Denkfest: Kultur-Kommunikation im Internet-Zeitalter

Druck(Presse­Box, Mannheim, 19.06.2013) - Rund 300 Kul­turschaf­fende und Kul­tur­in­ter­essierte aus Kom­munen, Wirtschaft, Medi­en und Wis­senschaft trafen sicham 18. und 19. Juni in Worms zum Denk­fest 2013. Inhaltliche Schw­er­punk­te der Ver­anstal­tung, die nach 2011 (Schwet­zin­gen) und 2012 (Hei­del­berg) erst­mals an zwei Tagen stat­tfand, bilde­ten die The­men “Kul­tur­jour­nal­is­mus” und “Kul­tur­mar­ket­ing”. Ins Tagungszen­trum “Das Wormser” ein­ge­laden hat­te das Kul­tur­büro der Metropol­re­gion Rhein-Neckar GmbH gemein­sam mit dem Net­zw­erk Fes­ti­val­re­gion Rhein-Neckar.Im Fokus des ersten Tages standen die Erfol­gs­fak­toren ein­er zeit­gemäßen Kul­tur-Kom­mu­nika­tion. Auf Podi­en und in Gespräch­srun­den disku­tierten Jour­nal­is­ten und Experten aus dem Kul­turbe­trieb die Rolle von klas­sis­chen und neuen Medi­en — sowohl im Aus­tausch mit der Öffentlichkeit als auch in der kul­turellen Berichter­stat­tung. Am zweit­en Tag fol­gten vier Diskus­sions-Plat­tfor­men zu ver­schiede­nen Themen.“Das Denk­fest ist bestens geeignet, um sich mit aktuellen The­men auseinan­derzuset­zen und neue Kul­tur-Allianzen in der Region zu schmieden”, bilanziert Thomas Kraus, Leit­er des Kul­tur­büros.

Gorny: “Con­tent is King”
Einen ersten Impuls zum The­ma gab Medi­en­man­ag­er Prof. Dieter Gorny, Direk­tor des Euro­pean Cen­ter for Cre­ative Econ­o­my (ecce). Das Inter­net­zeital­ter beze­ich­nete Gorny als dritte Medi­en­rev­o­lu­tion nach Erfind­ung des Buch­drucks und Ein­führung lin­ear­er Massen­me­di­en wie Fernse­hen und Radio. Die Möglichkeit­en, die das Inter­net eröffne und die Geschwindigkeit der Entwick­lung seien immens: “Die Gesellschaft kann da kaum Schritt hal­ten”, so Gorny. Das magis­che Dreieck “Gesellschaft-Kul­tur-Tech­nolo­gie” sei dabei in gefährliche Schieflage ger­at­en. “Es wird zumeist über Tech­nolo­gien, kaum aber über Inhalte und Reg­u­lar­ien der Nutzung gesprochen”, so Gorny. Bei dieser Diskus­sion müsse man sich allerd­ings stets vor Augen hal­ten, dass die neuen Medi­en lediglich den Rah­men bilde­ten. “Tech­nolo­gie alleine macht noch nicht kreativ”, so Gorny. Auss­chlaggebend seien nach wie vor die Inhalte und das Ver­hal­ten der Nutzer im gesellschaftlichen Gesamtkon­text. “Das Netz kann alles”, so Gorny. Infor­ma­tio­nen seien in Echtzeit ver­füg­bar und auch das klas­sis­che Rol­len­ver­ständ­nis von Sender und Empfänger sei auf den Kopf gestellt: “Der Nutzer hat den Faden in der Hand, indem er über Inhalte bes­timmt.” Medi­en­nutzung aber auch Geschäftsmod­elle müssten daher neu gedacht und gel­ernt wer­den. “Dieser Prozess kann nicht aufge­hal­ten wer­den. Er muss jedoch so gestal­tet wer­den, dass gesellschaftliche, kul­turelle und wirtschaftliche Werte erhal­ten bleiben”, so Gorny.

