Das dritte Gefühl — zu einem Roman von Max Brod

frau-nach-man-sich-sehnt-brod„…nur dieses  eine mal … durch­bebte mich mit voller unver­mis­chter Kraft vom Schei­t­el bis zur Sohle jenes „dritte Gefühl“, das ter­tium mys­ticum, das ich mir immer als Wesen der wahren Liebe erträumt hat­te.“

Von Fran­cois Lilien­feld - Diese Zeilen stam­men von Max Brod (1884–1968). Sie ste­hen in seinem 1927 erschiene­nen Roman Die Frau nach der man sich sehnt. Nun ken­nt man Brod vor allem als Fre­und und Nach­laßver­wal­ter Kafkas, als den Mann, der Kafkas Manuskripte, ent­ge­gen seinen Wün­schen, nicht ver­bran­nte, son­dern veröf­fentlichte.  Doch Brods Aktiv­itäten waren viel­seit­iger: Er gehörte zu dem leg­endären Kreis deutschsprachiger Prager Intellek­tueller der Jahre vor und nach dem 1. Weltkrieg, hat­te aber auch Kon­tak­te zu tschechis­chen Kün­stlern und arbeit­ete für den neuge­grün­de­ten tsche­choslowakischen Staat; nach dessen Ver­nich­tung durch die Nazis emi­gri­erte Brod nach Palästi­na. Über all dies berichtet seine beein­druck­ende Auto­bi­ogra­phie „Stre­it­bares Leben“.

Weit­ge­hend vergessen jedoch ist seine Tätigkeit als Romanci­er. Dabei erlebte er zu Lebzeit­en Riesen­er­folge als Schrift­steller. Umso ver­di­en­stvoller ist die durch den Wall­stein Ver­lag in Göt­tin­gen pub­lizierte Aus­gabe von Brods aus­gewählten Werken. „Die Frau nach der man sich sehnt“ erschien im Okto­ber als 4. Band.

Das Buch wurde kurz nach seinem Erscheinen ver­filmt, mit Mar­lene Diet­rich in der Haup­trol­le. Es war ihr let­zter Stumm­film und die Geburt ihres Ruhmes als femme fatale. Genau um so eine Frau geht es in diesem Roman. Sie heißt Stascha und erobert sich Erwin Mayred­er, den Ich-Erzäh­ler, auf zumin­d­est unkon­ven­tionelle Art. Auf der Flucht vor Dr Karkos, der sie liebt und unter­drückt, ver­bringt sie mit Mayred­er eine fast sor­glose Zeit in Nordi­tal­ien. Doch hat sie sich von ihrem Ver­fol­ger wirk­lich gelöst? Liebt sie Mayred­er aufrichtig? Er jeden­falls ist ihr gän­zlich ver­fall­en und sucht bei ihr „die große gesuchte Liebe – ein Drittes, das nicht Lust und nicht Ver­nun­ft heißt – eine heilige Ergrif­f­en­heit durch das Wesen der Frau. Ter­tium  mys­ticum.“ Ist so eine Liebe möglich? Lohnt sich jedes Opfer, um sie zu erleben, und sei es nur einige Augen­blicke lang?

Diese Fra­gen stellt sich Mayred­er im Rah­men eines Erleb­nis­bericht­es, der wed­er an Aben­teuern noch an delikater Erotik arm ist. Das Buch bleibt, bei aller philosophis­chen Tiefe, ein span­nend geschrieben­er Roman aus der Fed­er eines Autoren, der sowohl sprach­lich wie erzäh­lerisch über außergewöhn­liche Tal­ente ver­fügt.

Die Aus­gabe, deren Schutzum­schlag mit einem gelun­genen Bild Mar­lene Diet­richs geschmückt ist, entspricht den hohen Sorgfalt­sansprüchen, an die uns der Wall­stein Ver­lag gewöh­nt hat. Sie enthält ein Vor­wort von Franz Hes­sel und ein Nach­wort von Hans-Gerd Koch, bei­de sehr lesenswert. Auch eine edi­torische Notiz und eine Kurzbi­ogra­phie des Autors fehlen nicht.

 

Max Brod: Die Frau nach der man sich sehnt.
Roman. 325 Seit­en. Wall­stein Ver­lag Göt­tin­gen 2013

Artikel online veröffentlicht: 5. November 2013 – aktualisiert am 17. März 2019