Kilian Ziegler und Hazel Brugger und ihre verflixte Kür

Die ver­fluchte Lesung im Casinothe­ater Win­terthur ist nichts für Leute mit sen­si­blen Ohren. Kon­nte man sich aber damit anfre­un­den, dass es einen Abend lang Belei­di­gun­gen in ras­an­ter Folge von der Bühne hageln würde, wurde man belohnt. Belohnt mit etwas mehr als 60 Minuten unter­halt­samen Fluchens, lustvollen Gezeters und viel Wis­sen zum The­ma «Feucht­es und Schmutziges in der Sprache».

Die Slam-Poet­en Hazel Brug­ger und Kil­ian Ziegler betreten schweigend die Bühne, lassen ihren ern­sten Blick über das Pub­likum schweifen. Die Ver­anstal­tung ist gut besucht, ein erstes, noch ver­haltenes Kich­ern ist zu hören, das schnell in lautes Lachen überge­ht, als die bei­den endlich anfan­gen. Gelacht wird, weil die bei­den zwar wie verklemmte Teenag­er auf der Bühne ste­hen, sich aber nach allen Regeln der Kun­st genussvoll beschimpfen. Das klingt etwa so:

«Kil­ian, du bist es, der dem kleinen Maulwurf auf den Kopf gekackt hat.»
«Und du bist ein klein­er Maulwurf…»
«Wenn ich dich anschaue, dann fühl ich mich wie ein part­ner­los­es Reh: Ich hab keinen Bock!»
«Kil­ian, deine Eier sind so weich, die haben früher mal als Ver­pack­ungs­ma­te­r­i­al bei Ikea gear­beit­et.»
«Deine Brüste sind so flach, sie arbeit­en als Jokes bei Giacobbo/Müller.»

Das geht eine ganze Weile so weit­er, soll aber an dieser Stelle nicht aus­ge­führt wer­den. Wirk­lich lehrre­ich wird es näm­lich erst dann, als Sprach­wis­senschaftler Hans-Mar­tin Gauger die Bühne betritt.

Exkre­mentelles und Sex­uelles

Da ist er also, dieser ältere, nicht allzu grosse Herr, der mit seinen wachen blauen Augen über das Red­ner­pult schielt, das Pub­likum mustert und dabei von sein­er Fasz­i­na­tion zum The­ma Fluchen spricht. Er doziert nicht zum ersten Mal, Hans-Mar­tin Gauger ist emer­i­tiert­er Ordi­nar­ius für Roman­is­che Sprach­wis­senschaft an der Uni­ver­sität Freiburg und pas­sion­iert­er Fluchforsch­er.

Er hat fest­gestellt, dass das Deutsche einen Son­der­weg bege­ht, wenn es ums Fluchen geht: «Wenn wir Deutschen belei­di­gen, fluchen und über­haupt vul­gär wer­den, ver­wen­den wir nor­maler­weise Aus­drücke, die sich auf Exkre­mentelles beziehen, während unsere Nach­bar­sprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sex­uelle gehen». Ganz sach­lich illus­tri­ert er das mit einem Beispiel aus dem Hol­ländis­chen, das für den Aus­druck «sich beschissen fühlen» den Aus­druck «sich hodig / mösig fühlen» ken­nt. Immer­hin, das Hol­ländis­che wahrt die Gen­derko­r­rek­theit.

«Fluchen Sie bewusster?»

Nach dieser ersten Vor­lesung wird Hans-Mar­tin Gauger auf der Bühne von Kil­ian Ziegler inter­viewt, der den Wis­senschaftler ganz all­ge­mein zur Moti­va­tion und zum Forschungsin­ter­esse befragt, aber auch, ob dieser nun bewusster fluche. Hans-Mar­tin Gauger denkt einen Augen­blick nach, wählt seine Worte mit Bedacht und verneint dann. Allerd­ings, so fügt er an, höre er heute viel gelassen­er zu.

Mon­tags­maler mal unanständig

Nach der kurzen, aber auf­schlussre­ichen Inter­viewse­quenz darf Hazel Brug­ger zurück ans Mikro­fon und stellt sichtlich amüsiert ihr Lieblingscom­put­er­pro­gramm vor, das Paint. Wir spie­len Mon­tags­maler, schliesslich ist «Inter­ak­tiv­ität» das Zauber­wort schlechthin – ganz beson­ders beim Fluchen. Sie hat auch den «Sack der Schande» mit­ge­bracht, in dem sich kleine Geschenke für die erfol­gre­ichen Teil­nehmer find­en. Der «Sack der Schande» übri­gens ist eine Plas­tik­tüte vom Dis­counter mit dem schrä­gen roten i in der Mitte des gel­ben Kreis­es auf blauem Grund

Das Pub­likum spielt begeis­tert mit, denn wann darf man frem­den Men­schen schon mal unge­niert und unges­traft Dinge wie «Schof­seck­el», «Arschgi­ige» oder «Hack­fresse» an den Kopf wer­fen? Das Pub­likum ist begeis­tert und ver­mag selb­st das let­zte Bild des Fuss­ballers mit dem Hack­fleisch auf dem Gesicht zu errat­en. Und zwar schnell.

Ein weit­er­er wis­senschaftlich­er Ein­schub von Hans-Mar­tin Gauger löst die Schweinereien noch ein­mal ab, bevor Hazel Brug­ger und Kil­ian Ziegler zum ful­mi­nan­ten «Rap» zum Schluss anset­zen und das trä­nen­lachende Pub­likum mit Aus­drück­en wie «Gag­gia­rschlochfick­en­scheis­se­bum­sen… Bügelschwen­gelfotze­fratze… Gopfer­deck­el­gopfer­dam­mi… Nazivogle­popostein­er­schüel­er­pho­to­shop­per…» in den Abend ent­lassen.

«Das Feuchte & das Schmutzige, kleine Lin­guis­tik der vul­gären Sprache» von Hans-Mar­tin Gauger ist erschienen im Ver­lag C.H. Beck.

 

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Artikel online veröffentlicht: 28. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019