. An der Buchmesse wurde über E‑Book-Fla­trates disku­tiert, über Social Read­ing und über das Lesegerät der Zukun­ft.

Szenen­wech­sel. Flughafen Zürich: Warten auf den Start. Der Mann im Neben­sitz hat sein Kin­dle-Lesegerät eingeschal­tet. Darauf habe er eine ganze Bib­lio­thek gespe­ichert, erk­lärt der Vater von zwei Kindern: «Früher schleppten wir kof­fer­weise Büch­er in den Stran­durlaub. Heute reicht ein Lesegerät. Es find­et in der Hosen­tasche Platz, es braucht kaum noch Strom, und der Text ist selb­st bei Tages­licht les­bar.» Diese Argu­mente für das dig­i­tale Buch lassen keinen Wider­spruch aufkom­men. «Selb­st Bücher­re­gale wer­den über­flüs­sig, d.h. auch abstauben und…» In diesem Moment erklingt die Durch­sage zum Start: «Wir bit­ten Sie nun die Sitzgurte festzuschnallen und alle elek­tro­n­is­chen Geräte auszuschal­ten.» – Doch machen wir uns nichts vor: Heute sind es Kinderkrankheit­en, die Lesegeräte noch etwas unprak­tisch machen. Das E‑Book befind­et sich auf dem Vor­marsch.

Mit­teleu­ropa 2286. James T. Kirk, Kapitän der «Enter­prise» spricht den berühmten Satz: «Beam me up Scot­ty, there is no intel­li­gent life down here.» – Not any more. Die Men­schheit ist verblödet und völ­lig kindisch gewor­den. Weil nie­mand mehr liest. Alle Büch­er sind in ein­er Wolke («Cloud») ver­schwun­den. Ähn­lich wie das Fernse­hen befördert das Inter­net nur noch Müll auf den Bild­schirm. Weil es die Kon­sumenten das ange­blich immer so haben woll­ten.

Thomas Heil­mann, Geschäft­sleit­er des Rot­punk­tver­lags in Zürich (RPV), rel­a­tiviert: «Noch bei jedem Medi­en­wan­del hiess es, nun werde alles anders. Doch dann pen­delte sich bald wieder ein neues Gle­ichgewicht ein.» So geht man auch nach der Erfind­ung des Radios weit­er in Konz­erte, erhält trotz E‑Mails und weiss der Kuck­kuck welch­er Chat-Foren noch ab und zu eine Ansicht­skarte. (Den Absendern sei an dieser Stelle her­zlich gedankt.)

Das E‑Book im Buch­laden

Kein­er­lei Berührungsäng­ste mit dem E‑Book hat Cor­nelia Schweiz­er. Sie führt die Buch­hand­lung am Hot­tinger­platz in Zürich. Buch­hand­lun­gen ver­schwinden, Buch­laden-Ket­ten wie Orell Füssli und Thalia Schweiz schliessen sich zusam­men. Auf diese Entwick­lung ange­sprochen schmun­zelt Frau Schweiz­er. «Dass Buch­lä­den schliessen, ist doch nicht neu. Dafür gibt es vielfältige Gründe, eine ungelöste Nach­folge oder verän­derte Mietver­hält­nisse, der hohe Schweiz­er Franken oder schlicht untaugliche Geschäfts­führung. E‑Books (dig­i­tale Büch­er) sind sich­er nicht der alleinige Grund. Wenn grosse Händler überdi­men­sion­ierte Laden­flächen abbauen, schafft das sog­ar Brach­land für Neues.» Cor­nelia Schweiz­er war vor gut zehn Jahren die erste in Zürich, die in ihrer Buch­hand­lung dig­i­tale Büch­er anbot. Heute ste­hen auf ihrer Web­site und in ihrem Laden 450’000 E‑Books zur Ver­fü­gung. «Dies ist eine Ergänzung zum tra­di­tionellen Sor­ti­ment. Der Buch­han­del darf sich­er keine abwehrende Hal­tung gegenüber neuen Medi­en ein­nehmen. Man muss früh dabei sind, um das Ange­bot mitzuprä­gen und zu gestal­ten.»

E‑Books sind Büch­er, die ein Leser oder eine Leserin in elek­tro­n­is­ch­er Form für ein Lesegerät erwirbt. Wed­er die Buch­händler noch die Kun­den nehmen je ein gebun­denes Buch in die Hand. In der Schweiz machen laut SBVV (Schweiz­erisch­er Buch­händler- und Ver­legerver­band) dig­i­tale Büch­er derzeit drei Prozent des Umsatzes aus (bei allerd­ings gerin­gerem Preis pro Buch). In den Vere­inigten Staat­en erre­ichte diese Zahl im Juli 2012 bere­its dreis­sig Prozent. Nicht mit E‑Books zu ver­wech­seln sind Büch­er – gedruck­te und dig­i­tale, die online ver­trieben wer­den. Der Online-Verkauf gewin­nt als Ver­trieb­skanal laufend Mark­tan­teile. In den USA stieg dieser von 25 Prozent im Jahr 2010 auf knapp 48 Prozent let­ztes Jahr. Dies ging jedoch ger­ade nicht zu Las­ten der unab­hängi­gen Einzel­buch­händler. Den grössten Ein­bruch haben die grossen Buch­laden­ket­ten erlit­ten. Davon zeugt auch die erwäh­nte Fusion zwis­chen Orell Füssli und Thalia Schweiz.

