Die Kunst gesittet Pfui zu sagen

Dem umständlichen Titel «Much ado about… Kri­tik, Eval­u­a­tion und Inno­va­tion in kün­st­lerischen und forschen­den Feldern» zum Trotz, ging es nach knack­i­gen, Zitatbe­spick­ten* und den Ein­führungsworten von Isabelle Von­lan­then (Lit­er­aturhaus) und Corin­na Caduff (ZHdK),ohne Umschweife zur Sache.  Den Auf­takt bilde­ten drei sehr unter­schiedliche Impulsvorträge.

Sich dem Kon­troll­wahn zur Wehr set­zten

Die Schrift­stel­lerin Ruth Schweik­ert, eine der drei Haup­tini­tiantinnen von «Much ado about…» , machte den Anfang. Ihre «Ausle­ge­ord­nung», beschrieb die Absur­dität des zeit­genös­sis­chen Opti­mierungs- und Kon­troll­wahns. Als Beispiel nan­nte sie etwa die stan­dar­d­isierten Eval­u­a­tions­frage­bö­gen an Kun­sthochschulen, oder mehr­seit­ige  Kom­pe­ten­z­er­läuterun­gen für die Turnübun­gen im Kinder­garten.  Ein unver­hält­nis­mäs­siger  Aufwand, der das Aus­bügeln von Defiziten zum Ziel habe, aber gle­ichzeit­ig eine Normierung anstrebe, gegen die es sich zur Wehr zu set­zten gelte, wolle man ver­hin­dern, dass sich eine «Brave New World» Dystopie ver­wirk­liche. Auf die Frage, was ihr Gegen­vorschlag sei, bezog sich Schweik­ert auf ihre zwei semes­trige Tätigkeit als «Observ­er in Res­i­dence» an der ZHdK (siehe ihre Obser­va­tio I–VI), wo sie als «teil­nehmende Beobach­terin» die Prozesse, die nor­maler­weise im Schat­ten des Resul­tats ver­schwinden, sicht­bar zu machen ver­suchte.  Diese freie, qual­i­ta­tive Eval­u­a­tion, sei auch bei den Beteiligten gut angekom­men. Es fan­den Auseinan­der­set­zun­gen statt, kon­flik­tuell, aber immer respek­tvoll. Let­zteres traf nicht immer auf die Ver­anstal­tung «Much ado about…» zu.

Objek­tiv über den Rubikon?

Nach Dor­ri­et Müller Mey­ers Refer­at wehte aus dem Pub­likum ein angrif­figer Wind. Die CIO im Bere­ich Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung set­zt in ihrer Arbeit auf «Beschreiben vor Bew­erten». Die Meth­ode? Das Vier-oder-mehr-Augen Prinzip. Der Massstab? Ver­gle­ichen. Sie erläuterte ein paar Beispiele ihrer «sub­jek­tiv­en Diag­nos­tik»,  für die sie angestellt wird, beschreibt diese als authen­tis­ches, kon­struk­tives Feed­back. Bera­tende müssten gute Fragesteller sein, nicht gute Rat­ge­ber. Auch gin­ge es nicht immer darum,  her­auszufind­en, warum etwas falsch laufe. Die Erken­nt­nis, dass etwas falsch laufe, reiche aus. Die Lösung: Neue Ver­hal­tensweisen aus­pro­bieren. Damit Magie wirken könne, müsse man sich aus der «Com­fort Zone» her­auswa­gen, über den Rubikon gehen eben. Kri­tik sei eine Gren­züber­schre­itung, eine Exponierung, manch­mal unan­genehm, für bei­de Seit­en. Das wurde unmit­tel­bar bestätigt, als aus dem Pub­likum angrif­fig gezweifelt wurde, ob sie denn wirk­lich so objek­tiv sein könne? Sichtlich irri­tiert von der mitschwin­gen­den Feind­seligkeit fragte sie zurück: «Ist das eine Ernst gemeinte Frage?»