Soziale Medi­en fes­ter Bestandteil im Kul­tur­mar­ket­ing
Wie sehr die neuen Medi­en den All­t­ag von Kul­turschaf­fend­en bere­its prä­gen, zeigten die anschließen­den Podi­ums­diskus­sio­nen und Denkanstöße. “Wir befind­en uns in einem Wan­del, im Zuge dessen klas­sis­che Mar­ketin­gin­stru­mente an Wichtigkeit ver­lieren und ihre Vorherrschaft ein­büßen wer­den”, sagte Tan­ja Leuthe von der Inter­na­tionalen Jugend­bib­lio­thek München. Deshalb gelte es, eine sin­nvolle Mis­chung aus Offline und Online im Mar­ket­ing zu find­en. Auch für Kul­turber­ater und Blog­ger Chris­t­ian Hen­ner-Fehr sind die Aktiv­itäten im Netz mehr Ergänzung denn Ersatz. Sein­er Mei­n­ung nach müsse sich kün­ftig das Mar­ket­ing-Ver­ständ­nis grundle­gend ändern. Derzeit wür­den viele Kul­turein­rich­tun­gen ihre Ziel­grup­pen mit Infor­ma­tio­nen, Hin­weisen oder Wer­bung über­häufen. “In Zeit­en der Infor­ma­tions­flut müssen Inhalte jedoch so auf­bere­it­et und ver­bre­it­et wer­den, dass der Leser sie bei sein­er geziel­ten Suche leicht findet.“Soziale Medi­en seien Her­aus­forderung und Bere­icherung zugle­ich, denn “sie erlauben uns die Inter­ak­tion mit unseren Zuschauern auf Augen­höhe”, so Johannes Lacher­meier, Ver­ant­wortlich­er für Online-Kom­mu­nika­tion an der Bay­erischen Staat­sop­er München. Die Möglichkeit des direk­ten Feed­backs in den sozialen Medi­en sei ein echter Gewinn, so Daniela Bam­berg­er, Con­tent Man­agerin am Städel Muse­um Frank­furt. Denn man erfahre unmit­tel­bar und unge­filtert, “ob die Botschaft angekom­men ist und richtig ver­standen wurde”. Zudem kön­nten auf dem virtuellen Weg sehr viel mehr Men­schen erre­icht und für Kul­tur begeis­tert wer­den, unab­hängig von einem Besuch des eige­nen Haus­es. Es sei es enorm wichtig, die Nutzer sowie deren Infor­ma­tions­bedürfnisse und Ver­hal­tens­muster genau zu ken­nen. Beobacht­en, zuhören, mit guten Inhal­ten auf die Wün­sche der Nutzer einge­hen und zeit­na­h­es Feed­back seien Erfol­gs­fak­toren im Social Web.Jedes Medi­um besitze seine eige­nen Spez­i­fi­ka und damit seien auch die Ziele unter­schiedlich, so Lacher­meier. “Die Kom­mu­nika­tion in den sozialen Medi­en ist weniger auf Ver­trieb aus­gerichtet als vielmehr auf den Aus­tausch mit den Zuschauern und die Image­bil­dung.” Derzeit ste­he man erst am Beginn ein­er Entwick­lung, so Hen­ner-Fehr. Für eine offene und authen­tis­che Kom­mu­nika­tion auf Augen­höhe fehle in vie­len Ein­rich­tun­gen noch die Unternehmen­skul­tur. Den­noch sollte man sich davon nicht abschreck­en lassen: “Social Media kann auch das oder eines von mehreren aus­lösenden Momenten sein.”