Cor­nelia Schweiz­er ver­wun­dert das nicht. «Kundin­nen und Kun­den kom­men in den Laden, weil sie sich hier willkom­men fühlen und in Ruhe schmök­ern kön­nen. Hier sind Büch­er vorhan­den, vor­sortiert – daher das Wort Sor­ti­ment.» Als Buch­händ­lerin sucht sie beson­ders gern «Trüf­fel» unter den Büch­ern, das heisst, wenig bekan­nte und besproch­ene Geschicht­en, die sie begeis­tern, die sie fördern und den Lesern ver­mit­teln will. Ihr Mot­to: «Bei uns find­en Sie das Buch, von dem Sie nicht wussten, dass Sie es gesucht haben.» Cor­nelia Schweiz­er will Pfef­fer in der Suppe. Sie will Büch­ern eine Bühne ver­schaf­fen. Damit das gelingt, reicht es nicht, Büch­er zu verkaufen, es reicht vielle­icht nicht mal, eine ernorme Anzahl von Büch­ern und Buchbe­sprechun­gen zu lesen. Viele Buch­händler greifen aktiv in die Lit­er­aturver­mit­tlung ein. Cor­nelia Schweiz­er grün­dete die «Lange Nacht der Büch­er». Daraus wurde vor zwei Jahren «Zürich liest» (das von Kulturkritik.ch inten­siv begleit­et wird). Beteiligt sind heute alle Zürcher Buch­händler und Ver­lage. «Nicht jam­mern, han­deln!» heisst es am Hot­tinger­platz.

Der E‑Book-Autor

Die Qual­ität der Lit­er­aturver­mit­tlung, ob über Buch­händler, über pri­vate Lesekreise oder Lit­er­aturkri­tik in den Medi­en, hängt also bes­timmt nicht von der Erschei­n­ungs­form eines Texts ab. Die Dig­i­tal­isierung bee­in­flusst jedoch umso mehr das andere Ende der Kette; die Buch­pro­duk­tion. Heute brauchen Büch­er grund­sät­zlich nicht mehr gedruckt und ver­legt zu wer­den. Ein Autor oder eine Autorin kann einen Text online hochladen und als E‑Book direkt dem Pub­likum anbi­eten. Dazu gibt es eine ganze Rei­he von Plat­tfor­men. Ama­zon ist nur die bekan­nteste davon. Diese Entwick­lung trifft vor allem die Ver­lage.

Thomas Heil­mann vom Rot­punk­tver­lag zeigt sich skep­tisch gegenüber solchen Büch­ern. «Man ist sich gar nicht bewusst, welche tief greifend­en Ein­griffe das Lek­torat eines Buch­textes oft mit sich bringt. Ein gutes Lek­torat durch den Ver­lag bedeutet für ein Buch einen Qual­itätssprung. Ein Autor, der sein Buch ohne Ver­lag her­aus­bringt, straft sich am Ende selb­st. Seine Texte gehen ja nicht mal durch eine Kor­rek­tur. Ich bin überzeugt, dass Ama­zon und andere Anbi­eter von Plat­tfor­men früher oder später ein Lek­torat aufziehen müssen.»

Ganz anders sieht das Juliane Reich­wein. «Für viele Autoren heisst die Alter­na­tive, selb­st zu pub­lizieren oder ihr Manuskript auf ewig in der Schublade ver­schwinden zu lassen. Wenn sie es auf dem Netz veröf­fentlichen, haben sie wenig­stens eine Chance, Leser zu find­en.» Juliane Reich­wein arbeit­et für die Pub­lika­tion­splat­tform Neo­books. Diese gehört zum Buchver­lag Droe­mer Knaur. Die Beweg­gründe für den Ver­lag, eine solche Plat­tform aufzuziehen, liegen auf der Hand. Neo­books liefert Droe­mer Knaur ein Sondierungssys­tem für neue Schreib­trends. Zudem stösst der Ver­lag über die Erfol­gsquoten der dig­i­tal veröf­fentlichen Büch­er auf neue Tal­ente – ohne in tausenden von einge­sandten Manuskripten in einem aufwändi­gen Lek­toratsver­fahren die Steck­nadel im Heuhaufen suchen zu müssen.

Autoren, die auf Neo­books selb­st pub­lizieren, haben ausser­dem die Möglichkeit an einem Wet­tbe­werb teilzunehmen. Die zehn auf dem Netz am besten bew­erteten E‑Books wer­den von einem Lek­torat geprüft und je nach Eig­nung ins Ver­lagspro­gramm von Droe­mer Knaur aufgenom­men, zum Teil sog­ar als gedruck­tes Taschen­buch. Diese Texte durch­laufen ein Lek­torat wie alle anderen Ver­lagsti­tel auch. Beispiele für erfol­gre­iche Neo­books Autorin­nen, die es ins Knaur Taschen­buch geschafft haben, sind Bir­git Böck­li und Susan­na Ernst.