Und jet­zt alle

Auch nach­dem Astro­physik­er Kevin Schaw­in­s­ki sein inno­v­a­tives Online Cit­i­zen Sci­ence Pro­jetk «Galaxy Zoo» vorgestellt hat­te, das die «Weisheit der Menge» nutzt, um Galax­ien zu klas­si­fizieren, hagelte es kri­tis­che Fra­gen. Der schmis­sige Pow­er­point-Vor­trag, mit allem, was das Herz begehrte – von Tier­bildern bis zu humor­vollen Zwis­chen­titeln –, erk­lärte den ein­fachen Bürg­er kurzum zum «Bürg­er-Wis­senschaftler». Jed­er könne, dank der men­schlichen Fähigkeit zur Mus­ter­erken­nung, mit der sich Abwe­ichun­gen in Bildern bess­er fest­stellen liessen als mit Super­com­put­ern, online mitar­beit­en. Kog­ni­tiv­er Über­schuss, der son­st gerne beim Fernse­hen draufgin­ge, sei mehr als genug vorhan­den. Den­noch mochte der unter­halt­same Vor­trag  nicht darüber hin­wegtäuschen, dass es sich bei der Mitar­beit der Bürg­er lediglich um reine Zuar­beit für die «echt­en» Wis­senschaftler han­delt.

Spa­gat aus Lei­den­schaft

In der Kaf­feep­ause  galt es, sich für einen der vier Work­shops zu entschei­den: je einen mit Katrin Eck­ert (Lit­er­aturhaus Basel), Daniel Fuert­er (Musik­er und Dozent der ZHdK), Anne-Cather­ine de Per­rot (Eval­ure: Zen­trum für kul­turelle Eval­u­a­tion) und Suzann-Vio­la Ren­ninger (Philosophin UZH). Voraus­geschickt wurde die Ankündi­gung, Ruth Schweik­ert würde bei allen kurz rein­sitzen und (was son­st?) teil­nehmend beobacht­en. Zum Abschluss dann noch mal ein gemein­sames Podi­um.

Bei Katrin Eck­ert ging es ehrlich und prag­ma­tisch zu. Faz­it: «Pro­gram­mar­beit zwis­chen Qual­ität und Main­stream» bedeutet einen Spa­gat zwis­chen Besucherzahlen-Sta­tis­tik und Lei­den­schaft für wenig besproch­ene Debutro­mane. Was tun, wenn man als Ver­anstal­terIn ein­er­seits nicht nur auf grosse Namen set­zten, ander­er­seits aber auch die «schreck­lichen fünf Leute» im Zuschauer­raum ver­mei­den will? Ein möglich­er Ansatz: Unbekan­nte Autoren lesen als eine Art Sup­port Act im Vor­pro­gramm renom­miert­er­er Kol­le­gen.

Fra­gen bleiben

In der Abschlussrunde kam in Schweik­erts Bericht über die vier Work­hops («keine Zusam­men­fas­sung») unter anderem die These auf, Eval­u­a­tionsvorgänge seien Willkür und entsprechend unnötig. Mehrheitlich kam die Runde jedoch zu dem Schluss, Eval­u­a­tion sie nicht grund­sät­zlich des Teufels, aber auf das «Wie» käme es an. Eval­u­a­tion bedürfe eines kul­turellen Gedächt­niss­es und solle Mut zur Ver­ant­wor­tung zeigen. Ergo: Der Kri­tik­er als Hof­narr, der einzige, der inmit­ten von Lügn­ern die Wahrheit spricht. Da bleibt bloss die Frage ste­hen, von wem dann der Hof­narr evaluiert wird? – Eini­gen kon­nte man sich auf Fol­gen­des: Was bleibt, sind immer die Fra­gen!

*«Ihr habt das Recht, gesit­tet Pfui zu sagen.» (Goethe)

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Artikel online veröffentlicht: 4. Dezember 2013 – aktualisiert am 17. März 2019