Kul­tur­jour­nal­is­mus — die Zukun­ft liegt im Netz
Dass das Inter­net in den kom­menden Jahren nicht nur die Kom­mu­nika­tion der Kul­turein­rich­tun­gen verän­dern wird, son­dern auch die kul­turelle Berichter­stat­tung, davon zeigte sich die Mit­grün­derin des The­ater­por­tals nachtkritik.de, Esther Slevogt, überzeugt. Bere­its heute erre­iche nachtkritik.de deut­lich mehr Men­schen als alle The­ater­fachzeitschriften zusam­men. “Anspruchsvoller Kul­tur­jour­nal­is­mus verzieht sich weit­er ins Netz”, so ihre Prog­nose. Der Trend gehe hin zu hochspezial­isierten The­men­por­tal­en, aus denen sich der Nutzer seine rel­e­van­ten Infor­ma­tio­nen indi­vidu­ell zusam­men­stellt. Vor­erst nicht auf Print verzicht­en will hinge­gen Lukas Vogel­sang, Grün­der und Leit­er des Schweiz­er Kul­tur­magazins “ensuite”. “Die Leser und Leserin­nen von ensuite abon­nieren unsere Zeitschrift und nicht den Online-Dienst”, so Vogel­sang. “Solange wir uns gemein­sam mit der Kul­tur bewe­gen und nie ste­hen­bleiben, bleiben wir erhal­ten und notwendig.” Den­noch sei derzeit kaum vorherse­hbar, wohin die Reise gehe. Große Hoff­nun­gen ver­band Ste­fan Det­tlinger, Ressortleit­er Kul­tur der Tageszeitung Mannheimer Mor­gen, mit dem For­mat E‑Paper. Durch Inter­ak­tion­s­möglichkeit­en wie Bilder­streck­en oder Videos könne die dig­i­tale Aus­gabe der Tageszeitung Mehrw­erte für den Leser schaf­fen. Derzeit sei allerd­ings kaum abse­hbar, “ob Men­schen Geld für ein Pro­dukt bezahlen, das ihnen materiell nicht vor­liegt”. Kri­tisch wertete er die Entwick­lung hin zu hochspezial­isierten The­men­por­tal­en. 400.000 Leser täglich seien Indiz dafür, dass nach wie vor Inter­esse an einem bre­it­en “gesellschaftlichen Tageswis­sen” beste­he. “Als zweit­en Ausspielungsweg mit sehr viel Hör­ern” beze­ich­nete Thomas Koch, Leit­er der SWR2-Kul­turredak­tion Rhein­land-Pfalz, derzeit das Inter­net. Die Zeit­en, in denen Radio alleine existieren könne, seien vor­bei. “Kün­ftig wer­den im Netz ver­schiedene Inhalte gebün­delt”, so seine Prog­nose. Als Kom­plet­tange­bot bringe das Inter­net Geschriebenes, Bilder, Audios und Videos auf ein­er Plat­tform zusam­men. Für die öffentlich-rechtlichen Rund­funkanstal­ten gin­gen damit auch große Her­aus­forderun­gen ein­her. Dies habe nicht zulet­zt der Recht­stre­it um die Tagess­chau-App gezeigt.

Plat­tfor­men zu Social Media und regionalen The­men
Am zweit­en Denk­fest-Tag stand eine Gespräch­splat­tform zum The­ma “Der Social Media-Durch­lauf” auf dem Pro­gramm. Kul­turber­ater Chris­t­ian Hen­ner-Fehr (Betreiber Das Kul­tur­man­age­ment Blog und Mit­be­grün­der stART­con­fer­ence) gab dabei wertvolle Tipps, wie The­ater, Museen und son­stige Ver­anstal­tung­shäuser im Social Web neues Pub­likum für sich begeis­tern kön­nen. Par­al­lel dazu trafen sich Kul­tur-Akteure aus der Rhein-Neckar-Region, um Möglichkeit­en der Zusam­me­nar­beit auszu­loten. So wollen die Leit­er von zwölf Museen und Schlössern kün­ftig nach dem Vor­bild der regionalen Top-Fes­ti­vals zusam­me­nar­beit­en, um die Wahrnehmung der Kul­tur­re­gion Rhein-Neckar gemein­sam zu stärken (siehe geson­derte Presse-Infor­ma­tion). In weit­eren Grup­pen wur­den mögliche Inhalte und Finanzierungs­for­men für ein neues regionales Kul­tur­magazin sowie Konzepte für ein Pro­duk­tion­shaus der freien Szene disku­tiert.

Artikel online veröffentlicht: 20. Juni 2013 – aktualisiert am 17. März 2019