Auf das fehlende Lek­torat ange­sprochen, weist Juliane Reich­wein noch auf etwas anderes hin. Bei einem Buch, das Beach­tung find­et, gibt es auf dem Netz eine Debat­te. Autoren, deren Leseproben grosse Schwächen aufweisen, wer­den von anderen Benutzern oft gewarnt. So haben sie die Möglichkeit, ihr Buch zu über­ar­beit­en, bevor sie es im Han­del vertreiben. Die Erfahrung zeigt, dass die bei Neo­books erfol­gre­ichen Texte meist sorgfältig bear­beit­et sind. Die Autoren küm­mern sich sog­ar teil­weise selb­st um die Kor­rek­tur.

Finanziell spricht für einen Autoren nichts gegen die Selb­stveröf­fentlichung. Die Anbi­eter von online pub­lizierten Büch­ern bes­tim­men den Preis dafür selb­st. Da bei unbekan­nten Autoren die Zahlungs­bere­itschaft geringer ist, hat sich der durch­schnit­tliche Verkauf­spreis bei Neo­books zwis­chen 2.60 und 3.00 Euro eingepen­delt. Davon erhält die Autorin oder der Autor bei Neo­books siebzig Prozent. Prak­tisch gle­ich sieht es bei Ama­zon aus.

«Wer die gigan­tis­che Arbeit auf sich nimmt, einen lit­er­arischen Text zu schreiben, dem kann es nicht ums Geld gehen», ent­geg­net Thomas Heil­mann. «Jemand, der schreibt, will ein Feed­back. Er oder sie sucht die Bestä­ti­gung durch einen erfahre­nen Lek­tor, die Auseinan­der­set­zung um den Text, in einem Wort: das Erleb­nis. Ein Autor will zu einem bes­timmten Kreis gehören. Das Ja eines Lek­tors ist für ihn die halbe Miete.» Ein guter Ver­lag sei für Schreibende so etwas wie eine erste Ausze­ich­nung. Das eigene Buch in Hän­den, das ist offen­bar immer noch der grösste Wun­sch aller Neuau­toren. Beim Neo­books-Wet­tbe­werb winkt als Preis nichts Anderes: Der dig­i­taler Text der Gewin­ner wird am Ende doch gedruckt.

Das E‑Book der Zukun­ft

Den­noch ist bei jün­geren Schreiben­den eine Ver­schiebung hin zu anderen Werten denkbar. Bei neuen Autoren von Ama­zon sind fünf der zehn meistverkauften Büch­er als Selb­stveröf­fentlichung erschienen (von den ersten hun­dert sind es 52). Offen bleibt dabei nur die Frage, welche Qual­ität diese Erfol­gs­büch­er aufweisen. Die bei­den genan­nten Neo­book Autorin­nen haben Büch­er mit einem über­raschen­den Hand­lungsablauf und vor allem einem grossem Unter­hal­tungswert geschrieben. Klar. Wie son­st begeis­tert sich das Net­zpub­likum für einen Text? Eher schw­er haben es bei Neo­books und Ama­zon hinge­gen Lyrik oder Kurzgeschicht­en im Stil ein­er Her­ta Müller. Die Trüf­fel der Lit­er­atur, nach Cor­nelia Schweiz­er, wer­den vom Netz eher nicht zu Tage gefördert.

Die E‑Book-Plat­tfor­men verknüpfen Autoren direkt mit dem Leser, ohne dass sich ein Ver­lagslek­tor dazwis­chen stellt, ein Lek­tor, der sich ja auch täuschen kann. So gese­hen demokratisiert das E‑Book den Buch­markt. Nur dass Demokratie und Kun­st in einem neu­ro­tis­chen Ver­hält­nis zueinan­der ste­hen. In der Regel bilden sie sog­ar ein Gegen­satz­paar. Es ist eine alte Weisheit: Der Mas­sen­geschmack trifft sich auf dem kle­in­sten gemein­samen Nen­ner. Dieser ist genau das Gegen­teil von Kun­st. Die Werke von – zum Beispiel – Mar­cel Proust oder Franz Kaf­ka wären vom freien Buch­markt allein kaum je ans Licht der Öffentlichkeit getra­gen wor­den.

Das Beson­dere und das Neue ein­er Epoche ist stets auf einzelne Ken­ner angewiesen, auf Träumer, ja sog­ar auf Fanatik­er. Ob auf Papi­er oder Bild­schirm, die Qual­ität der Lit­er­atur hängt von Men­schen ab wie dem muti­gen Ver­leger, dem exzen­trischen Geldge­ber, dem wachen Kri­tik­er. Am Ende der Kette ste­ht der neugierige Leser, der sich auf das Ungewöhn­liche ein­lässt. Es ist in kein­er Weise vorausse­hbar, ob es diesen Leser oder diese Leserin für alle Zukun­ft, bis ins Jahr 2286, noch geben wird. Dazu müsste man ja wis­sen, was Leut­nant Uhu­ra auf ihrem Bild­schirm liest…

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Artikel online veröffentlicht: 13. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019