Duft aus Blütenkelchen

Tom Bola. Eine Ausstel­lung von ver­schiede­nen Kün­stlern unter dem Leit­wort «Früh­ling». Drei Rau­min­stal­la­tio­nen und Plas­tiken, vier Bilder und natür­lich eine Videoin­stal­la­tion (als würde vor jed­er Ausstel­lung gefragt: Und wer macht den Video?). Die Ausstel­len­den sind fast alle jung, ihre Werke auf kün­st­lerisch hohem Niveau.

Es grünt und keimt

Am meis­ten stechen die knall­grü­nen Plas­tikin­stal­la­tio­nen ins Auge, die wie Früh­lingspflanzen aus dem grauen Boden drin­gen (Toni Parpan + Manuel Kämpfer). Früh­ling ver­spricht auch der Hase an der Wand (Misha Andris). Wäre er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts gemalt wor­den, hätte man ihn flugs Picas­so zugeschrieben. Anderes ord­net sich weniger offen­sichtlich dem Leit­mo­tiv unter. Ein Fell vom sel­ben Kün­stler, das arg fleis­sig aus hellen Son­nen­blu­menker­nen gefügt ist, legt die Idee des Keimens nahe, ähn­lich die Col­lage dahin­ter an der Wand (Nicole Michel). Kle­in­ste Papier­streifen explodieren still, in fre­undlichen Sandtö­nen.

Poli­tis­ch­er Früh­ling

Ohne alle Werke voll­ständig aufzählen zu wollen, fällt der Blick auch auf den ara­bis­chen Früh­ling. Eine Demo ist aus kle­in­sten Papier­fig­uren auf eine Sty­ro­por­plat­te geheftet. Es ist die Welt­de­mo, Araber, junge Türken, verzweifelte Russen, Glob­al­isierungs­geg­n­er, wackere Antifaschis­ten, alle hal­ten ihre Trans­par­ente in die Luft. Die Kun­st ist ein­deutig poli­tis­ch­er gewor­den in den let­zten Jahren. Das ist unauswe­ich­lich, angesichts der täglichen Real­satire draussen. So führt eine witzige, in Früh­lings­grün gehal­tene Foto­col­lage den fem­i­nis­tis­chen Mach­tanspruch vor (Muda Math­is + Sus Zwick). Der Video macht mit ein­er Boots­fahrt auf dem Mit­telmeer die Stim­mung in einem Flüchtlingskut­ter nachvol­lziehbar. Hier ste­ht vielle­icht der Früh­ling sym­bol­haft für die Hoff­nung auf das gelobte Land Europa.

Eine beein­druck­ende Ausstel­lung, gut gemacht. Indes, hat man solche Ausstel­lun­gen nicht schon manch­mal gese­hen, auch in den Nuller­jahren, in den 90ern, in den 80ern? Irgend­wie kommt für einen Moment Rat­losigkeit auf und damit sog­ar Unwille. Der Griff zum Ret­tungsring: Ein Blick auf die äusseren Bedin­gun­gen von Tom Bola am Kirch­weg 8. Das Büro­ge­bäude im Zürcher Seefeld wurde in einen Vil­len­park gepflanzt, als grober Riegel zu einem anderen Park, ein städte­baulich­es Ver­brechen, dem wie immer kein Straf­prozess fol­gte. Der Immo­bilien­speku­lant, der daraus grotesk teure Woh­nun­gen machen will, hat es zur Zwis­chen­nutzung freigeben, meis­tens doch auch wieder für Büros, dazu einige Kün­stler. Imagepflege, kein Lärm, wenig Auf­se­hen. «Früh­ling» ist die let­zte Ausstel­lung im ehe­ma­li­gen Archiv des Büro­ge­bäudes. Dann wird hier umge­baut.

Ein Angst­trieb

Vor diesem Hin­ter­grund gewin­nen die Kunst­werke Ein­dringlichkeit. Diese Wirkung wird noch dadurch ver­stärkt, dass die Ausstel­len­den unter einen grösseren Gruppe von Kün­stlern aus­gelost wur­den. Jet­zt blüht zum let­zten Mal kün­st­lerisches Schaf­fen auf im Raum, fast willkür­lich und wild. Die Ausstel­lung wird so zu ein­er Bestandesauf­nahme vor dem Ende. Sie tastet den Zus­tand der Ausstel­len­den und ihrer Arbeit ab, ein­er Arbeit, die vor dem tödlichen Frost nochmals einen Angst­trieb zeugt, so wie die Natur mit den Herb­stzeit­losen, die doch nur kurz blühen. In diesem engen Zeit­fen­ster müssen und wollen sich die Kün­stler noch ein­mal ihrer selb­st bewusst wer­den. Das wird beson­ders augen­fäl­lig bei Nils Amadeus Lange. Er will eine Sie sein. Ihr Kunst­werk ist nicht allein die Popart-Instal­la­tion an der Wand, son­dern vor allem sie selb­st, auf hochhack­i­gen Plex­i­glass­chuhen und mit knutschroten Lip­pen. Wer hätte angesichts dessen gedacht, dass sog­ar das Leit­mo­tiv «Früh­ling» mit ein­er Tombo­la bes­timmt wurde. Früh­ling ist’s, der Sper­ling pfeift, …

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Artikel online veröffentlicht: 22. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019